Festival „Jamel rockt den Förster“: 48 Stunden Gegenwind
Jamel wurde von Rechtsextremen unterwandert. Seit 15 Jahren wollen Künstler:innen ihnen mit einem jährlichen Festival etwas entgegensetzen. Mit Erfolg?
Mit den „Faschisten da drüben“ sind die Bewohner:innen von Jamel gemeint. Rechtsextreme haben in dem Ort in der Nähe von Wismar in Nordwestmecklenburg von den frühen Nullerjahren an ein „nationalsozialistisches Musterdorf“ aufgebaut. Sven Krüger, vorbestrafter Neonazi und NPD-Mitglied, kaufte gezielt Immobilien im Dorf und siedelte seinesgleichen an. Heute leben 30 Erwachsene und 12 Kinder in Jamel. Und nur zwei haben sich und ihr Leben dem zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen rechts verschrieben: Birgit und Horst Lohmeyer, 63 und 65 Jahre alt. Sie veranstalten einmal im Jahr das Festival „Jamel rockt den Förster“, am vergangenen Wochenende bereits zum 15. Mal.
Alles begann 2007 mit einem kleinen Selfmade-Festival mit etwa 30 Besucher:innen. Seither richten die Lohmeyers die Veranstaltung – wenn nicht gerade Pandemie ist – jährlich auf ihrem 8.000-Quadratmeter-Hof aus. Als 2015 jemand ihre Scheune niederbrannte – mutmaßlich ein rechter Anschlag –, spielten die Toten Hosen spontan ein Solikonzert. In den Jahren danach traten fast alle Großen des deutschen Pop in Jamel auf, darunter Grönemeyer, Kraftklub, Jan Delay, die Ärzte. Seit ein paar Jahren bleibt das Line-up geheim.
Unter den Überraschungsgästen in diesem Jahr: die Metalband Kreator, die Indierocker Sportfreunde Stiller und Rapperin Hayiti. Sie alle bekommen nur ihre Kosten erstattet, verzichten auf Gage, kommen für die Sache. Genauso wie die rund 100 Helfer:innen, angereist von überall her. „Jamel rockt den Förster“ hat sich längst bundesweit einen Namen gemacht. Doch was bewirkt das Festival vor Ort? Ändert es etwas an den rechtsextremen Strukturen?
Lieber totschweigen
Birgit Lohmeyers Antwort fällt knapp aus: Nein. Wenige Tage vor dem Festival erklärt sie der taz: „Das Problem ist, dass das Festival nicht geschätzt wird in der Region. Die meisten hier wären froh, wenn die Lohmeyers endlich aufhören würden, mit diesem blöden Festival so eine Welle zu machen.“ Die Leute würden die Probleme mit den Nazis lieber totschweigen. In ihren Augen seien die Lohmeyers die Unruhestifter.
Das Paar – sie Schriftstellerin, er Musiker – fühlt sich alleingelassen mit der Demokratiearbeit vor Ort. Doch nachlassen, sich zurückziehen, das kommt nicht infrage. Mittlerweile organisieren sie auch Vorträge und Workshops an Schulen und konfrontieren so junge Menschen mit dem, was in Jamel und an anderen Orten passiert. „Und wir erklären ihnen, wie man sich verhalten sollte, wenn man in einer demokratischen, offenen Gesellschaft leben möchte: Nicht weggucken, nicht tolerieren, nicht sagen:,Ach, das sind doch die Jungs von hier, die sind doch so nett und hilfsbereit'“, sagt Lohmeyer.
Für ihr Engagement wurden die beiden zigfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage 2011. Und wenn das Festival stattfindet, verschieben sich in Jamel die Kräfteverhältnisse: Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) ist Schirmherrin des Festivals, Innenminister Christian Pegel (SPD) spricht beim Jubiläum zur Eröffnung.
Und obwohl danach alles zur Normalität zurückkehrt, gibt es den Lohmeyers Kraft, weiterzumachen: „Drei Tage mit vielen gleichgesinnten Menschen zusammenzukommen, ist für unseren Psychohaushalt sehr wohltuend. Von den Begegnungen und Gesprächen zehren wir das ganze Jahr über“, sagt Birgit Lohmeyer. Weil die Rechtsextremen in Jamel durchweg ideologisch gefestigt seien, glaubt sie nicht daran, dass aus den Familien jemand aussteigt. „Die sind für die Gesellschaft verloren.“
An den Festivaltagen ist das Dorf zweigeteilt. Hier die Nazisiedlung, da das Festivalgelände, dazwischen die Polizei, rund 50 bis 60 Einsatzkräfte pro Tag. An dem Gebäude, in dem Neonazi Sven Krüger seine Firma für Abbrucharbeiten hat, weht eine Reichskriegsflagge, im Infokasten des Dorfs wird Brauchtum und Heimatliebe propagiert, an einer Garage prangt ein Mural, das eine arische Vorzeigefamilie zeigt, daneben der Schriftzug: „Treu sind Mecklenburger Herzen, von Freiheit singt der Wind“.
