Fasching in Berlin: Helau? Hallo!
Berlin war nie eine Stadt, die Karneval kann. Das bewies der Autorin nun auch der Umzug auf dem Ku’damm.
Es gibt Städte in Deutschland, in denen hat der Karneval oder Fasching eine kulturelle Bedeutung. Und es gibt Städte, da hat er keine. Dass zu Letzteren schon immer Berlin gehört und auch immer gehören wird, davon konnte man sich am Sonntag um 11 Uhr 11 am Olivaer Platz überzeugen, an dem in diesem Jahr der Karnevalsumzug begann.
Das Wetter könnte schlechter sein, hier und da kommt gar die Sonne raus, es ist mild. Trotzdem sind vorwiegend Eltern mit kleinen Kindern und großen Leinenbeuteln gekommen, die eher mehr als weniger leidgeplagt aus der Wäsche gucken – und ältere Paare, gern im Partnerlook, etwa als Kürbisse oder MexikanerInnen. Hier und da halten sie den vorbeifahrenden Lkws aufgespannte Regenschirme umgekehrt entgegen, um sich nicht nach den ollen Kamellen bücken zu müssen.
Man könnte es fast lächerlich finden, wenn es nicht so traurig wäre: Auf den Bürgersteigen des Ku’damms stehen Menschen in zwei, drei Reihen, manchmal ruft einer „Hallo“ statt „Helau“, es ist fast an keiner Stelle schwer, durchzukommen oder die Seite zu wechseln. Nach Angaben der Veranstalter sind 200.000 Menschen gekommen, gefühlt sind es auf der gut zwei Kilometer langen Strecke bis Wittenbergplatz aber nicht 100, sondern höchstens 10 Menschen pro Meter. Gut, dass ich meine Tochter nicht mitgenommen habe. Nach dem letzten Karnevalsumzug in Hessen war ihr Berufswunsch drei Monate lang Funkenmariechen gewesen. Unter den etwa 2.000 Narren dieses Umzugs sind mehr Funkenmarias zu sehen, die eher selten zu Höchstform auflaufen.
Wie aber kommt es, dass Berlin trotz starken Zuzugs aus aller Welt keine Karnevalsstadt werden kann? Liegt es nur an der fehlenden Tradition? „Dit is nich witzig“, kommentiert ein Berliner mit ledernem Cowboyhut. Letzterer wirkt, als würde er auch sonst gern getragen. Der Mann wiederum meint den Wagen mit der Aufschrift „Müller Pop(pt) Lederer“.
Vielleicht lässt der ewig meckernde Berliner ja täglich ausreichend Dampf ab, sodass er die tollen Tage gar nicht mehr braucht. Von wegen verkehrte Welt und Narren als Könige: Das ist doch Alltag bei uns!
Endgültig öde wird es, als es an der Gedächtniskirche vorbeigeht. Von hier bis zum Europacenter keine Musik mehr, so lautet die Vereinbarung. Wegen des Terroranschlags. Eben wollte ich mich noch auf die durchgeknallten Beach-Boys-Interpretationen der Schalmeienkapelle Malchin eingrooven. Nun lenkt gar nichts mehr ab von der Tristesse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau