Festival Club Transmediale Berlin: Freiwillige Selbstbeschränkung
Ein Kind von Techno und Hamburger Schule: Die Produzentin und DJ Helena Hauff hat sich mit Mitte zwanzig europaweit in der Technoszene etabliert.
Für die Generation MacBook ist es nur zu einfach, im Café um die Ecke Latte macchiato schlürfend einen Technotrack zu bauen. Ob der gut wird oder nicht, steht auf einem anderen Blatt, aber richtiges technisches Handwerk erfordern das Produzieren von Technomusik und DJing schon lange nicht mehr.
Helena Hauff hätte es sich als Digital Native also einfach machen können, als sie mit 18 plötzlich wusste: „Ich will unbedingt Techno-DJ werden.“ Doch sie wählte lieber den Oldschool-Weg: eine Plattensammlung zusammenstellen, Synthesizer kaufen, zu Hause herumexperimentieren und Jams aufnehmen – auf Kassette! An ihre erste Platte erinnert sich Hauff noch genau: „Das war Talk Talk ’Spirit of Eden‘, und noch heute liebe ich dieses Album.“
Zu Hauffs regulärem Equipment gehören heute jede Menge Vinyl von Punk bis Minimal Wave, ein MPC-Sampler und der Drumcomputer Roland TB 303, dessen unverkennbarer und knarziger Bass ab Mitte der achtziger Jahre den Grundstein für die ersten Acid-House-Tracks aus Chicago legte.
Festival: Das „Festival for adventurous Music and Art“ findet zwischen dem 24. Januar und 2. Februar zum 15. Mal in Berlin an Orten wie HAU, Berghain und Stattbad Wedding statt. Ohnehin ist die Stadt eine Keimzelle der elektronischen Musik.
Motto: Das Motto lautet „Dis-Continuity“, die Bruchstellen und Verbindungslinien aus der Moderne und der Frühzeit der elektronischen Musik werden von heute aus untersucht. Etwa in Panels und Konzerten zur Geschichte schwedischer, französischer und russischen Elektronikpioniere und dem Stand der experimentellen Musik in Osteuropa. Es gibt Klanginstallationen. Konzerte radikaler Noise-Protagonisten, Aufeinandertreffen von Elektronikern mit afrikanischen Musikern. Vorträge, Workshops und Sets einiger der aufregendsten DJs der Welt.
„Computer überfordern mich mit ihren tausendfachen Möglichkeiten der Soundproduktion“, sagt Hauff. „Ich muss ein Gerät richtig kennenlernen und schauen, wie sich das anhört, wenn ich diesen oder jenen Regler betätige.“ Ihre erste Veröffentlichung war dann auch konsequenterweise eine Kassette mit Aufnahmen ihrer experimentierfreudigen Single-Take „Jams“. „Wenn mir etwas gefällt und ich das Gefühl habe, das funktioniert, drücke ich einfach den Aufnahmeknopf“, erklärt Hauff ihre Arbeitsweise.
Bis zur Perfektion
Hauff hat ihre Instrumente und Geräte in den vergangenen Jahren nicht nur bis zur Perfektion kennen- und lieben gelernt, sondern sie hat es geschafft, sich mit ihnen durch die freiwillige Beschränkung eine überaus charakteristische Sound-Handschrift anzueignen. Wenn man ganz genau hinhört, könnte man denken, Hauff wäre Anfang der Neunziger durch die Technoclubs gestreift und hätte dort ihre Liebe zu schroffer und nicht unbedingt massenkompatibler elektronischer Popmusik, die ihre technische Herkunft nicht verschleiert, entdeckt. Nur, dass sie damals noch ein Kleinkind war. Erst mit 20 fing sie an, CDs und Platten zu kaufen.
