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Foto: Tom Nicholson/imago

Feierlichkeiten zum BrexitFeier und Wut

Brexit-Anhänger*innen feiern am Abend Großbritanniens Unabhängigkeit. Gegner*innen treffen sich zu EU-Trashpartys und Trauermärschen.

A ndrew Rosindell weiß schon genau, was er an diesem Freitagabend machen will. „Wir werden stilvoll feiern und um 23 Uhr werden wir ‚God Save the Queen‘ und ‚Rule Britannia‘ singen“, verriet der erzkonservative Abgeordnete für den Ostlondoner Wahlkreis Romford in einem Zeitungsinterview zum Brexit am 31. Januar.

Auf seiner Party im Margaret Thatcher House – so hat Rosindell sein Wahlkreisbüro getauft – wird er nur Drinks, Musik und Leckereien aus Großbritannien und dem Commonwealth erlauben. „Es wird englischen Sekt ­geben und nichts Deutsches oder Französisches.“

So wie Rosindell versammeln sich am Freitagabend viele Brexit-Anhänger*Innen im ganzen Land. In Lymington im Süden Englands lädt etwa die konservative Bezirksabgeordnete Janette Duke zu einer „Wir stehen hinter Großbritannien“-Feier im Borough Arms Pub ein. Im Programm: traditionelle Lieder, Würstchen und Fritten – und natürlich Anstoßen auf Boris Johnson.

Duke versteht den Abend als Unabhängigkeitsfeier, aber auch als „Initiative, um geteilte Meinungen wieder zusammenzubringen“. In einem Interview sagt sie: „Es ist ein wichtiges Datum in der Geschichte unseres Landes, und es wird gut sein, die Zukunft zu feiern“ und „to make Britain great again“, ein beliebtes Wortspiel im Jargon vieler Nationalisten.

Auch in der zentral gelegenen Stadt Kettering in Northamptonshire wird das Rising Sun Pub in Rot, Weiß und Blau dekoriert. Der konservative Wahlkreisabgeordnete Philip Hollobone, der persönlich am Tresen zapfen wird, lädt zu einem „Old Cockney Knees-Up“ mit Kneipenliedern und Steak. Der Wirt Dave Cooper freut sich: „Lasst uns endlich mal Demokratie feiern.“

Den Brexit feiern, das ist auch in der Stadt Morley in Yorkshire angesagt. Dort lädt die konservative Abgeordnete Andrea Jenkyns gemeinsam mit der ausscheidenden konservativen Europaabgeordneten Lucy Harris zu einer Pub-Nacht mit Gesang ein. Yorkshire sei „die Geburtsstätte des Brexit, weitab von der Westminster-Blase, in der Remainer-Bürokraten versuchen, unsere Feiern zu stören“, behauptet Jenkyns. Der Abend des 31. Januar, das sei ein „Fest unserer Freiheit und Zukunft als vereintes Land“.

Dennoch veranstalten die EU-Befürworter*innen offenbar lieber ihre eigenen Feste. In einem Bierkeller in London ist am Freitagabend ein Eurotrashfest geplant, wo alles von Abba bis zu den Zombies gespielt werden soll. Statt „God Save the Queen“ soll dort um 23 Uhr die EU-Hymne ertönen. „Vergesst die Welt draußen und vereint euch mit unseren gemeinsamen EU- Bür­ger*Innen und Freunden für Drinks und Boogie!“, schreiben die Veranstalter auf ihrer Einladung. Mögliche Einnahmen sollen an die Kampagne „the3million“ fließen, die sich für die Rechte von EU-Bürger*Innen in Großbritannien einsetzt.

Britische Flaggen schmücken die Prachtstraße zum Buckingham Palace Foto: Dominic Lipinski

Andere Remainer, so werden Brexit-Gegner in Großbritannien genannt, treffen sich zu Wachen, Schweigemärschen oder Trauerfeiern. „Unsere Solidarität gilt allen Opfern von Johnson, Salvini, Orbán und Trump“, heißt es etwa in einem Aufruf aus Winchester. Und eine Londonerin schreibt auf ihrer Einladung für den Freitagabend an einen Freund, der EU-Bürger ist: „Ich wollte Freunde wie Dich einladen, die höchstwahrscheinlich so fühlen wie ich – ich nenne es Brexit-Trübsinn, aber es könnte auch Brexit-Wut heißen.“

Im schottischen Stirling organisiert die Ärztin Victoria Lee mit anderen aus der Kampagne Stirling4Europe einen Abend mit Pro-EU-Politikern. „Für mich ist das ein Tag der Trauer“, erzählt sie und erklärt, wie wichtig ungehinderte Zuwanderung gerade für Schottland sei – es sei nicht überraschend, dass Schottland nun das Recht fordere, eigene Visa auszustellen. Zum Ende der Veranstaltung wird Beethovens Neunte erklingen. Auch in Glasgow und Edinburgh gibt es ähnliche Veranstaltungen, genauso wie in Kent, Newcastle, Brighton oder Cardiff.

Im Vorfeld dieses historischen Tages ist von Versöhnung zwischen den beiden Lagern wenig zu spüren. Dass der Vollzug des Brexit nach drei Jahren Streit Großbritannien wieder vereinen soll, war ein zentraler Teil des Wahlkampfs von Boris Johnson bei den Wahlen im Dezember gewesen. Nun will der Premierminister am Abend des 31. Januar auf die Frontseite seines Amtssitzes, in 10 Downing Street, eine Uhr projizieren lassen, die um 22 Uhr einen Countdown beginnen wird.

