Feministischer Buchladen in Mailand: Wo Männer nur eine Fußnote sind
Die Libreria delle donne gilt als ältester Frauenbuchladen Italiens. Dieses Jahr wird er 50. Besuch an einem Ort, der den Feminismus bis heute prägt.

In den 80er Jahren ist Sattler von Heidelberg nach Mailand gezogen, hat die Libreria kennengelernt und ist ihr immer noch verbunden. Im Laufe des Gesprächs mit der taz füllen sich die vielen Sessel und Sofas im Saal, immer wieder schließt sich eine Gesprächsteilnehmerin an. Man merkt schnell: An diesem Ort ist die Diskussion zu Hause. Es wird viel Wert auf Beziehungen gelegt.
Die Veranstaltung an diesem Samstagnachmittag Ende Februar ist die erste im Rahmen des 50. Jubiläums des Buchladens. Die Libreria delle donne wurde 1975 von einem Dutzend Aktivistinnen gegründet, als die Frauenbewegung in vollem Schwung war.
Damals fehlten weiterhin Orte jenseits der Privatwohnungen, wo Feministinnen sich treffen konnten – und wo sie jene Bücher besorgen konnten, die nicht per Mausklick zu bestellen waren.
Als Inspiration diente die Librairie des femmes in Paris, die 1974 eröffnet worden war. Anders als die Französinnen entschied sich die Mailänder Gruppe, nur Bücher von Frauen zu verkaufen. Inzwischen ist der Buchladen wegen einer Mieterhöhung einmal umgezogen und ausgewählte Männerbücher stehen unter dem Label „Frauenfreunde“ doch in den Regalen (unter ihnen „Das Manifest der Kommunistischen Partei“).
Die Mehrheit der Bücher ist von weiblichen Autorinnen: von der Theoretikerin Carla Lonzi, die zu den wichtigsten Vordenkerinnen des italienischen Feminismus zählt, bis hin zur deutschen Schriftstellerin Jenny Erpenbeck.
Eine Art Genossenschaft
Es ist nicht der einzige Frauenbuchladen, der während der sogenannten zweiten Welle der Frauenbewegung entstanden ist. Und wie in den anderen wurde auch hier viel diskutiert, geschrieben, geliebt.
Doch die Geschichte der Libreria ist besonders: Während viele Läden zu normalen Unternehmen geworden sind oder schließen musste, wie der Münchner Lillemor’s Frauenbuchladen, ebenfalls 1975 gegründet (am gleichen Ort hat inzwischen der queerfeministische Buchladen Glitch eröffnet), bleibt die Libreria eine Cooperativa, eine Art Genossenschaft.
„Wir sind noch da“, sagt lächelnd Mitgründerin Lia Cigarini, die inzwischen für die Veranstaltung eingetroffen ist. Angestellte Buchhändlerinnen gibt es nicht. Hinter der Kasse sitzen nur Ehrenamtliche.
Perspektivisch könnte es ein Problem sein: Jüngere Frauen haben es schwer, ihre langen Arbeitszeiten mit Familie und Schichten im Buchladen zu kombinieren, sagt Laura Colombo. Sie ist Informatikerin und engagiert sich seit Jahren hier.
Die Zeit für das gesellschaftliche und politische Engagement wird weniger, das könnte Folgen haben. Aber noch funktioniert es“, sagt sie. Zusammen mit der Philosophinnengemeinschaft Diotima aus Verona um Luisa Muraro, die zu den Gründerinnen des Ladens gehört – und die an diesem Nachmittag auch im Publikum sitzt –, entwickelte sich die Libreria in den 70er und 80er Jahren zu einem der Zentren des Differenzfeminismus.
Diese Theorie war in Italien, anders als in Deutschland, sehr einflussreich und ist es bis heute. Die feministische Strömung stellt den Unterschied zwischen Männern und Frauen in den Vordergrund. Statt um Anerkennung innerhalb eines männlichen Systems zu kämpfen, zelebriert sie traditionell weiblich definierte Tätigkeiten und Eigenschaften, zum Beispiel Fürsorgearbeit oder Muttergefühle.
Praxis des Anvertrauens
Wichtig dabei ist die politische Praxis des Anvertrauens („Affidamento“), einer direkten Beziehung oder Allianz zwischen Frauen über Generationen hinweg, um gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, ohne sich den männlichen Hierarchien anpassen zu müssen. Von anderen feministischen Gruppen wird der Differenzfeminismus kritisiert. Diese Theorie würde existierende Geschlechterstereotype und binäre Ansätze auf Männlichkeit und Weiblichkeit zementieren und die Vielfalt der Lebensrealitäten nicht beachten.
Auch Streitigkeiten über Themen wie Leihmutterschaft sind unausweichlich. In der Libreria gibt man sich offen und will keine intergenerationellen Barrikaden hochziehen, im Gegenteil. Giordana Masotto, eine der Gründerinnen, sagt, der große Altersunterschied zwischen den Aktivistinnen sei „phantastisch“. Denn er ermögliche unterschiedliche Perspektiven.
Sie spüre vor allem „Dankbarkeit“ – gegenüber den Frauen, mit denen sie vieles angestoßen habe, und gegenüber den 20- und 30-Jährigen, die neugierig seien und Lust haben, das Erbe zu pflegen und weiterzumachen.
„Ohne uns auf einen Sockel zu stellen, sondern mit ihren eigenen Ideen“, sagt sie. Immer noch wird die „Libreria“ von vielen Frauen besucht, die die zweite feministische Welle erlebt haben, aber im Publikum – wie auch an diesem Nachmittag – sitzen auch junge Frauen (und Männer).
Die jüngeren Generationen haben keinen einfachen Weg vor sich: Laut dem Global Gender Gap Report 2023, einem Bericht des Weltwirtschaftsforums, der die Kluft der Geschlechter analysiert, liegt Italien auf Platz 79 von 146 Ländern (Deutschland belegt den 6. Platz). Obwohl Frauen in Italien durchschnittlich besser ausgebildet sind als Männer, liegt ihre Beschäftigungsquote rund 18 Prozentpunkte niedriger (52 Prozent bzw. 70 Prozent).
Sexismus und genderspezifische Gewalt sind noch sehr verbreitet, 2024 wurden mindestens 97 Feminizide gemeldet. Und zudem sind Frauen in der Politik stark unterrepräsentiert. Hinzu kommen die Außenbedingungen: Die Klimakrise, internationale Konflikte wie in der Ukraine und im Nahen Osten, in denen die Position der Frau von verschiedenen Seiten instrumentalisiert wird.
So wurde nach dem 7. Oktober Teilen der Linken vorgeworfen, aus ideologischen Gründen zur Gewalt der Hamas gegen Jüdinnen geschwiegen zu haben. Und nicht zuletzt ist da ein politisches Klima, das weltweit immer konservativer wird.
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