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Festival gegen Rechts in JamelNS-Musterdorf will Antifa abkassieren

In Jamel veranstalten Birgit und Horst Lohmeyer seit 2007 ein Festival gegen Rechts. Jetzt will die Gemeinde auf einmal Miete für ihre Wiesen.

Haben das Festival 2007 im 40-Seelen-Dorf Jamel gegründet: Horst und Birgit Lohmeyer Foto: Markus Scholz/dpa

Hamburg taz | Es könnte eine Provinzposse sein, ein Streit um eine Wiese. Aber in einem Dorf wie Jamel ist eine Auseinandersetzung um Platz politisch. Jamel in Mecklenburg-Vorpommern ist seit Jahren als „nationalsozialistisches Musterdorf“ bekannt, in dem Rechtsradikale den Ton angeben. Nur 35 Menschen wohnen in dem Ort nahe der Ostsee, die meisten davon sind bekennende Neonazis.

Gegen diese rechte Übermacht veranstalten Birgit und Horst Lohmeyer seit 2007 das Festival „Jamel rockt den Förster“. Die Lohmeyers engagieren sich seit ihrem Umzug aus Hamburg vor über zwanzig Jahren als einzige im Ort gegen die Vereinnahmung des Dorfes durch Neonazis.

Dafür werden sie immer wieder bedroht und angefeindet – aber auch ausgezeichnet: Erst in der vergangenen Silvesternacht drangen mehrere Vermummte auf ihr Grundstück und griffen die Lohmeyers mit Pyrotechnik an; vor einer Woche dann erhielten die Lohmeyers für ihr Engagement den Verdienstorden des Landes.

Aus einer Etage weiter unten in der staatlichen Verwaltung bekommen die Lohmeyers gerade weniger Unterstützung für ihr Engagement. Am Dienstag ist bekannt geworden, dass die für Jamel zuständige Gemeinde Gägelow plant, den Festival-Veranstalter:innen erstmals Gebühren dafür zu berechnen, dass sie Gemeindeflächen nutzen.

Bürgermeisterin nennt „schwierige Haushaltslage“ als Grund

Bisher hatte die Gemeinde dem Festival die Wiesen kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Bürgermeisterin Christina Wandel, Mitglied der Wählergemeinschaft „Wir für Gägelow“, begründete den Schritt laut Sitzungsprotokoll des Finanzausschusses, das dem NDR vorliegt, mit einer „schwierigen Haushaltslage“.

Für Birgit Lohmeyer ist das ein vorgeschobenes Argument. „Wir lassen uns nicht veralbern“ sagt sie der taz. Ein Teil der Wiese, um die es geht, würde das restliche Jahr über an einen Neonazi in Jamel verpachtet. Dieser zahle dafür nur rund 60 Euro, für das ganze Jahr. Der Verein, der das „Forstrock“-Festival veranstaltet, nutze die Fläche gerade einmal einen Monat. Zwar hätten sie noch keine konkreten Zahlen genannt bekommen, vermuteten aber, dass es nicht allein um Geld gehe. „Wir werten das als Missachtung unseres zivilgesellschaftlichen Engagements“ sagt Lohmeyer.

Dabei hätten die Wiesen in Jamel die Kassen der Gemeinde Gägelow auf eine andere Art tatsächlich füllen können. Das Land hatte schon länger angeboten, die betreffenden Gemeindeflächen für 80.000 Euro zu kaufen. Den Vorschlag hatte Gemeinderatsmitglied und Landesbildungsministerin Simone Oldenburg (Die Linke) schon vor längerer Zeit eingebracht.

Ein Angebot des Landes hat die Gemeinde nach NDR-Informationen in derselben Sitzung abgelehnt, in der es um das Nutzungsgeld für das „Jamel rockt den Förster“ ging. Eine Anfrage der taz zu der Entscheidung ließ Wandel bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Neonazis sitzen im Gemeinderat

Gegen den Verkauf stimmte neben der Bürgermeisterin Wandel auch die extrem rechte Fraktion „Heimatliebe“ des Neonazis Sven Krüger. Der bundesweit vernetzte Rechtsextreme und Unternehmer Krüger wohnt in Jamel und gilt als „Chef“ des Dorfes. Seit 2019 sitzt er im Gemeinderat von Gägelow. Bei der Kommunalwahl 2024 gewann Krüger sogar die meisten Stimmen. Seitdem sitzt mit Steffen Meinicke ein zweites Mitglied der Fraktion „Heimatliebe“ in der Gemeindevertretung.

Die Abstimmung gegen den Verkauf der Wiesen in Jamel an das Land ist nicht die erste Zusammenarbeit der Gemeinde mit den Neonazis. Im vergangenen Herbst hatte die Gemeinde Gägelow trotz Protesten eine Spende von Krüger für das hiesige Erntefest angenommen.

Auch deshalb überrascht Birgit Lohmeyer die Ankündigung der Gemeinde, ein Nutzungsgeld für ihre Wiesen erheben zu wollen, nicht besonders. „Es knirscht ganz mächtig in Gägelow.“ Auch diese Gemeinde sei ganz gezielt von Rechtsradikalen besiedelt worden. „Das Problem gibt es also nicht nur in Jamel“, sagt Lohmeyer.

Kritik aus der Landesregierung

Kritik am Vorgehen der Gemeinde kommt aus der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern. Es gehe um mehr als nur ein Festival, sagt Julian Barlen, Vorsitzender der SPD-Fraktion. „Es ist ein bundesweit beachtetes Symbol dafür, wie viel Mut es braucht, sich gegen Rechtsextremismus zu wehren.“ Dieses Engagement dürfe nicht behindert werden.

Die Auseinandersetzung zwischen dem „Forstrock“-Festival und der Gemeinde Gägelow gärt schon länger. Besonders deutlich ist das im vergangenen Jahr geworden. Da mussten die Lohmeyers sich mit einer Anzeige wegen einer angeblich „nicht vertragsgemäß hinterlassenen“ Wiese herumschlagen. Das Festival stand danach vorübergehend auf der Kippe.

Die Entscheidung über die Nutzungsgebühr wird der Gemeinderat Gägelow in einer Sitzung Ende Januar fällen. Wenn die Pacht nicht verhältnismäßig sei, werde sie die Kommunalaufsicht einschalten, sagt Lohmeyer.

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