„Als Jugendliche habe ich all meine Musik aus dem Radio auf Kassetten aufgenommen oder aus der Bücherhalle ausgeliehen“, erzählt Hauff. Bücherhalle heißen in Hamburg die öffentlichen Bibliotheken. „Meine Mutter war der Meinung, es sei eine Geldverschwendung, sich CDs anzuschaffen.“
Da verwundert es nicht, dass sie das erste Mal mit dem elektronischen Clubsound in Kontakt kam, als sie als Kind im Wohnzimmer ihrer Großeltern am Radio schraubte und einen Technosender auf der UKW-Frequenz fand. Die Großeltern waren amüsiert, und Hauffs Faszination für das Genre war entflammt.
Vögel und andere Instrumente
Hauff hat ihr Herz schon früh an den Hamburger Pudel Club verloren. Seit einigen Jahren betreibt sie, inzwischen Mitte zwanzig, dort die Partyreihe „Birds and Other Instruments“, legt als Resident-DJ auf, ja gilt gar als Grande Dame des Pudel. Und so scheinen ihrer Karriere momentan keine Grenzen gesetzt. Europaweit ist sie fast jedes Wochenende als DJ im Einsatz.
Helena Hauff: „Actio Reactio“ (Werkdiscs/Ninja Tune/Rough Trade), „Black Sites“ (zusammen mit F#X), „Prototype“ (Pan).
Live: Mit dem Projekt Hypnobeat, 30. 1., CTM-Festival, Berghain, Berlin, DJ-Set, 31. 1., CTM-Festival, Berghain, Berlin, 28. 2., Not Not House, Nürnberg, 8. 3., Conne Island, Leipzig, 22. 3., Harry Klein, München
Zusammen mit dem Produzenten F#X, ebenfalls Resident im Pudel, ist sie das Projekt Black Sites. Ihr 12-inch-Debüt, „Actio Reactio“, erschien im August vergangenen Jahres beim Londoner Label Werkdiscs, nachdem sich der britische Technoproduzent und Werkdiscs-Mitbegründer Darren Cunningham alias Actress auf gemeinsamen Auftritten in Hamburg, London und Paris von Hauffs Können überzeugt hatte.
„Actio Reactio“ beinhaltet drei Tracks, die sich weit von Dancefloorkonventionen wegbewegen. Auf dem zehnminütigen titelgebenden und äußerst unnachgiebigen Track „Actio Reactio“ liefern sich Drums, Claps und der monotone, perkussive Sound einer Kuhglocke ein rhythmisches Gegen- und Miteinander. Fast plastisch und dialogisch sind die Klänge umeinander angeordnet. Irgendwann streut sich noch der metallene Sound eines Beckens ein und immer mehr befreit sich der Track von Geradlinigkeit, bis er nur noch ein Durcheinander zu sein scheint, das jedoch bis zur letzten Minute höchst planvoll und arrangiert klingt.
Im Kraftfeld der Soundelemente
Unverkennbar interessiert sich Hauff für energetische Rhythmen und klangliches Zusammenspiel. Ihre Tracks involvieren und fordern die Zuhörer mit ihren komplizierten Drumpattern und stehen damit im krassen Gegensatz zu straightem Clubsound, der die Tanzenden mit kontinuierlichem Vierviertelbass berieselt. Bei „Actio Reactio“ könnte man zwar anfangs ein bisschen rhythmisch den Oberkörper bewegen, möchte mit fortschreitender Verworrenheit aber lieber innehalten und dem Kraftfeld der Soundelemente lauschen. Am Ende weiß man trotzdem nicht mehr so ganz, wo oben und wo unten ist, und fühlt sich doch angenehm durchgerüttelt.
Hauff hat dem Mainstream und seinem seichten Feel-Good-Techno mit Saxofongedudel und Heiterkeits-Klingkling entschieden etwas entgegenzusetzen. „Fröhliche Musik macht mich richtig aggressiv“, sagt sie und erzählt, wie sie letztens fast eine Stewardess angeschrien hätte, weil sie und die übrigen wartenden Fluggäste mit besänftigender Popmusik beschallt wurden.
