Vorlauf: Feindbild Schulmeister
■ "Feindbilder. Propagandafilme im Zweiten Weltkrieg"
„Feindbilder. Propagandafilme im Zweiten Weltkrieg“, 23.00 Uhr, ARD
Eine glänzende Idee, elend vertan. Erwin Leiser, ein unprätentiöser, vor allem genauer Dokumentarist, dessen Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten stilbildend wirkte, hatte sich vorgenommen, Propagandatechniken und Feindbilder im Zweiten Weltkrieg vergleichend zu analysieren. Aber der Ertrag ist ärmlich. Allzu häufig erscheint der Meister selbst auf dem Bildschirm, zu lange und gemächlich erklärt er uns, was sich auf dem ausgewählten Material geschichtlich abgespielt hat und bestätigt damit ein Feindbild, das offensichtlich im Krieg wie im Frieden gilt: das des deutschen Schulmeisters.
Das Gezeigte – Wochenschauen, Dokumentarfilme, Spielfilmsequenzen aus amerikanischen, britischen, sowjetischen und deutschen Studios – wird kaum aufeinander bezogen, eine vergleichende Darstellung der Manipulationstechniken aus dem Material heraus gar nicht erst versucht. Statt darauf hinzuweisen, daß eine brutale Mordszene aus dem nazistischen Propagandafilm „Ohm Krüger“ dem großen Eisenstein entwendet worden war, hätte Leiser die entsprechende Sequenz des sowjetischen Films unbedingt zeigen, beide Ausschnitte genau vergleichen, die spezifisch nazistische Umdeutung sichtbar machen müssen. Es hätte sich angeboten, ja aufgedrängt, das gleiche historische Ereignis, zum Beispiel die Schlacht bei Stalingrad, aus der je unterschiedlichen Propaganda- Optik zu zeigen. Stattdessen blieb Leisers Verfahren additiv, er selbst der Chronologie verhaftet.
Offensichtlich hängen Feindbilder eng mit Selbstbildern zusammenhängen. Die von Leiser zitierten sowjetischen Filmbeispiele verraten viel vom übersteigerten Pathos, von der Selbstinszenierung des „Sowjetmenschen“. Die deutsche Propaganda feiert den Herrenmenschen im Bild des dräuenden Untermenschen. Nur einigen der „anglo-amerikanischen“ Propagandafilmen gelingt es, den Abgrund zu überspringen, der uns von der Gefühlswelt jener Epoche trennt. Wir entdecken in Leisers Sammlung hinreißende Montagen, intelligente Trickfilme, sogar Distanz zur Siegerpose. Es lebe die Westorientierung!C.S.
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