Fans und Fußballer trotzen Corona: Der ausgefallene Ball
Der Spielbetrieb ist ausgesetzt, in Zeiten des C-Worts ist Kompensation angesagt. Die Fanszene im Fußball zeigt sich aktiv und kreativ.
So lange ist es noch gar nicht her, dass man dachte, es handele sich bei der jetzigen im Grunde genommen wieder bloß um eine dieser Bundesliga-Saisons, die mit einer Meisterschaft für Bayern München und dem Abstieg des einen oder anderen netten Vereins enden.
Vielleicht liegt es an dieser relativen Nichtunterhaltsamkeit der Liga. Oder daran, dass Menschen, die sich Sorgen um ältere oder vorerkrankte Verwandte oder Freunde, Arbeitsplätze und die Bewältigung des Alltags in Zeiten von Corona machen, nicht mehr viel freien Kapazitäten für großen Gram über ausgefallene Fußballspiele haben: Dass nun bis auf Weiteres kein Ligabetrieb mehr stattfinden wird und niemand weiß, wann und ob die Spielzeit 2019/20 fortgeführt wird, bereitet den Vereinen offenkundig mehr Sorgen als den Fans.
„Unsere Kurve“, ein Zusammenschluss von Fans verschiedener Erst- und Zweitligaklubs, veröffentlichte jedenfalls schon am 13. März ein Statement, in dem das „Festhalten am Spielbetrieb“ als „verantwortungslos“ bezeichnet wurde. Man hoffe vielmehr „auf ein Einsehen der Offiziellen, Rechteinhaber, weiterer beteiligter Interessensgruppen und der zuständigen Behörden, dass eine sofortige Absetzung des Spielbetriebs alternativlos ist“. Auch „Baff“, das Bündnis aktiver Fußballfans, war nicht fürs Weiterspielen; auf Facebook verbreitete man zudem eine Mitteilung des FSE, in der die Verschiebung der Europameisterschaft auf den Sommer 2021 ausdrücklich begrüßt wurde.
Fans des SV Darmstadt 98 entwarfen Soli-Transparente, die sie an Supermärkten und Pflegeeinrichtungen präsentierten, der SV Wehen Wiesbaden und die Fangruppe „Supremus Dilectico“ bieten Einkaufshilfe für Menschen, die Risikogruppen angehören. Frankfurter Ultras bitten um Spenden für die Frankfurter Tafel – und die Anhänger des finanziell bedrohten Klubs Kickers Offenbach helfen ihrem Verein, indem sie Geistertickets für ein Spiel, das nicht gespielt wird, kaufen. Das Bündnis „Südtribüne Dortmund“ versucht, Hilfebedürftige nicht nur im Internet zu erreichen, sondern verteilt Flyer mit Unterstützungsangeboten auch in Supermärkten, Arztpraxen und Apotheken – mit Kevin Großkreutz macht bei dem Projekt sogar ein Ex-Nationalspieler mit.
Kick out Corona
„Kumpelkisten“ werden dagegen in Gelsenkirchen angeboten, sie sollen Menschen in Quarantäne, aber auch medizinischem Personal eine Grundversorgung mit Lebensmitteln ermöglichen.
In fast jeder Stadt gibt es solche Angebote von Fußballfans mittlerweile. Unter dem Motto „Kick out Corona“ versucht „BBAG e. V. – KickIn!“, die in Bielefeld ansässige Beratungsstelle Inklusion im Fußball, die Hilfsangebote der Anhänger zu bündeln. So ganz ohne Fußball geht es aber natürlich nicht, zur üblichen Anpfiffszeit am Samstag versammelten sich auf Twitter und ähnlichen sozialen Plattformen wehmütige Fans, die wild darüber spekulierten, wie großartig ihr Verein an diesem Tag doch ganz bestimmt gewonnen hätte.
Oder virtuell Fußball spielen und sich dabei fast so sehr aufregen wie zu den Zeiten, als noch im wirklichen Leben gekickt wurde. Besonders beliebt ist derzeit Pongis, ein vorbildlich simples Fußballspiel, bei dem niedliche kleine Knubbels gegeneinander kicken und der eigene natürlich immer alles falsch macht.
Bei manchen Fußballfans liegen die sprichwörtlichen Nerven aber auch einfach bloß blank, wie bei einem Twitter-User, der eine Frau, die ein zurzeit in der nichtkickeraffinen Community sehr beliebtes populistisches Meme gepostet hatte, grob beschimpfte. In dem Meme heißt es auf Englisch und faktisch nicht zutreffend, Fußballer würden monatlich 1 Million Euro bekommen, Wissenschaftler dagegen nur 1.800 Euro. Nun, wo die Welt auf der Suche nach einem Mittel gegen Corona sei, bleibe da nur ein Rat: „Tja, dann geht halt zu Cristiano Ronaldo oder Messi.“ Sie sei eine „empathielose F****“, schrieb der User, der von anderen, zweifellos ebenfalls unter einem massiven Mangel an Fußball und Manieren leidenden Männern überraschend wenig Gegenwind bekam.