Fan-Debatte zu RB Leipzig: Gegen das Leipziger Einerlei
Die Schlacht der Leipziger Amateure Chemie und Lok ist geschlagen. Bietet angesichts dieses Rumpelfußballs der Brauseklub den besseren Kick?
Zuvor überschlugen sich deutschlandweit die Medienberichte, die Hass und Gewalt rund um das legendäre Derby geradezu herbeischreiben wollten. Kaum ein Blick wandte sich auf den Alltag des Regionalligisten Lok und des Oberligisten Chemie oder auf die Bewältigung durch ehrenamtliche Arbeit und Fans, die das Vereinsleben strukturieren und unterstützen – kurz: darauf, wie Vereine existieren, denen kein Geld hinterhergeworfen wird und die auf Initiative von Fans einen Neuanfang vor wenigen Jahren wagten.
Bereits einen Tag vor dem Derby fand das zweite große Fantreffen von Rasenballsport Leipzig statt. Hier kam auch ein Vertreter der Landespolizei zu Wort, der „Tendenzen zur Sorge“ in Richtung RB-Fans äußerte. Darunter verstand er gezündete Pyrotechnik oder Provokationen von gegnerischen Fans.
Das kratzt natürlich etwas am Selbstverständnis des Vereins. Er ließ in dieser Saison nicht nur aus sportlicher Sicht aufhorchen, sondern auch durch seine öffentliche Selbstbeschreibung. Nach der Sitzblockade von Kölner Fans beim Auswärtsspiel erklärte RB-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff seinen Club „als ein großes, vorbildliches Zugpferd mit einer neuen Fußballkultur ganz ohne Gewalt und Aggressionen“, denn „Red Bull ist das Beste, was der Bundesliga passieren konnte“, so Mintzlaff im Interview mit der Leipziger Volkszeitung Mitte Oktober.
Gewaltfreie Spiele in allen Ligen
Das neue Leipziger Zugpferd möchte, dass Familien ohne Angst ins Stadion gehen können. Dabei besuchen in Leipzig Woche für Woche Familien gewaltfreie Fußballspiele in den unterschiedlichen Ligen. Ein weiteres Plus sieht der Geschäftsführer darin, dass RB „der Verein zum Anfassen“ sei.
Mintzlaff, der ehemalige Langstreckenläufer, verfüge über keinerlei Erfahrungen in der Fußballkultur, da sind sich zwei Mitglieder der „Red Aces“, der Ultragruppe von RB, sehr sicher. Sie wurden von Kumpels zu RB-Spielen in der Regionalliga mitgenommen, sonst würden sie heute vielleicht bei den Diablos in Leutzsch oder der Fankurve 1966 bei Lok stehen. Vielleicht aber auch nicht, weil sie das Neue und noch struktur- und hierarchielose innerhalb ihrer Gruppe schätzen.
Britt Schlehahn schreibt für das Leipziger Stadtmagazin Kreuzer, ist regelmäßig bei Chemie, Lok und RB Leipzig im Stadion und im engen Kontakt mit der organisierten Fanszene.
Wichtig für sie ist, dass ein „Vereinsleben mehr als Sponsorentreue“ darstellt. In ihrer Agenda halten sie selbstbewusst fest: „Wir sind kein zweites Salzburg! Wir sind Leipzig!“ Auf ihrer Homepage findet sich ein Foto vom Zweitliga-Auswärtsspiel bei Union Berlin.
In der Alten Försterei war damals von Berliner Seite groß zu lesen: „Das höchste Gut der Fans ist die Mitbestimmung“, neben Spruchbändern wie „Fans in Vereinsgremien“ – von all dem ist RB noch einiges entfernt, wenn denn jene Werte dort ankommen möchten. Weil den Red Aces Aktionen und Politik genauso wichtig sind wie Fußball, traten sie gerade dem RB-Fanverband aus. Anstelle von Nähe spürten sie dort vor allem Bürokratie und vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Vereinsführung. Der Club ist ihrer Meinung nach viel zu schnell gewachsen, denn so blieb die Entwicklung einer Fankultur auf der Strecke.