Doch wer Jamel bloß als versprengte völkische Sekte abtut, irrt. Sven Krüger wurde mit seinem Bündnis „Wählergemeinschaft Heimat“ 2019 in den auch für Jamel zuständigen Gemeinderat Gägelow gewählt. Mit 281 Stimmen bekam er das zweitbeste Ergebnis eines Einzelkandidaten. Birgit Lohmeyer ließ sich für die SPD aufstellen, sie bekam gerade mal 37 Stimmen. Die Nazis werden alles andere als ausgeschlossen, erst 2018 wurde eine zentrale Wiese des Dorfes von der Gemeinde an Krüger verpachtet – wenn auch mit der Auflage, sie einmal im Jahr für das Festival „Jamel rockt den Förster“ freizugeben.
Dort wehen dann für ein Wochenende die Regenbogenflaggen und Refugees-Welcome-Fahnen und die auftretenden Künstler:innen loben die Lohmeyers für ihre Standhaftigkeit: „Vielen Dank für das langjährige Engagement. Ich bin ehrlich: Ich würd mich das nicht trauen“, sagt Amewu, ein Rapper ghanaisch-deutscher Herkunft, bei seinem Auftritt.
Er spricht auch von seinen „mixed feelings“ und seinen Ängsten vor rassistischen Übergriffen bei der Anreise. Der Berliner Künstler ist eine der Entdeckungen des Wochenendes. In praller Nachmittagssonne feiert das Publikum ihn für seinen Conscious Rap, geprägt von Hip-Hop-Gruppen wie De La Soul und Arrested Development. Seine Songs „Amewuga“ und „Kenne meine Fehler“ werden bejubelt, sein smoother Hochgeschwindigkeitsrap sorgt für offen stehende Münder.
Für Vielfalt steht Jamel auch in musikalischer Hinsicht, von erfrischenden Punkrock-Shows (Team Scheisse, Shirley Holmes) über Trap bis zu Pop (Hayiti, Mia Morgan) und Songwriter (Thees Uhlmann).
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die Besucher:innen kämen trotzdem wegen ihrer Haltung nach Jamel, nicht wegen der Bands, sagt Horst Lohmeyer. Der 65-Jährige mit langem, grauem Pferdeschwanz ist für die Logistik und Technik verantwortlich, man sieht ihn immer wieder übers Festivalgelände streifen. Anfangs ist er selbst mit seinen Bands beim Festival aufgetreten, heute spielt er in keinen Gruppen mehr – irgendwann wurde er auf den Bühnen in Mecklenburg-Vorpommern so sehr angefeindet und von Nazis beschimpft, dass er die Lust verlor.
Dass Politik mindestens genauso im Zentrum steht wie Musik, ist bei dem Festival nicht zu übersehen. Amnesty und die „Omas gegen Rechts“ haben ihre Stände aufgebaut, am Samstagmittag hören sich etwa 50 Menschen einen Vortrag über die rechtsesoterische Anastasia-Bewegung an. Auffällig viele Familien sind unter den Besucher:innen, oft Väter und Mütter mit Kindern im Teenageralter.
Deichkind schicken gegen Ende ihres Sets weiterhin dichte Bässe und nochmals klare Botschaften an die Nachbarschaft: „Keine Chance den Nazis, keine Diskussion, keine Diskriminierung, kein Rassismus.“ Auch für die nachwachsenden Jungnazis im Dorf haben sie ein paar Sätze übrig: „Wenn du Zweifel hast und aussteigen willst: Wir sind hier.“ Ihre Worte klingen nur vage hoffnungsvoll.
48 Stunden lang kehren sich die Verhältnisse um, doch für die restlichen 363 Tage besteht laut Birgit Lohmeyer wenig Anlass für Optimismus: „Demografisch ändert sich hier gar nichts. Nur durch Zuzug wäre es möglich, dass die Nazis im Dorf mehr Gegenwind bekommen. Es gibt aber keine freien Immobilien hier, und auch Baugrundstücke werden nicht mehr veräußert.“
So muss das Paar auch in Zukunft mit der Angst leben, dass sich Vorfälle wie der mutmaßliche Anschlag von 2015 wiederholen. „Natürlich tritt auch ein Gewöhnungseffekt ein, wenn man ständig mit Nazis konfrontiert ist. Aber es wäre unklug, keine Angst mehr zu haben, wenn man es mit gewaltbereiten Rechtsextremen zu tun hat.“
Lohmeyer freut sich gegen Ende des Festivals trotzdem über die „schöne, bunte Szenerie“ vom Wochenende. Nun werden die Zelte wieder abgebaut, die Bullis fahren ab, der Zirkus zieht weiter. Bis zum nächsten Jahr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen