Faszination Handtasche: Eine begehrte Begleiterin
Die Handtasche ist seit jeher ein feiner Seismograf für die Sehnsüchte, die der Zeitgeist formt. Zu sehen ist das im Deutschen Ledermuseum Offenbach.
Es spielt eigentlich keine Rolle, wo man beginnt. Begleitet dieses Accessoire den Menschen – und keinesfalls allein die Frau, wie sich rasch herausstellen soll – doch seit sehr langer Zeit. Als Handtasche oder Reisetasche, Geldbeutel, Clutch oder Bügeltasche, Bauchtasche, Handgelenkstasche, Aktentasche, Arztkoffer, Handarbeitstäschchen, Tornister, Tabak- und Medizinbeutel.
Die Reihe ließe sich fortführen, weshalb die Kuratorinnen der Ausstellung „immer dabei: Die Tasche“ im Deutschen Ledermuseum Offenbach (DLM) die wörtliche Qual der Wahl hatten. Der umfangreichen Sammlung des Hauses verdankt sich das Gros aller ausgestellten Accessoires. Mit den gut 200 hier ausgestellten Exemplaren hat man dabei gerade einen Bruchteil des museumseigenen Taschenbestands, der wiederum nur eine winzige Sparte der gesamten Sammlung ausmacht, ausgewählt. Der Schwerpunkt liegt auf Objekten aus tierischem Leder, bleibt aber nicht hierauf beschränkt: Die beinahe nostalgisch anzuschauende Plastiktüte ist ebenso vertreten wie der ökobewegte Jutebeutel, das Klapptäschchen aus Edelmetall wie die zeitgenössische Tasche aus Kaktusleder.
Die Ausstellung kann sich auf die Anziehungskraft ihrer Exponate verlassen: Sie verströmen unwiderstehliche Präsenz in den Schauvitrinen und auf den Ausstellungssockeln, man möchte sie aus nächster Nähe begutachten oder begreifen, was in der zweiten Etage zumindest materialtechnisch auch möglich ist.
Neue Normen neue Distinktion
Dieses Vertrauen in die ausgestellten Objekte trägt die Schau. „immer dabei: Die Tasche“ ist keine Thesenausstellung. Nicht jeder einstige Modetrend erlaubt in der Rückschau eine exakte Deutung. Doch größere Zusammenhänge lassen sich ablesen: Wie die Ausdifferenzierung der Tasche eng mit dem Aufkommen eines gehobenen, zunehmend reisefreudigen Bürgertums verknüpft war, zum Beispiel.
Bis 10. August 2025: Deutsches Ledermuseum Offenbach.
Dass es vor den Nationalstaaten geografisch zersplittert zuging, belegen Objekte mit zahlreichen Unterteilungen, die Münzen unterschiedlicher Währung für jede Gelegenheit bereithielten. Besonders prächtig eine kunstvoll dekorierte Doppeltasche mit vielen Einzelfächern aus Deutschland, Ende 16. Jahrhundert, die seinerzeit vom Mann am Gürtel getragen wurde. Überhaupt war das Accessoire längere Zeit primär eine maskuline Angelegenheit, die Tasche für die Frau auch ein Zeichen für gesellschaftlichen Fortschritt.
Doch wann hat sich dieses Bild eigentlich geschlechtertechnisch transformiert, und warum? Sicher kann das auch diese Ausstellung nicht beantworten. Fest steht, dass neue Normen neue Distinktion ermöglichen: Modehäuser werben bewusst mit Schauspielern und anderen männlichen Stars für ihre Taschenkollektionen. Als Mann lässt sich immerhin heute noch oder wieder einigermaßen Aufsehen erregen mit einer eher feminin assoziierten Handtasche. Was ihren Trägern an manchen Orten zugleich auch gefährlich werden kann.
Entlang mehrerer Themenschwerpunkte führt die Schau zwischen Kuriositäten und Kontinuitäten, zwischen den Tendenzen und ihren Ausnahmen durch die (primär europäischen) Jahrhunderte. Wiewohl das älteste Exponat, ein Medizinbeutel aus Ägypten, schon rund 3.000 Jahre alt ist: Er misst gerade eine Fingerlänge. Deutlich voluminöser wurden Taschen viel später.