Seit Jahren steht Remainer-Aktivist Steve Brayr mit Zylinderhut und Megafon vor dem Parlament Foto: reuters

Punkt 23 Uhr gibt es dann eine kurze, vorab aufgenommene Ansprache des Premierministers. Britische Flaggen sollen die Prachtstraße zum Buckingham Palace und den Platz vor dem Parlamentsgebäude schmücken, Farbprojektionen in Rot, Weiß und Blau sollen überall im Regierungsviertel „Stärke und Einheit der vier Nationen“ des Vereinigten Königreichs demonstrieren.

Farbenspiele im Zentrum Londons reichen den überzeugten Brexiteers aber nicht aus. Vergeblich versuchten sie, die wegen Renovierungsarbeiten stillgelegte Glocke „Big Ben“ des Parlamentsturms erklingen zu lassen. Nun wird Richard Tice, Vorsitzender der Brexit Party, am Freitag, Punkt 23 Uhr eine Tonaufnahme des Big Ben auf der von ihm geplanten Straßenfeier vor dem Parlament laufen lassen. Tice fordert dazu auf, mit der unverschämtesten Union-Jack-Bekleidung zum Parliament Square zu kommen: Ein Wald voller Union-Jack-Hosen, -Hemden, -Hüte, -Unterhosen und -Regenschirme ist also zu erwarten.

Remainer-Aktivist*innen Pauline Adams und Simon Wilkes sind nach Jahren des Protests erschöpft Foto: Daniel Zylbersztajn

„Warum nicht?“, fragt Tice. „Habt ein bisschen Spaß und Kreativität. Es ist eine lustige Feier.“ Auch Nigel Farage wird kommen, es gibt Musik, Kabarett und ein Feuerwerk. „Der 31. Januar symbolisiert den Tag, wo das Establishment vom Volk geschlagen wurde“, erklärte Farage in einem Interview.

Um die Ecke vom Parliament Square, auf der Grünfläche „College Green“, von wo aus traditionell TV-Teams über die Vorgänge im Parlament berichten, werden sich zugleich EU-Befürworter versammeln. Die Gruppe „EU Youth“ hat zu einer Veranstaltung aufgerufen. Wahrscheinlich wird die Polizei die Pro- und Anti-Brexit-Veranstaltungen voneinander getrennt halten müssen.

Bereits am Mittwoch kehrten die Remainer zum Parlament zurück, um ihre EU-Fahnen zu schwenken. Steve Bray steht seit Jahren mit seinem Megafon vor dem Parlamentsgebäude und stört mit seinen lauten „Stop Brexit!“-Rufen jede TV-Liveschaltung. Jetzt wirkt die Gruppe hinter ihm, um die 15 Leute, relativ ruhig. Nicht zuletzt auch, weil der früher ständig anwesende Gegenpol der Brexiteers nicht mehr da ist.

Vielleicht trägt Bray auch deshalb keine Bodykamera mehr zu seiner Sicherheit. Die Aufschrift des Bandes an seinem legendären Zylinderhut hat sich geändert. Statt „Stop Brexit!“, steht da „Why Brexit?“. Als Umhang trägt er auch keinen normalen Union Jack oder EU-Flagge mehr, sondern eine farblose Version der britischen Flagge.

Wir werden so lange weiter demonstrieren, bis wir wieder in der EU sind

Steve Bray, Ikone der Remain-Kampagne

„Es ist ein grauer Zwischenton, der weder trauert noch feiert“, erklärt er der taz. Entgegen Berichten, dass er seine Kampagne beendet hätte, antwortet er: „Nein, wir haben nie aufgehört, wir haben lediglich eine Pause zum Umdenken gemacht.“ Und er verkündet, dass er und andere sich ab jetzt jeden Mittwoch, dem Tag der Fragestunde des Premierministers im Unterhaus, vor dem Parlament versammeln werden, um für den Wiedereintritt in die EU zu demonstrieren – so lange, „bis wir wieder in der EU sind, denn trotz Brexit ist Großbritannien das Land mit den EU-enthusiastischen Menschen“, behauptet Bray, bevor sein Handy klingelt und er wieder ein Interview gibt.

Hinter der Ikone der Remain-Kampagne stehen an diesem Tag, mit EU-Kappen und -Ansteckern ausgestattet, die Animationstechnikerin Pauline Adams und der einstige IT-Experte Simone Wilkes. Die beiden Mittfünfziger sind gekommen, um zu zeigen, dass es sie noch gibt. Sie geben aber beide zu, dass sie nach Jahren der Pro-EU-Märsche und -Kampagnen ausgeleiert und frustriert sind. „I am bloody miserable“, fasst Adams ihr Gefühl zum 31. Januar zusammen.

Beide werden am Freitag nicht auf irgendwelche Feste oder Trauerveranstaltungen gehen. „Ich habe genug von Beschimpfungen und Drohungen gegen uns“, sagt Adams, und auch Wilkes will lieber einen Abend am Computer verbringen und mit europäischen Freunden chatten. „Ich habe ein Jahr lang nicht gearbeitet, um mich für den EU-Verbleib einzusetzen. Wahrscheinlich werde ich bald meinen alten Job wieder anfangen“, sagt Wilkes. Selbst Bray will sich jeder Feier am Freitag enthalten.

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