Familienfest mit ernstem Hintergrund: Die Voštaner Regel
Ein Familientreffen der besonderen Art, die Verwandtschaft aus den USA kommt nach Kroatien. Die Freude am Zusammensein sollte einer nicht verderben.

T reffen sich 40 Akraps in Akrapi, geht es um die Akraps. Zum ersten Mal trafen vergangenes Wochenende größere Teile der Verwandtschaft aus den USA auf erweiterte Teile der in Kroatien gebliebenen oder dorthin zurückgekehrten Verwandtschaft im Hinterland Dalmatiens (Voštane, Ortsteil Akrapi).
In das fast 1.000 Meter hoch und wenige Kilometer vor der bosnischen Grenze gelegene Bergdorf hatte einer der Akraps, der vor einigen Jahren aus den USA zurückgekehrt war, alle zusammengerufen. Die Tafel, die er vor dem alten Steinhaus seiner Mutter decken ließ, war von der Tafel des fast zeitgleich stattfindenden Dinners für den Chef der USA in Windsor Castle kaum zu unterscheiden. Ja, sie war sogar noch prächtiger. Nicht zuletzt deswegen, weil Donald Trump zur Tafel in Voštane nicht geladen war.
Er war sogar explizit ausgeladen.
Nach den ersten Stunden, in denen alle vor allem damit beschäftigt waren, herauszufinden, wer wessen Urgroßonkel, Großnichte, geschiedene Ehefrau, Kuckuckskind oder Witwe ist, wie die Tochter der Tochter von Omas Schwester noch mal heißt, ob die Urgroßmutter wirklich noch einen Sohn aus erster Ehe hatte und warum das zwar auch ein Akrap, aber ein anderer war, nämlich der Bruder von dem einen, der dann die Großtante heiratete.
Hüte, Autos, Hosenträger
Ein Heidenspaß, ein frohes Fest, und das an dem Ort, an dem 1944 etwa 300 Akraps, darunter meine Oma und meine Urgroßtante während eines SS-Massakers ermordet wurden.
Eine ältere Dame, die kaum einer kannte, packte ihre mitgebrachten Fotoalben aus, und vier Generationen versammelten sich um sie herum und staunten über Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus einer offenkundig vermögenden Familie, deren Hochzeitsfotos aus den 1920er Jahren opulenter aussahen als die von Queen Elizabeth II. Diese Familie waren keine Akraps, sondern hatten eine der Akraps bei sich in 65 Kilometer entfernten Split aufgenommen und großgezogen. Von den Akraps gibt es keine Fotoalben, jedenfalls keine, die aus der Zeit vor 1945 stammen. Und niemand weiß, ob es nie welche gab oder ob sie mit den ermordeten Angehörigen 1944 verbrannt wurden.
Da keiner die Leute auf den Fotos kannte, wurden nicht Verwandtschaftsbeziehungen erläutert, sondern ihr Äußeres kommentiert. Obwohl diese Familie nichts mit den USA zu tun hatte, verglichen alle die Hüte, die Autos, die Hosenträger und Kleider mit denen von Gangstern und Gangsterbräuten in US-Filmen.
Nach dem Pršut, der gefüllten Paprika und kurz vor dem Lamm kamen die ersten Fragen an die angereisten Amerikaner auf, die ebenfalls nichts mit Verwandtschaftsbeziehungen zu tun hatten. Die Dalmatiner wollten von denen aus Übersee wissen, was denn nun aus den USA werde unter Trump II. Hier und da begannen zaghafte Antworten, bis die Cousine zweiten Grades laut rief: „Schluss. Ich will nicht über diesen Mann reden, ich will seinen Namen hier heute nicht hören. Es ist alles ein großer Horror, aber wenigstens diesen Tag soll er uns nicht versauen.“
Ein paar leise „Aber ich wollte doch …“ parierte sie umgehend und konsequent mit: „Nichts aber. Der Mann ist hier explizit ausgeladen.“
Jemand erzählte mir mal von einer Party älterer Leute in München, auf der der Gastgeber die Regel ausgegeben hatte, dass jeder über seine oder die Krankheiten anderer Leute reden dürfe. Aber nur in der ersten Stunde. Danach sollten die Gebrechen kein Thema mehr sein.
Wann es das nächste Fest der Akraps geben wird, ist unklar, und was bis dahin aus den USA geworden ist, sowieso. Der Regel des Münchner Gastgebers würde ich gern die Voštaner Regel hinzufügen: Jede festliche Tafel sollte den Mann ausschließen, der die USA zu einem schwer kranken Patienten gemacht hat.
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