„Feindesliste der Pressefreiheit“: Zusammen mit Autokraten
Reporter ohne Grenzen listet Viktor Orbán erstmals als einen der größten Feinde der Pressefreiheit. Die Gründe dafür mehren sich seit Jahren.
Der russische Präsident und der saudische Thronfolger stehen im Verdacht, die Morde an Anna Politkowskaja und Jamal Khashoggi erlaubt oder persönlich befohlen zu haben. In Ungarn müssen keine Journalist*innen um ihr Leben fürchten, sie können mit der Gewissheit arbeiten, dass ihre Freiheit nicht auf dem Spiel steht. Die Grenze der physischen Gewalt wurde nicht überschritten, und keine Kolleg*innen sind je zu Gefängnis verurteilt worden. Die anderen Feinde der Pressefreiheit sind Führer menschenverachtender Regime, der ungarische Ministerpräsident glaubt aber, ein Demokrat zu sein, wenn auch illiberaler Ausprägung.
Es gibt aber gute Gründe, Orbán auf die Liste zu setzen. Nach seinem Wahlsieg 2010 hat er gleich angefangen, die ungarische Medienlandschaft neu zu ordnen. Erst wurden die Öffentlich-Rechtlichen abgemagert, bis nur ihre Skelette übrig blieben. Sie müssen die Inhalte aus dem Treuhandfonds für Mediendienste (MTVA) beantragen. So gibt es eine zentrale Produktionsstätte für alle Berichte, die über den Ungarischen Nachrichtendienst (MTI) und die Kanäle des Staatsfernsehens und -radios vertrieben werden.
Den Intendanten ernennt der Staatspräsident nach dem Vorschlag des Ministerpräsidenten, so besteht eine direkte Abhängigkeit des Chefredakteurs von Viktor Orbán. Das sieht man auch an den Beiträgen. Aus Deutschland berichten in den Reportagen zum Beispiel Passanten über Migrantenkriminalität, die in Wahrheit AfD-Politiker sind, was verheimlicht wird. Es wird gelogen, gefälscht, verschwiegen. Und damit es eine noch größere Reichweite gibt, wurde der Ticker des Nachrichtendienstes umsonst angeboten. Die unterfinanzierte ungarische Presse benutzt seitdem die vergifteten News von MTI.
Eigenes Medienimperium
Der nächste Schritt war, die freien Medien aushungern zu lassen, damit sie aufgekauft werden können. Deutsche Firmen haben anscheinend mitgeholfen: die einen mieden, in den unabhängigen Publikationen Inserate zu schalten, und die Verlagshäuser haben ihre Medien an Orbáns Oligarchen verkauft. Deutsche Telekom, Springer, ProsiebenSat.1 Media, WAZ, alle haben wichtige Sender, Zeitungen und Portale an das Regime weitergegeben.
Inzwischen sind fast 500 verschiedene Medienprodukte in einer regierungsnahen Stiftung KESMA vereint. Ungarns Botschafter in Washington, László Szabó, wurde nach Hause beordert, damit er dieses Monster leitet. Entstehen konnte die Stiftung nur, weil Oligarchen bereit waren, ihre Medienprodukte ohne Gegenleistung an KESMA zu schenken, und die Regierung mit dem Hinweis des „national strategischen Interesses“ eine Prüfung durch das Kartellamt untersagte.
Orbán hat also viel investiert, ein eigenes Medienimperium aufzubauen. Er hatte aber auch Zeit, unliebsame Redaktionen dicht zu machen. Die Liste ist lang, inzwischen sind die zwei großen Portale des Landes, Origo und Index, auf Linie gebracht. Die zwei größten Tageszeitungen wurden eingestellt, Népszabadság durfte nie wieder erscheinen, Magyar Nemzet erweckten sie als Zombie wieder, seitdem ist sie die ungarische Prawda. Dazu kommen ungezählte Magazine, Online-Angebote und Radios. Als bislang letztes musste Klubrádió ihre Frequenz abgeben, die Redaktion versucht im Internet zu überleben.
Mitten in der EU
Ähnlich wirksam erwies sich die Tatsache, dass in Ungarn korrupten Politikern keine Konsequenzen drohen, so lang sie Orbán die Treue halten. Dadurch werden in den verbliebenen freien Medien die Geschichten nie zu Ende erzählt. Es gibt die Vermutung, aber nichts folgt darauf: die Polizei bleibt untätig, die Staatsanwaltschaft schaut weg, und die Regierung schweigt. Weil sie nicht einmal dementieren, verpuffen die Geschichten, und Quellen wählen lieber das Schweigen, als Risiken auf sich zu nehmen. Gleichzeitig wurde alles zentralisiert, heute muss jeder Schuldirektor, Chefarzt, Theaterintendant und Virologe erst eine Erlaubnis vom jeweiligen Ministerium einholen, damit er oder sie mit Journalist*innen reden darf.
Reicht all das, Orbán als Feind der Pressefreiheit zu listen? Es gibt aber noch einen Grund die Beurteilung von RSF zu befolgen. Orbán hat diesen Umbau mitten in Europa geschafft. Er hat anderen gezeigt, wie man Pressefreiheit abbaut und damit in der EU durchkommt. Heute gibt es teils noch aggressivere Nachahmer, in Polen etwa. Und Orbán hilft nicht nur mit Know How, seine Leute sind in Slowenien und Nord Mazedonien aktiv, um eine illiberale Presselandschaft aufzubauen, zu finanzieren und mitzuverdienen. Und vielleicht steht er in Kürze einer neuen europäischen Parteifamilie vor und versucht seine Methoden in den Westen zu exportieren.
Vor einigen Monaten stellte eine Kollegin aus Österreich, die Profil-Journalistin Franziska Tschinderle, einige Fragen an Orbáns Partei Fidesz, um über die Chancen einer populistischen Fraktion im Europäischen Parlament mehr zu erfahren. Eine Antwort bekam sie von Fidesz nicht, die Partei hat aber den Brief an das ungarische Staatsfernsehen weitergeleitet, und das hat daraus einen Beitrag mit dem Titel „Journalistin provoziert mit Fragen“ gemacht. Damit alle in Europa verstehen, was Medien aus Sicht Orbáns zu tun haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Pro und Contra
US-Präsident Biden hat seinen Sohn begnadigt – richtig so?
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld