Fernsehduell vor der Hessenwahl: Sachlich statt unterhaltsam
Das Fernsehduell zwischen Andrea Ypsilanti und Roland Koch vor der hessischen Landtagswahl liefert die Erkenntnis, dass Fairness vor der Kamera durchaus ungewöhnlich ist
"Zur Sachlichkeit zurückgefunden", meldet die Website des Hessischen Rundfunks nach dem Duell am Sonntag. Schade, nach dem Motto "Warum sachlich, wenns auch persönlich geht?" wärs unterhaltsamer gewesen.
20.22 Uhr: Koch 1.42 - Ypsilanti 0.57.
Eine Digital-Anzeige informiert permanent über die Redezeit der Kontrahenten. Streng sind die "Regeln des Duells", acht Themen in 90 Minuten, abwechselnd dürfen die Kandidaten mit ihrem Statement beginnen, sobald einer mehr als eine Minute Redevorsprung hat, greift die Moderation ein. Das Ganze in kühles Himmelblau getaucht, wer alt genug ist, wünscht sich den polternden Herbert Wehner zurück. Oder Strauß und den paffenden Schmidt. Die Moderatoren, selbstverständlich Mann und Frau, zeigen nicht den Hauch von Parteilichkeit. Anfangs lässt sich Ypsilanti einschüchtern vom Regelwerk. Koch kennt das.
20.33 Uhr: Koch 6.23 - Ypsilanti 4.56.
Er hat seine Bronchitis im Griff und war beim Friseur, der Scheitel wie mit der Klinge gezogen, dafür setzt er schon mal den Dackelblick auf. Ypsilantis schwarzer Hosenanzug erinnert an ihre Stewardessen-Vergangenheit. Beim Reizthema Schule wird Koch persönlich, "meine Kinder". Ypsilanti folgt den Regeln und dem Zwang zur Sachlichkeit. Sonst hätte sie Koch ganz persönlich fragen können, warum seine Kinder ohne Vater groß geworden sind. Das hat bekanntlich Anke Koch mal gesagt, deshalb wolle sie nicht, dass ihre Söhne Politiker werden. Vor lauter Fairness verpasst Ypsilanti die Chance, die Unterschiede zwischen sich und ihrem Widersacher deutlich zu machen. Selten gelingt, was ihren Erfolg der letzten Wochen erst ermöglicht hat: die Sexualisierung des Wahlkampfs.
20.59 Uhr: Koch 16.57 - Ypsilanti 15.50.
Sexualisierung meint nicht die so genannten erotischen Fotos, mit denen sich SPD-Frauen im Wahlkampf blamiert haben. Ypsilanti hat mit ihrer Er-gegen-sie-Kampagne eine geschlechterpolitische Polarisierung erreicht: "Er steht für Hungerlöhne, sie steht für Mindestlohn." Mit solchen Slogans und einnehmenden Auftritten hat sie sich als die bessere Alternative empfohlen, auch weil sie ihre weiblichen Skills betont. Von dieser Clash-of-Civilizations-Strategie ist beim verregelten TV-Duell nicht viel übrig, die Kandidatin ist mehr Heide Simonis als Ségolène Royal. Dabei hätte sie mit einem Royal-Wahlkampf doch gute Chancen. Würde Koch den Sarkozy geben und mit Annett Louisan anbändeln? Oder mit Nadja Auermann? Eher nein.
21.37 Uhr: Koch 32.28 - Ypsilanti 32.28.
Das Wortgetüm "Menschen mit Migrationshintergrund" geistert so lange durch den Dialog, bis es klingt wie "Menschen mit Leprahintergrund". Ganz persönlich hätte Ypsilanti auf ihren eigenen, etwas anderen Migrationshintergrund verweisen können. Sie war mit einem griechischstämmigen Mann verheiratet. Aber offenbar glaubt die SPD-Frau, dass sie mit offensiverem Auftreten mehr potenzielle Wähler in der Mitte vergrault, als sie links gewinnt. Bei der Kundschaft der biederen Frankfurter Rundschau kommt die Zurückhaltung an.
FR-Online-Forum: 21.48 Uhr. Wer hat das TV-Duell gewonnen? Koch 37,52 % - Ypsilanti 58,55 %.
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