Feministische Belletristik: Manifeste? Jetzt kommen Romane
Der Feminismus taugt nun für massenkompatible Fiktionen. Das beweisen die aktuellen Bücher von Meg Wolitzer und Christina Dalcher.
Sie ist Anfang 70, trägt Wildlederstiefel und hat „natürlich“ ein umwerfendes Lachen. Sie gründete einst das erste feministische Magazin des Landes, schrieb einen Bestseller, der eine Frauengeneration nach der anderen inspirierte, doziert in Univorträgen sanft, dass alle, die für Gerechtigkeit seien, auch Feministinnen seien, den Begriff abzulehnen, sei daher schlicht ignorant.
Sie plädiert für intersektionalen Feminismus, leitet eine millionenschwere Stiftung, um Mentorinnenprojekte anzuschieben und Expertinnen endlich eine Bühne zu geben. Kurz: eine Ikone. Ihr Schaffen ist der feuchte Traum feministischer Aktivistinnen unserer Zeit. Selbst ihr Name klingt wie eine Marke für Überzeugungstäterinnen: Faith Frank. Bäm-bäm!
Und in der Tat, das zeitgenössische Universum um jene US-Feministin, das Meg Wolitzer sich in ihrem Roman „Das weibliche Prinzip“ – Titel von Franks legendärem Bestseller – ausgedacht hat, wirkt zu fantastisch, um wahr zu sein. Mittendrin eine Gloria-Steinem-Version, aber mit Superglanzpolitur und der lässigen Rockstar-Aura von Patti Smith.
Erzählt wird über die Zeitspanne von 2006 bis heute aus der Perspektive der jungen Greer, die als Erstsemesterin bei einem Frank-Besuch entflammt, sich politisiert und später für sie arbeitet. Aus deren Memoir-Perspektive wirkt Wolitzers Titel wie eine Feststellung: So wie die Frauen einander stützen, sich gegenseitig ins Licht die Leiter hinaufschubsen, das ist es, „Das weibliche Prinzip“ heute.
Meg Wolitzer: „Das weibliche Prinzip“. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Dumont, Köln 2018. 544 Seiten, 18,99 Euro.
Schon der Titel verweist im Ton auf all die einschlägigen Lehrbücher, Simone de Beauvoirs „Das zweite Geschlecht“, Bell Hooks’ „Feminism is for Everybody“, Judith Butlers „Das Unbehagen der Geschlechter“, Kate Millets „Sexual Politics“ oder Alice Schwarzers „Der kleine Unterschied“.
Die Popularisierung des Feminismus
Nun ist dieser Roman mit Manifestflair eine von zwei Neuerscheinungen, die explizit feministische, emanzipatorische Sujets beackern und schon vorab zu internationalen Bestsellern hochgejubelt wurden. Der andere Titel ist Christina Dalchers „Vox“, ein Sci-Fi-Thriller über eine Gesellschaft, in der Frauenunterdrückung Gesetz ist.
Es scheint derzeit, als flankiere zunehmend Fiktionales die Rolle von Debattentexten. Neben Laurie Pennys „Fleischmarkt“-These oder Rebecca Solnits Ätzschrift „Wenn Männer mir die Welt erklären“ scheint die Wirkkraft von Romanen immens: Man denke an „Americanah“ von Chimamanda Ngozi Adichie, „I love Dick“ von Chris Kraus, Siri Hustvedts „Die gleißende Welt“ oder Han Kangs „Die Vegetarierin“, vom weltweiten Ruhm der TV-Serienadaption des Margaret-Atwood-Klassikers „Report der Magd“ ganz zu schweigen. Die Popularisierung des Feminismus: Er taugt für massenkompatible Fiktionen.
Angesichts der facettenreich geführten Debatte von #MeToo bis #mansplaining dürfen diese zwei neuen Romane daher als Gradmesser dienen. Und, nun ja, alle zwei lassen einen sitzen, mal brutal, mal nur punktuell. Moment mal, ging es nicht gerade noch um was?
Realitätsschock einer jungen Idealistin
Als Bestandsaufnahme des Status quo wirkt Meg Wolitzers „Das weibliche Prinzip“ in der Summe zu schwesternschafthaft für realistischere Gemüter. Die feministische Initiationsstory von Greer Kadetsky zu verfolgen, ist zwar anrührend: ihr Krampf mit ihren Eltern, der Prozess, mit dem sich die Beziehung zu ihrem Freund entlang ihrer Karriereperspektiven wandelt, ihr dabei zuzuschauen, wie sich ihre Werte festigen.
Doch der Generationenbruch innerhalb der Story wirkt überraschend lebensfremd: als Greer feststellt, dass Faith Frank korrumpierbar ist. Das ist mehr als der Realitätsschock einer jungen Idealistin. Für zeitgenössische Relevanz ist das Setting zu sehr auf Heititei ausgelegt, da hilft auch die #MeToo-Anekdote nach einer Collegegrabscherei nicht.