Das ewige Rumkramen
Das Herumschleppen halber Haushalte verbindet heute jene, die stets flexibel bleiben müssen, wie die Wanderarbeiter Asiens oder die Obdachlosen auf den Straßen Frankfurts, mit jenen, die es können – Handtaschen groß wie Reisekoffer sind längst als Statussymbole etabliert, scheinen aber inzwischen eher wieder auf dem Rückzug.
Als omnipräsentes unter den nicht unmittelbar notwendigen Accessoires ist die Tasche feiner Seismograf für die Sehnsüchte und Geschmäcker, die der jeweilige Zeitgeist formte und hervorbrachte. Damit ist sie natürlich auch Zeugnis, an welche aktuellen Umstände ihre Trägerin, ihr Träger gerade nicht erinnert werden wollten. Mode ist erfolgreiche Verdrängung, Kanalisierung von Begehren.
Eine große Schauvitrine zeigt ein Jahrhundert der Farben- und Formenvielfalt, in dem die Tasche endgültig zum Massenphänomen wurde. Dazwischen immer wieder herausragende Einzelstücke: eine exklusive Ledertasche von Straeter, die neben integriertem Spiegel auch noch einen eingebauten Leuchtmechanismus beherbergt. Das ewige Rumkramen im Tascheninnern wäre damit Geschichte, durchgesetzt hat sich die Erfindung nicht.
Die große Parfleche-Tasche der Crow
Mit einem geräumigen Exemplar von George, Gina & Lucy endet der Jahrhundertblick in den frühen nuller Jahren. Vor 20 Jahren standen Kund:Innen schon mal Schlange für die Taschen mit dem überdimensionierten Selbstbewusstsein aus dem hessischen Langenselbold. Es überrascht nicht, dass sie heute wieder gefragt sind – die Y2K-Manie, Sehnsucht nach der Mode um die Jahrtausendwende, heizte auch die Nachfrage nach den zwischenzeitlich vergessenen Modellen wieder an. In solcherlei Zeitschleifen katapultiert die Schau je nach modischer Sozialisierung immer wieder.
Im Zeitalter des Anything goes, also scheinbar unbegrenzter Ausdrucksformen, ist sie längst nicht zu Ende, aber das Setzen konziser Schlaglichter schwieriger. Eine Absolution der Beständigkeit erteilen die Handtaschen der Luxuslabels, die rückwirkend gern nach ihren berühmtesten Trägerinnen benannt werden – die „Jackie“ von Gucci oder die „Birking Bag“ von Hèrmes haben diverse Transformationen überlebt. Ein weiterer Exkurs führt zu den einst gefragten Manufakturen, die von Offenbach aus für internationale Modehäuser produzierten. Heute greifen Designerinnen und Designer wie Tsatsas die lokale Tradition des Kunsthandwerks wieder auf.
Hier sieht alles ungewohnt aus? Stimmt, seit Dienstag, 15.10.2024, hat die taz im Netz einen rundum erneuerten Auftritt. Damit stärken wir, was die taz seit Jahrzehnten auszeichnet: Themen setzen und laut sein. Alles zum Relaunch von taz.de, der Idee dahinter und der Umsetzung konkret lesen Sie hier.
Durchkreuzt werden die Themenblöcke von außereuropäischen Objekten wie die große Parfleche-Tasche der Crow aus bemaltem Bisonleder, um 1870, oder die ausgesprochen findigen Entwürfe von Designstudierenden der Hochschule Pforzheim aus diesem Jahr, die mit Hartplastik, extravaganter Knüpftechnik und sich frei spielenden Formen neue Taschenvisionen in den Raum werfen.
Auch deshalb bleibt die Tasche seit Jahrhunderten begehrte Begleiterin: Wo sie ist, da kann es theoretisch weitergehen. Die Tasche ist Versprechen aufs Vorankommen. Von A nach B oder zumindest doch in eine nächste Vorstellung davon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“