Bei Ultras hört die Nähe auf
„Wir haben uns in der Vergangenheit immer stärker geöffnet und lassen Nähe zu“, so sieht es Sportdirektor Ralf Rangnick und verweist auf öffentliche Trainingseinheiten. Für Rangnick besteht das Neue von RB in Sachen Fußballkultur vor allem im Erstligafußball, und Nähe hört bei Ultras auf. Wie er sehr deutlich der Presse vor dem Pokalspiel gegen Dynamo Dresden erklärte, würde er sich in seiner Leipziger Amtszeit niemals deren Forderungen beugen.
Die Nähe und das Reden über eine neue Fußballkultur sehen die Blogger von zwangsbeglueckt.de eher kritisch. Ihr Name stammt aus dem Mateschitz-Zitat, als die DFL im Sommer 2015 die Zutrittsbarrieren für Mitglieder und die Red-Bull-Mitarbeiter in der Führungsetage kritisierte. So halten sie fest: „Als ob inzwischen die Mitgliedsbeiträge gesenkt und hunderte stimmberechtigte Mitglieder dabei seien. Als ob man ernsthaft an einer selbstbestimmten und auch mal schwierig werdenden Fankultur interessiert sei. Als ob das Ganze aufgehört hätte, in erster Linie ein Marketingzirkus zu sein.“
Das sieht Oberbürgermeister Burkhard Jung etwas anders. Im Aufstiegsinterview im vergangenen Mai wiegelte er ab, denn „natürlich wäre es schön, wenn wir mit einem ehrenamtlich geführten Verein spitze wären und trotzdem Inter Mailand und Arsenal London schlagen würden. Aber so ist die Welt.“
„Aber so ist die Welt“, den Satz würde vermutlich auch RB-Cheftrainer Ralph Hasenhüttl unterschreiben, die RB-Welt möchte man daher ergänzen. Daher hält der Coach im Gespräch fest: „Aber in Wahrheit ist alles, was du im Fußball findest, eins zu eins auf die Gesellschaft übertragbar. Die Fußballkultur ist heute organisierter, als sie es damals war, und diese Entwicklung, die eine Gesellschaft nimmt, die bildet sich natürlich im Fußball ab. Das ist auch schön.“
Der Fan in der Kontrollgesellschaft
Was in letzter Konsequenz auch heißt, der Fan in der Kontrollgesellschaft ist ein kontrollierter Fan. Ein wirklich guter Fan will laut Hasenhüttl „nicht unbedingt gegen alles sein, das dem positiven Unterstützenden widerstrebt, um seine eigenen Ansichten durchzudrücken“. Daher gilt: „Egal welche Gesinnung in einer Fangruppierung herrscht, die Liebe zum Fußball muss sich in dem Fansein unterordnen.“ Er sieht die Stimmung als eins der größten Aushängeschilder von RB. „Dir erzählt jeder: 'Ich bin so dankbar, dass ich dabei sein durfte!’ Ich hoffe, dass es so lange, wie wir so weiterspielen, auch so bleibt.“ Dankbarkeit kann dann auch von der Presse eingefordert werden, die soll – wie Hasenhüttl klipp und klar vor dem Augsburgspiel erklärte – die „lächerlichen“ Proteste kleiner Gruppen ignorieren.
Stephan Reich von 11 Freunde sieht die Proteste gegen RB nicht als verschwindend gering an – wie der Blick in die deutschen Stadien ja zeigt.
Ihm recht gibt das „Stadionzeugnis“ der ARD, in dem RB auf dem letzten Platz zu finden ist. Erklärt wird dieser Sachverhalt mit den Worten: „Der letzte Platz für Leipzig ist wohl mit der allgemeinen Ablehnungshaltung gegen den Klub zu erklären.“
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