Die Tragik dieser demaskierten Ikone erinnert unweigerlich an Alice Schwarzer und ihren Einsatz als Kachelmann-Prozess-„Beobachterin“ der Bild; wobei die einen Generationenkampf aufmacht, den Frank nicht führt – jüngere Aktivistinnen als „Hetzfeministinnen“ diffamieren, never. Der feministische Generationenkonflikt scheint hier wohl krasser, da die Auswahl an Vorbildern nicht so breit ist wie in den USA. Dass in diesem Jahr gleich zwei Hollywoodfilme (eine Doku, ein Biopic) über die Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg anlaufen, passt dazu.
Christina Dalcher, „Vox“. Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle und Marion Balkenhol. Fischer, Frankfurt am Main 2018. 400 Seiten, 20 Euro.
Frauen, denen alles genommen wurde
Nimmt man Christina Dalchers „Vox“ als Maß für den Debattenstand, hat die Megamassentauglichkeit gewonnen. Dabei hat dieses Debüt mit seiner imposanten Marketing-Bugwelle im Kern eine geniale Idee: Dalcher, promovierte Linguistin, dreht den Gedanken um Männerdominanz derart konsequent zu Ende, dass einem das Gruseln kommt. Nach der offensichtlichen Vorlage, Atwoods Dystopie „Report der Magd“, werden ihre USA der nicht allzu fernen Zukunft von christlichen Fundamentalisten regiert.
Den Frauen ist alles genommen, was sie zu Bürgerinnen und Menschen macht, Pass, Geld – und vor allem ihre Worte. Ihre „Vox“, ihre Stimme, ist zu vernichten: Mädchen wie Frauen tragen Zählarmbänder, nach hundert Wörtern am Tag ist Schluss. Dann gibt es Stromstöße bis zur Ohnmacht, ganz rebellische werden weggesperrt. Einen Job jenseits von unbezahlter Hausfrauenarbeit gibt es nicht. Die Macht, Kinder zu gebären, ist offenbar bedrohlich genug.
Die Heldin des Sci-Fi-Thrillers ist Jean McClellan, eine arrivierte Neurolinguistin, reduziert auf die Rolle als Gattin und Mutter von drei Kindern. Dalchers Clou geht auf, indem sie zeigt, wie Jean ohnmächtig verfolgt, dass ihre kleine Tochter stolz darauf ist, Klassenbeste im Nichtsprechen zu sein. Und wie brutal es ist, wenn bei ganzen Frauengenerationen aus Nichtsprechen ein Nichtdenken zu werden droht.
Als der Präsidentenbruder ein Hirntrauma erleidet, soll sie ihre Forschung an einem Anti-Aphasie-Serum weiterentwickeln, um sein Sprachzentrum zu retten. Und lässt sich auf einen Deal ein. Doch die geradezu aufrührerische Idee, um die Dalcher ihren Plot strickt, ist wirkungslos gegen unsägliche Stereotype, die ihren Dan-Brown-Lookalike-Roman prägen. Das irre Weltuntergangskomplott mit Biowaffenkriegsszenario kann Jean selbst nicht verhindern – sie braucht einen Ritter: ihren Lover mit dem Groschenroman-Namen Lorenzo.
Am schlimmsten aber ist die Verklemmtheit, die Dalcher als das Normale präsentiert: „Wir hatten es noch nie auf dem Campus getan, nicht das große Es, nicht den heiligen Gral körperlicher Intimität“, erzählt Jean. Und: „Einmal war er mir in den Waschraum des Instituts gefolgt und hatte mich – ich schäme mich, das zuzugeben – nur mit einem Finger zum Orgasmus gebracht.“ Nun ja.
„Außenstimmen“
Dass Feminismus in der Populärliteratur angekommen ist: super, geschenkt. Aber Dalcher verknüpft sich ausschließende Prinzipien von Selbstbestimmung. Die Frau, das schwache, prüde Wesen – so verheerend wie die verquere Darstellung weiblicher Lust in „Shades of Grey“.
Am Schluss steht dann doch wieder eine Streitschrift: Als der Roman „Das weibliche Prinzip“ endet, steht Greers „Außenstimmen“ ein Jahr lang auf der Bestsellerliste. „Das Buch, sicher nicht das erste seiner Art“, heißt es, „war ein lebhaftes und optimistisches Manifest, das die Frauen nicht nur ermutigte, den Mund aufzumachen, sondern dessen Titel obendrein doppeldeutig war, weil sich Frauen im Jahr 2019 natürlich stärker denn je als Außenseiter empfanden.“
Ein Satz, der in seiner Beliebigkeit auf jedem Umschlag jedes als „feministisch“ gelabelten Sachbuchs stehen könnte. „Die Menschen wünschten sich, dass man aktiv wurde“, deklamiert Greer, in einem Akt der „Er-Wut-igung“, drumherum trillert die Marketingmaschine.
Moment, das soll es gewesen sein? Die Rettung des Feminismus ist seine Kommerzialisierung? Kurz der Verdacht, es könnte ein selbstironischer Kommentar sein. Aber nein, dafür ist Wolitzers Anliegen, ihr Plädoyer für feministische Inspirationsfiguren dann doch zu ernsthaft. Und auch bei „Vox“: keine Spur von Persiflage. Schade eigentlich. Vielleicht kann das ein Gradmesser sein: Ein echter, belastbarer Fortschritt ist erst erreicht, wenn das Thema auch als liebevolle Satire funktioniert.
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