Dunkel und kraftvoll
Dabei ist ihr Gegenteil zu „seicht“ und „happy“ nicht etwa „traurig“ oder „melancholisch“, sondern eher „dunkel“ und „kraftvoll“. Diese Attribute erinnern an Beschreibungen von Gothic Rock, und tatsächlich gibt Hauff ohne Umschweife zu: „Ich bin halt eine Romantikerin, und was gibt es bitte Romantischeres als Gothic?“
Kaum ein anderer Techno-DJ würde mit einer solchen Vorliebe wohl offen umgehen, zu gegensätzlich werden Rock und Techno gemeinhin behandelt. Hauff aber sind Genregrenzen und Szenegehabe erfrischenderweise ziemlich schnurz. Und ihre Tracks hören sich auch keineswegs nach Gothic Rock an, schaffen es aber dennoch, das mystisch-dunkle und alltagsentrückte Lebensgefühl in elektronischen Sounds aufzugreifen und zu interpretieren.
In der Szene- und Männerwelt des Techno ist es trotz längst etablierter Do-it-yourself-Manier nicht gerade einfach, als DJ und Produzentin die Zugangsbarrieren zu überwinden. Sich dann noch einen unvergleichlichen Sound anzueignen und das schnell gelangweilte Ravepublikum mit etwas wirklich Einfallsreichem zu füttern, ist eine Herausforderung, die nur die wenigsten jungen Menschen meistern, in deren Jobbeschreibung heute etwas mit elektronischer Musik vorkommt. Hört man Helena Hauff reden, hat sie sich über solche Dinge nie auch nur Gedanken gemacht. Sie hatte Bock, die Leute fandens gut, und so kam eins zum anderen.
Die Rolle des Pudel Clubs
Eine wichtige Rolle, vor allem in Hauffs Anfangszeit, hat aber der Pudel Club gespielt, wo Hauff zum ersten Mal ihr DJ-Können im Clubkontext beweisen konnte: „Mein Stil wäre ohne den Pudel definitiv ein anderer“, sagt sie. Nur zu gut passt ihr experimenteller Sound zu dem kleinen, stickigen, schäbigen Club am Hamburger Hafen, der sich wie eine Perle der Subkultur in der immer mehr geglätteten Stadt hält. Einst Treffpunkt der Hamburger Schule, wird er heute unter anderem von Schorsch Kamerun und Rocko Schamoni liebevoll und mit einem guten Riecher für das richtige Maß an Verschrobenheit geführt.
Den Pudel umweht eine Aura, die viele Besucher zu hingabevollen Liebesbekundungen bewegt: so verranzt, aber doch schön, so international und doch heimelig, so immer gleich und immer anders. Nicht wenige Hamburger Künstler und Musiker nennen den Pudel als Grund dafür, warum sie es immer noch in der spießigen Hansestadt aushalten, die gerade so emsig dabei ist, ihr eigenes kulturelles Leben zu zerstören.
Auch Helena Hauff schwärmt gerne und ausgiebig. „Im Pudel bin ich nicht an Konventionen oder Aufträge gebunden und kann alles ausprobieren“, erzählt sie. „Wenn ich um sechs Uhr morgens plötzlich Lust auf eine Punk-Platte habe, dann lege ich sie einfach auf.“ In der familiären Atmosphäre des Clubs war es für Hauff, die ohnehin oft als Besucherin dort war, ein Leichtes, ins DJing einzusteigen.
Und so weckt Hauffs Karriere und internationale Bekanntheit in ihr nicht etwa den Wunsch, Hamburg den Rücken zu kehren: derzeit ist sie auf Wohnungssuche auf St. Pauli. Ein Kriterium muss die neue Bleibe nämlich auf jeden Fall erfüllen: sich in Laufnähe zum Pudel befinden.
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