Familienpolitik im Wahlkampf: Heiraten für Steuer und Krankenkasse
Die Parteien tun sich schwer mit dem Abschaffen des Ehegattensplittings. Viele Paare mit ungleichen Einkommen profitieren davon.
Als Birgit Lehmann und Torben Schulze vor zwei Jahren geheiratet haben, waren sie schon seit 15 Jahren ein Paar. Die Sachbearbeiterin und der Germanist lebten zusammen in einem Haushalt und hatten drei gemeinsame Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren.
Sie waren glücklich so, wie es war: kein Trauschein und trotzdem eine Familie. Als Torben Schulze aber ein Zusatzstudium begann, hatten sie ein Problem: Er bekam kein Bafög mehr, weil er schon einmal studiert hatte. Darauf, dass sie eine Zeitlang ausschließlich vom Gehalt der Mutter leben sollte, hatte sich die fünfköpfige Familie eingestellt. Dass der mit fast 40 Jahren „alte“ Student für seine Krankenversicherung jetzt zwischen 180 und 400 Euro zahlen sollte, so wie die Krankenkasse das vage berechnet hatte, daran hatten sie nicht gedacht.
Was tun? Das Familienbudget war ohnehin schon mehr als knapp – Lehmann verdient rund 28.000 Euro im Jahr. So kamen sie auf die Idee zu heiraten. Eine Ehe wird vom Staat gefördert, ideell und finanziell. Anders als unverheiratete Paare mit Kindern, Alleinerziehende und Singles genießen Verheiratete zahlreiche Privilegien: Auskunftsansprüche im Krankenhaus, Renten- und Erbrechtsansprüche im Todesfall eines Partners, Zugewinnansprüche. Vor allem aber profitieren Eheleute vom Ehegattensplitting, insbesondere sogenannte Einverdienerehen mit einem hohen Einkommen. Meist ist dann der Mann derjenige, der das Haushaltseinkommen verdient, die Frau versorgt den Haushalt. SpitzenverdienerInnen sparen so bis zu 15.000 Euro im Jahr.
Birgit Lehmann und Torben Schulze, die ihren richtigen Namen wegen ihrer Kinder nicht in der Zeitung lesen wollen, haben ihren Hochzeitstag schlicht gehalten: rein ins Standesamt, ja sagen, Ringe tauschen. „Der Tag war uns nicht wichtig“, sagt Lehmann: „Wir lehnen die Ehe eigentlich ab, wir leben nicht anders zusammen, nur weil wir jetzt einen Trauschein haben.“ Aber aufgrund von Schulzes Studium und des finanziellen Engpasses sei ihnen nichts anderes übrig geblieben.
Topthema im Wahlkampf
Das Ehegattensplitting belohnt das Paar nicht nur mit der kostenfreien Familienversicherung, sondern auch mit einem Steuerbonus von rund 2.000 Euro im Jahr. „Das ist gut für uns, klar“, sagt Lehmann: „Aber als Linke finden wir, dass das Zusammenleben mit Kindern finanziell gefördert werden soll und nicht das staatlich abgesegnete Zusammenleben zweier Erwachsener“, sagt Lehmann.
Das finden auch die meisten Parteien. Zumindest haben sie jetzt „die Familie“ als eines der wichtigsten Wahlkampfthemen ausgemacht. Mit vielen Ideen soll Familien das Leben erleichtern werden: mit kostenlosen Kitas, mehr Geld für Familien, Steuererleichterungen für GeringverdienerInnen, sozialem Wohnungsbau. Klassiker bei SPD, Grünen, Linkspartei.
Die Union denkt an ein „Baukindergeld“ für jene, die in der eigenen Immobilie wohnen wollen, und an kostenlose Erstausstattungen fürs Baby. Selbst die FDP hat die Familie entdeckt und sinniert über ein „Kindergeld 2.0“, das alle aktuellen staatlichen Leistungen für Kinder zusammenfasst.
Klingt alles gut. Nur: Lässt sich das tatsächlich umsetzen? Und wie? Woher soll das Geld dafür kommen?
Heilige Kuh Ehegattensplitting
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet vor: Würde das Ehegattensplitting abgeschafft und jede und jeder den eigenen Verdienst versteuern, könnte der Staat mit bis zu 15 Milliarden mehr Steuern rechnen. Geld, mit dem man locker Familien unterstützen könnte.
Die Idee ist nicht neu. Seit Jahren, insbesondere in Wahlkampfzeiten, befassen sich auch SPD, Grüne und Linkspartei mit dem Ehegattensplitting.
