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„Familiendrama“Vier Jahre Haft für verzweifelten Onkel

■ Angeklagter wollte Verwandte vor dem gewaltsamen Ehemann schützen

Oldenburg. Im Prozeß um das tödliche Ende eines türkischen Familiendramas hat das Landgericht Oldenburg gestern den Angeklagten wegen Totschlags in einem minderschweren Fall zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Die Kammer befand den 40 Jahre alten Vorarbeiter und Familienvater aus Visbek (Landkreis Vechta) für schuldig, im September 1997 den Ehemann einer 21jährigen Verwandten erschossen zu haben. Der Angeklagte hatte die Frau vor dem gewaltsamen Zugriff des Mannes schützen wollen. Zwei Schüsse trafen den Oberschenkel, der dritte und tödliche den Bauch des 24jährigen. Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage wegen Mordes erhoben.

Durch die Tat und ihre Vorgeschichte sei über die Familien von Täter und Opfer gleichermaßen „großes Unglück hereingebrochen“, sagte der Vorsitzende Richter Rolf Otterbein. Er zeigte zugleich Verständnis für die „objektiven Lügen“ der an 20 Verhand-lungstagen als widersprüchliche Zeugen auftretenden Angehörigen beider Familien. Ausgelöst wurde der Konflikt nach Ansicht der Kammer durch das Aufeinanderprallen von „zwei Welten“.

Die junge Ehefrau, die in der Türkei aufwuchs, wurde als 15jährige mit ihrem drei Jahre älteren Mann verheiratet. Der wegen Körperverletzung vorbestrafte Ehemann sei zwar in Deutschland aufgewachsen, habe aber an der „patriarchalischen Tradition“ seiner Kultur festhalten wollen und auf die außerfamiliären Emanzipa-tionsversuche seiner Frau in der „westlichen Welt“ gewalttätig reagiert. Zweimal hatte die Ehefrau Schutz in einem Frauenhaus gesucht, bevor sie ihren in Hessen lebenden Ehemann verließ und Hilfe bei ihren weitläufigen Verwandten in Visbek fand.

Der von der Verteidigung geforderten Bewertung der tödlichen Schüsse als Notwehr, vermochte die Kammer nicht zu folgen. Der Angeklagte war nach Ansicht der Kammer über die nächtliche Ankunft des Ehemanns vorgewarnt worden, nachdem dieser die Adresse seiner Frau aus einem Landsmann herausgeprügelt hatte.

Daß die Tat als minderschwerer Fall von Totschlag beurteilt wurde - der Strafrahmen liegt zwischen sechs Monaten und fünf Jahren –, soll auch als Signal an die zuständige Ausländerbehörde verstanden werden, hieß es am Ende der Urteilsbegründung. Bei einer Gefängnisstrafe ab drei Jahren sieht das Ausländergesetz nach Angaben eines Sprechers des niedersächsischen Innenministeriums im Regelfall die „zwingende Ausweisung“ nach Verbüßung der Haft vor. dpa

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