Feministischer Vampirfilm: Tröstliche Schatten

Kleinkriminelle, Prostituierte, Junkies und andere Nachtschattengewächse bevölkern „A Girl Walks Home Alone at Night“, von Ana Lily Amirpour.

Ein namenloses Mädchen nachts allein auf leeren Straßen. Bild: Capelight Pictures

Vampire verfügen nicht unbedingt über eine ausgeprägte soziale Kompetenz. Sie ziehen die Dunkelheit dem Tageslicht vor und meiden die Gesellschaft anderer, auch anderer Vampire. Bad City ist deshalb der perfekte Ort für vampirische Ansprüche: Die Straßen sind verwaist, Fabrikgebäude liegen in Ruinen, im Hintergrund arbeiten stumm Fördertürme, und die einzigen Menschen, die sich nachts auf der Straße herumtreiben, haben gute Gründe, ihre Geschäfte im Dunkeln abzuwickeln.

Kleinkriminelle, Prostituierte, Junkies und andere Nachtschattengewächse sind die Protagonisten in „A Girl Walks Home Alone at Night“, Ana Lily Amirpours Debütfilm über Einsamkeit und Verzweiflung – und über eine mysteriöse junge Frau, die bei Einbruch der Dunkelheit die Straßen unsicher macht.

Die Stadt mit dem sprechenden Namen ist eine hübsche B-Movie-Fantasie wie aus einem Robert-Rodriguez-Film. Die Straßenzüge liegen unverkennbar im mexikanisch-amerikanischen Grenzgebiet, die Figuren unterhalten sich jedoch auf Farsi, und Autos haben iranische Kennzeichen. Die nächtlichen Kontraste sind nicht ganz so hart wie die Bilder in Rodriguez’ „Sin City“, die Kriminellen hingegen wären es gerne. Der Dealer Saeed hat sich das Wort „Sex“ auf den Hals tätowiert und trägt ein albernes Hipsterbärtchen.

Der junge Arash mit seinem James-Dean-Outfit und dem hart ersparten Ford Thunderbird ist so etwas wie die Lichtgestalt in „A Girl Walks Home Alone at Night“. Er kümmert sich um seinen drogenabhängigen Vater und würde lieber heute als morgen aus Bad City verschwinden. Diese Hoffnung zerschlägt sich, als Saeed seinen Ford als Pfand für die Schulden des Vaters einkassiert.

„A Girl Walks Home Alone at Night“. Regie: Ana Lily Amirpour. Mit Sheila Vand, Arash Marandi u. a. USA 2014, 99 Min.

Eine Gleichgesinnte findet Arash in einer jungen Frau, die ihr markantes Gesicht hinter einem Tschador verbirgt. Nachts rollt sie auf einem Skateboard durch die leeren Straßen auf der Suche nach dem nächsten Opfer. Ihre dunklen Kajalaugen bilden einen schönen Kontrast zu ihren suggestiv verschmierten Lippen, den Spuren ihres letzten vampire kiss.

Tschador und Skateboard

Die Namenlose liest Arash auf der Straße auf und nimmt ihn mit zu sich nach Hause: Zwei verlorene Seelen haben sich gesucht und gefunden. Das Knistern ihrer Vinylschallplatten verströmt dabei eine ähnlich retroselige Melancholie wie der Soundtrack zwischen Indierock und Morricone, der Lyle Vincents monochrome Bilder untermalt. Die Nacht hüllt das ungleiche Paar in tröstliche Schatten.

Eine neuerliche Kopftuchdebatte wird „A Girl Walks Home Alone at Night“ nicht auslösen, dennoch schwingt in Amirpours Film eine feministische Agenda mit, denn die Opfer der Vampirin sind allesamt Vertreter einer patriarchalischen, sprich: gewalttätigen, Ordnung. „Sei ein guter Junge“, warnt die Vampirin einmal ein verängstigtes Straßenkind.

Ihre Erkennungsmerkmale, Tschador und Skateboard, weisen die schweigsame Heldin als eine Reisende zwischen den Welten aus. Das Taqwacore-Mädchen bewegt sich wie ein Geist durch ein stilvoll ausgestattetes Hipsterville (Taqwacore steht für eine islamisch geprägte Punksubkultur).

Vor über dreißig Jahren entsprangen die Filme, auf die Amirpour sich bezieht, subkulturellen Szenen, die vom Punk und der Gegenwartskunst beeinflusst waren. Jarmuschs Frühwerk, das er in seinem Vampirfilm „Only Lovers Left Alive“ kürzlich selbst ironisch historisierte, oder David Lynchs „Eraserhead“ begründeten eine neuartige Filmsprache zwischen Genre- und Kunstkino.

In „A Girl Walks Home Alone at Night“ fungieren das Vinylknistern, der Amischlitten und das Ringelshirt des Vampirmädchens nur noch als Referenz an eine vergangene Epoche. Amirpour verbindet diese Spuren auf unaufgeregte Weise zu einer sehenswerten Hommage, die – ähnlich wie ihre Hauptfigur – am Ende aber auch etwas blutleer wirkt.

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