Alle drei Parteien behaupten, Familien mit Kindern hätten Vorrang vor Ehen – und wollen immer mal wieder das Ehegattensplitting reformieren. Nur: Passiert ist seit Jahren nichts. Und das liegt in diesem Fall nicht an der Union (und auch nicht an der FDP), für die das Ehegattensplitting so etwas ist wie eine heilige Kuh: darf nicht angetastet werden. SPD, Grüne und Linkspartei verfahren beim Ehegattensplitting nach dem Motto „verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre“. Am Ende gibt es zahlreiche „Gründe“, warum das Ehegattensplitting nicht einfach mal so reformiert oder abgeschafft werden kann: verfassungsrechtliche oder steuerpolitische Hindernisse, der Umgang mit den sogenannten Altehen.
Möglicherweise setzt sich das bei dieser Bundestagswahl fort. Zum Beispiel die SPD. „Gute Zeiten für Familien“ nennt sich ein Wahlkampfsampler für Familienförderung: mehr Zeit für Kinder und alte Eltern, mehr Geld für berufstätige Eltern, beispielsweise als Bonus von 150 Euro für den Vater, wenn er seine Arbeitsstunden reduziert und weitere 150 Euro für Mütter, wenn sie mehr arbeiten. Sönke Rix, familienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, nennt das „steuerliche Kinderkomponente“, und die soll „allen Eltern nutzen, ob verheiratet, unverheiratet oder alleinerziehend“. Von einer Reform des Ehegattensplittings ist nicht die Rede. Trotzdem versichert Rix: „Klar ist, dass wir – anders als die CDU/CSU – nicht länger nur Ehepaare von einem Steuersplitting profitieren lassen wollen.“
Altbackene Grüne
Oder die Grünen. In ihrem Entwurf des Wahlprogramms mit dem verheißungsvollen Titel „Zukunft wird aus Mut gemacht“ verspricht die Partei, „das Ehegattensplitting durch eine gezielte Förderung von Familien mit Kindern zu ersetzen“. So ähnlich hatten es die Grünen schon bei der Bundestagswahl 2013 vorgeschlagen. Das kostete sie allerdings viele Stimmen. Und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt musste nach der Wahl zurückrudern. „Das Ehegattensplitting einfach abzuschaffen, würde am Ende viele treffen, die Kinder haben“, sagte sie seinerzeit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Heute klingt Göring-Eckardt so: „Es ist höchste Zeit, bei zukünftigen Ehen gezielt die Förderung von Kindern und Familien in den Mittelpunkt zu stellen und zur individuellen Besteuerung überzugehen.“ Das gilt laut Wahlprogramm aber nur für neu geschlossene Ehen, „Altehen“ genießen weiterhin die althergebrachten Steuerprivilegien.
„Es ist total altmodisch und im Übrigen auch ungerecht, dass zwei Menschen, die ohne Trauschein zusammen leben mehr Steuern bezahlen als Eheleute“, versichert Bernd Riexinger, Chef der Linkspartei. Die will das Ehegattensplitting „durch familienfreundliche Steuermodelle“ ersetzen. Das dürfte – im derzeit unwahrscheinlichen – Fall einer von rot-rot-grünen Koalition von Belang sein.
Birgit Lehmann und Torben Schulze ist das mittlerweile egal. Schulze hat sein Zusatzstudium beendet und verdient wieder gut, ein Drittel mehr als seine Frau. Das Paar könnte das Ehegattensplitting weiterhin voll ausschöpfen, mit der „klassischen“ Steuerklassenwahl 3 und 5 für Paare mit stark unterschiedlichen Einkommen: Danach würde Schulze, jetzt mit hohem Verdienst, weniger Steuern zahlen, und Lehmann als Geringerverdienende mehr.
Aber das Paar hat sich anders entschieden: jeweils für die Steuerklasse 4, eine Art Individualbesteuerung. Mit der Folge, dass es am Monatsende zunächst weniger Geld hat als mit den Steuerklassen 3 und 5. „Das ist nicht schön“, sagt Lehmann: „Aber ich empfinde es als unwürdig, von meinem ohnehin geringeren Verdienst auch noch mehr Steuer zahlen zu müssen.“ Am Jahresende jedoch gleicht sich das durch die Jahressteuererklärung wieder aus.
Richtigstellung: In einer früheren Version des Textes fehlte der Hinweis auf die Jahressteuererklärung, die den monatlichen Verlust am Jahresende wieder ausgleicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos