: Fauler Kompromiß
■ Erklärung der Leipziger Hungerstreikenden
Wir protestieren dagegen, daß der volle Wortlaut der Verhandlungen zwischen Dr. Schäuble und Dr. Krause weder der Allgemeinheit noch uns selbst bekannt gegeben wurde. Die Informationen aus den Medien beziehungsweise das, was zu entnehmen war, entspricht in keiner Weise den Hauptforderungen der HungerstreikerInnen in Berlin, Leipzig und Dresden. Die zwei Hauptforderungen sind nach wie vor:
— das Gesetz vom 24.8. 1990 über den Umgang mit den Stasi-Akten hat ohne Abstriche Bestandteil des Staatsvertrages zu werden,
— jeder bespitzelte Bürger hat über sein von der Stasi angelegtes Personendossier selbst zu entscheiden.
Der Kompromißvorschlag jedoch lautet: Ein gesamtdeutscher Gesetzgeber solle ein Gesetz beschließen, das den Grundsätzen des Volkskammergesetzes weitestgehend folgen soll.
Unsere Fragen dazu: Was heißt „weitestgehend“? Was sind „Grundsätze“? Diese müssen im Einigungsvertrag konkret festgeschrieben werden.
Die Aufarbeitung der Stasi-Verbrechen ist eine Angelegenheit der Länder der ehemaligen DDR, die jedoch als gesamtdeutscher Gesetzesgeber im Bundestag in der Minderheit wären. Ein weiterer Grund für die Fortsetzung des Hungerstreiks ist die Festlegung, daß Zugriffe der Geheimdienste möglich sind bei „Verdacht auf schwere Verbrechen“. Unsere Fragen: Was ist „Verdacht“? Was sind „schwere Verbrechen“? Und warum werden damit nicht die zuständigen Ermittlungsorgane beauftragt?! Wenn im Kompromiß festgelegt wurde, daß Nachrichtendienste keinen Zugriff haben sollen auf die Akten, dann ist das ein Witz: Sie verschaffen ihn sich. Dazu sind sie Geheimdienste. Deshalb: Der Zugriff muß mit einer konkreten Strafe geahndet werden können. Das Volkskammergesetz benannte für diesen Fall zumindest eine Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsentzug. Es ist nicht einzusehen, daß der Schutz der Täter über die Rehabilitierung der Opfer geht!
Wie unsere MitstreiterInnen in der Normannenstraße empfinden auch wir es als eine Ohrfeige für die Opfer, daß offenbar das beschlossene Rehabilitierungsgesetz nun doch wieder nicht Bestandteil des Einigungsvertrages wurde. Wir weisen nochmals darauf hin: Der Regierungsbeauftragte zur Auflösung der Stasi wird vom gesamtdeutschen Gesetzgeber festgelegt. Der Regierungsbeauftragte aber wäre weisungsberechtigt für die Länderbeauftragten. Damit wiederum wäre die juristische Verantwortung zur Auflösung der Stasi, die in den Händen der Länder liegen muß, nicht gegeben. Erklärung der Leipziger
Hungerstreikenden
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