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Faule Ausreden

■ betr.: „Draußen vor der Tür“ von Dilek Zaptçioglu, taz vom 16.12. 97, „Türkei boykottiert EU-Fir men“, taz vom 17.12. 97

[...] Ich wäre sehr froh gewesen, wenn es zu einem Dialog und zu einer Aufnahme der Türkei in die EU gekommen wäre. Ich habe die Befürchtung, daß diese Verhärtung der Beziehungen meinen privaten Bereich beeinflussen, das heißt mir wird es schwer gemacht, in der Türkei zu leben und zu arbeiten. [...]

Ich sehe, wie übrigens viele Türken auch, daß es Probleme im Land gibt (Menschenrechte, Inflation...). Aber niemand redet darüber, daß auch andere Länder Probleme haben, zum Beispiel über die Probleme (Bomben, Tote, Vorurteile) der Engländer und Nordiren.

Das sind alles nur faule Ausreden. Denn diese können gelöst werden. Natürlich schneller mit finanzieller, politischer und, nicht zu vergessen, menschlicher Unterstützung Europas. Was passiert, wenn die Fundamentalisten im Land durch diese vernichtende Absage wieder an Macht gewinnen? Was soll aus der Türkei und ihren Menschen werden, wenn das Militär wieder die Macht gewinnt? Was wird das für politische und wirtschaftliche Konsequenzen für den ganzen europäischen und asiatischen Raum haben? [...] Ich kann nur hoffen, daß die Lage sich entspannt und der Dialog wieder aufgenommen wird. Antje Kirste, Rosenheim

Die durch die Heftigkeit der türkischen Reaktion überraschten westeuropäischen Politiker sowie die Kommentatoren in den Medien neigen dazu, nur die eine Hälfte der Faktoren zu erwähnen, die in die Krise zwischen der EU und der Türkei geführt haben, und zwar nur diejenigen, die die Defizite der Türkei zeigen. Wenn man jedoch mit dem Finger auf einen anderen zeigt, vergißt man leicht, daß weitere drei Finger auf sich selbst gerichtet sind...

[...] Die Europäer, bei denen in der Regel die Vertragstreue einen hohen Stellenwert einnimmt, scheinen in dem vorliegenden Fall mit einigen völkerrechtlich bindenden Verträgen nicht allzu genau umzugehen:

Zypern wird zu den Beitrittsverhandlungen eingeladen, obwohl die Londoner und Züricher Verträge von 1960 ausdrücklich vorschreiben, daß Zypern nur in die Organisationen oder Bündnisse beitreten darf, in denen sowohl Großbritannien als auch Griechenland und die Türkei gleichzeitig Mitglieder sind.

Obwohl die Türkei ihren Verpflichtungen aus dem Zollunion- Abkommen mit der EU nachgekommen ist, hat die EU selbst bisher keinen Schritt unternommen, um ihren Vertragsteil zu erfüllen.

Die Ziele des EU-Assoziierungsabkommens von 1963, welche beinhalten, die Türkei in die EU zu führen, werden mit einem Mal ignoriert.

Die europäischen Politiker waren bisher nicht um „plausible“ Gründe verlegen, sich in vielen Fällen von ihren Vertragspflichten loszusagen. Ich möchte heute nicht mehr nachträglich darüber spekulieren, wie sie sich verhalten hätten und ihren Vertragspflichten nachgekommen wären, wenn innerhalb des Nato-Bündnisses ein Ernstfall eingetreten wäre, in dem die Türkei betroffen wäre. [...] Dr. Görgün A. Necati, Pulheim

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