Fernsehen nach Harald Schmidt: Was nun, Herr Schmidt?
Deutschlands bekanntester Late-Night-Talk wird abgesetzt. Ein Anlass zur Trauer, absehbar oder völlig egal? Drei taz-Experten über den Mann aus Nürtingen.
Ab jetzt wirds öde
Ein Freund von mir, er ist Comedian, vergleicht Harald Schmidt mit der FDP. Wenig Inhalt. Kaum Haltung. Immer auf die Schwachen.
Der ehemalige Chef von Sat.1, Roger Schawinski, bezeichnet Schmidt als den „übelsten Zyniker“, den er jemals getroffen habe. Er sei „geldgeil“ und „parasitär“.
Sie mögen recht haben, mein Freund und Roger Schawinski, aus ihrer Perspektive. Aber bitte: Harald Schmidt ist weder eine Partei noch Greenpeace und auch nicht Margot Käßmann – Gott sei Dank. Das Wohltuende an ihm: Während sich die ganze Republik über die Deutsche Bahn aufregt (wie wohlfeil und ätzend!), preist Schmidt in DB mobil die Vorzüge seiner BahnCard 100. Oder sein Kommentar zu Christian Wulff.
Während Bild den Zorn des Volkes gegen jenen Bundespräsidenten hetzt, der sich dort mal einladen ließ und da mal Urlaub machte, blendet Harald Schmidt in seiner Show einen Liveticker ein, der die Kleinteiligkeit und auch die Verlogenheit der Enthüllungen entlarvt.
Harald Schmidt ist nicht zynisch. Er hat ein genaues Gespür dafür, wer Hohn und Spott verdient, wer es verträgt – und wer nicht. Das unterscheidet ihn von Oli Pocher, jenem Aufsteiger aus Hannover. Pocher macht Witze vor allem auf Kosten jener, die er hinter sich gelassen hat. Die Schwächeren. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ohne Maßstab und Verstand. Schmidt hingegen macht Witze gegen den Mainstream. Deshalb scheiterte „Schmidt & Pocher“. Schmidt hielt seinen Sidekick für „ne kleine, miese Type“, was Pocher auch ist.
Eine vorsichtige Prognose: Ohne Harald Schmidt ist das deutsche Fernsehen wertlos. Ab jetzt gibts weiter Witze über Managergehälter und die verlogene Politik. Wie öde.
Felix Dachsel
Tote durch Quote
Einen Stall voller Zugpferde wollte sich Sat.1 zusammenkaufen, zurück bleibt nicht mehr als ein brüchiger Verschlag. Johannes B. Kerner, Oliver Pocher, Harald Schmidt: große Namen im deutschen Fernsehen, die zu Quotenbringern des ersten deutschen Privatsenders werden – und ihn vor der Bedeutungslosigkeit retten sollten. Das Prinzip, dass Programmplaner keine Ahnung von den Erwartungen des Zuschauers haben, wird zwar aktuell durch die ARD und „Gottschalk Live“ vergoldet, patentiert wurde es aber von Sat.1.
Der damalige Sat.1-Geschäftsführer Guido Bolten holte Kerner zum Januar 2010 vom ZDF, dem Vernehmen nach für exorbitantes Geld. Kurz darauf folgte Pocher, der eine klassische Late-Night-Show präsentieren sollte – ein Coup, glaubte Bolten. Kerners Talk verkam schnell zu einem dünnen Mix an Servicethemen, Ende 2012 war nach zwei Jahren Schluss. Das Schwiegersohn-Konzept ließ sich nicht vom ZDF ins Private rüberzuretten, gemessen an den Erwartungen waren Kerners Quoten ein Desaster.
Harald Schmidt, der Pocher zuvor ins Erste geholt hatte, prophezeite vor dessen Wechsel zu Sat.1 bei der letzten gemeinsamen Sendung: „Freitag ist Scheiße!“ Genau dort aber programmierte Sat.1 Pocher, der mit Late Night überfordert war. Der Dreijahresvertrag wurde nach einem Drittel der Laufzeit aufgelöst.
Auch bei Schmidt waren letztlich übertriebene Erwartungen an die Quote schuld am Ende, das nach gerade mal einem halben Jahr trotzdem überrascht.
Torsten Landsberg
About Schmidt
Das war aber auch Zeit! Wenn selbst ein gleichnamiger dauerrauchender Ü-90-Bundeskanzler in Talkshows für mehr Radau sorgt, dann ist es vielleicht Zeit zu gehen.
Mal Hand aufs Herz: Wer hat die Harald-Schmidt-Show in den letzten Jahren noch eingeschaltet? Dieser Mann ist abgegessen. Schon seit Jahren. So abgegessen, dass er sich damals, noch bei der ARD, diesen Pubertätswitzchen-Pocher als Sidekick einkaufte und damit noch die letzten Zuschauer vergraulte, die bis dato auf einen dieser immer selteneren genial-weltekelnden Schmidt-Momente gewartet haben. Aber ach, das reicht doch nicht für einen funktionierenden Late-Night-Talk!
Wer noch mal nachgucken will, wie man den richtig macht, der schmeiße sein Internet an und schaue ein beliebiges Beispiel aus dem US-Fernsehen an. Eine einzige Folge von Jon Stewarts „Daily Show“ oder Steven Colberts „Colbert Report“ sollten genügen, um alle in Deutschland bestehenden Formate von Schmidt über Raab bis zur „heute-show“ von Oliver Welke schamerfüllt aus dem Programm zu kicken.
Klar, dass Late-Night-Talk in Deutschland nicht funktioniert, ist eine Binse, die so lange wiederholt worden ist, bis sie irgendwann wahr war. Gerade Jon Stewarts „Daily Show“ zeigt aber, warum man von seiner Sendung mehr wollen sollte als Schmidt mit seinem Zynismus um des Zynismus willen.
Wie spannend es sein kann, wenn prominente Gäste kommen – und der Host sogar in der Lage ist, ihnen interessante Gespräche abzumelken. Wie man ein ernsthaftes Anliegen (das Anstreiten gegen die irrationale US-Rechte) scherzhaft verpacken kann, ohne peinlich zu werden. Dann nämlich reden die Leute auch über die Show. Nicht nur, wenn sie abgesetzt wird.
Meike Laaff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe