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Familienbande

Ein Portrait der englischen Exzentrikerin Nancy Mitford anläßlich der deutschen Ausgabe ihres Romans „Die Frau des Botschafters“  ■ Von Stephanie Tasch

„Jetzt küssen wir alle Hermann!“ kreischten die Cousinen meiner Großmutter und setzten zur Verfolgung ihres Bruders an. Gekreische und Gerenne gehörten zur Dramaturgie von Familienfesten lange vor meiner Zeit. Als Nachgeborene habe ich die Bruderjagd nie gesehen, die Geschichte ist Teil meiner Kindheit. Familiengeschichten sind etwas Wunderbares: Anekdotisch verbrämt, läßt sich fast jede Sippe ertragen, die Erzählung erzeugt wohltuende Distanz zu Personen und Ereignissen und stiftet Einigkeit.

Nancy Mitford hat zu diesem Thema einiges beizutragen. Ihre Anverwandten boten Stoff für zahlreiche Essays und acht Romane, von denen vier inzwischen in deutscher Übersetzung vorliegen. Man wird das Gefühl nicht los, daß dem Mitford-Clan nur gewachsen war, wer gegen ihn anschrieb. Nancy Mitford, 1904 als älteste Tochter von Lord und Lady Redesdale geboren und 1973 in Versailles gestorben, bekam das Material für ein Lebenswerk ins Kinderzimmer geliefert. Sämtliche mir bekannten Klischees über Arroganz und Snobismus der englischen upper class, das Leben auf dem Lande, köstliche Exzentriker, öde Hausparties und Debütantinnenbälle werden in Nancy Mitfords Romanen bedient und noch überboten. Das Leben imitiert die Kunst, und Mitfords Romane setzen dieses Leben in höchst dekorative Kunst um. Schon ist man versucht, selbst zum Familienmitglied zu werden, endlose Mitfordiana zu repetieren und mit biographischen Details und literarischen Parallelen zu protzen. Nur gut, daß es „Die Mitford Sisters“ gibt, Karlheinz Schädlichs vorzügliche Gruppenbiographie, die sich den Verwirrungen Mitfordscher Lebensläufe mit der angemessenen Mischung von ironischer Distanz und Sympathie annähert. Und der Historiker Schädlich übernimmt, was von Mitford wohl nicht zu erwarten war: er leistet die Einbindung der Familiensaga in die Zeitgeschichte. Hier – und in den Erinnerungen der Schwestern – ist nachzulesen, wohin, pathetisch gesprochen, die Kombination von Langeweile, Isolation und permanenter intellektueller Unterforderung so führen kann. Aufgewachsen in der Abgeschiedenheit adliger Konventionen, dem Erziehungsideal weitestgehender weiblicher Unbildung ausgesetzt, entwickelten sich Nancy und ihre fünf Schwestern zu nicht gerade typischen jungen Damen – der einzige Bruder Tom wurde selbstverständlich in Eton und Oxford erzogen. Das Klassenziel „Heiraten“ erreichten, mit einer Ausnahme, alle; schwieriger wurde es mit dem Festhalten am hergebrachten Weltbild der Tories. Die Schwester vertraten einen radikalen Nonkonformismus: In den dreißiger Jahren verläuft die politische Demarkationslinie direkt durch die Zimmer der Mädchen. Während Diana und Unity zu Gallionsfiguren der britischen Faschisten werden, brennt die Sozialistin Jessica in Richtung Spanischer Bürgerkrieg durch. Nancys politische Allianzen waren schwankend; nach einem kurzen Flirt mit der faschistischen Partei ihres Schwagers Oswald Mosley pendelten sie sich irgendwo links der Mitte ein, bevor sie im Alter ihre Herkunft wieder einholte. Allerdings trug Nancy ihre Angewohnheit, sich über alles und jedes zu mokieren, bei den fanatischeren Schwestern den Ruf einer politisch höchst unkorrekten Person ein. Und die anderen?

Pamela liebte vor allem Pferde, und Deborahs Heiratswunsch nach einem Herzog ging in Erfüllung. Aus Nancys Perspektive waren die Jüngeren ein „Schutz vor den Grausamkeiten des Lebens“. Dank ihrer Fähigkeit to tease and to annoy, sprich zu Spott und Nerverei, hieß für diese die Grausamkeit im Leben Nancy.

Mit Nancy Mitfords Gesellschaftsdebüt begann die mühevolle Arbeit, dem mütterlichen Stoßseufzer, „Jedesmal, wenn ich die Worte, 'Tochter eines Peer' in einer Schlagzeile sehe, weiß ich, es ist eine von Euch“, eine gewisse Berechtigung zu verschaffen. Im London der zwanziger Jahre amüsierten sich die „Bright Young Things“, und Nancy amüsierte sich mit. Zwischen den Parties, und ermutigt vom lebenslangen Freund Evelyn Waugh, fing sie an, journalistisch zu arbeiten und 1931 erscheint ihr erster Roman „Highland Fling“, dem bis 1940 noch drei weitere folgen. Man denke übrigens nicht, das Schreiben sei für die Mitford ein netter kleiner Zeitvertreib gewesen – das häßliche Wort „Broterwerb“ trifft es genauer. Der Held ihres zweiten Romans „Christmas Pudding“ von 1932 ist Hamish St. Clair Erskine, als dessen Verlobte sie fünf vergebliche Jahre verbringt. Nach einem Selbstmordversuch heiratet sie im folgenden Jahr den Diplomatensohn Peter „Prodd“ Rodd. Das war auch niemand, über den wir allzu viele Worte verlieren wollen, da weitere fünf Jahre später, im Londoner „Allies' Club“, endlich die grande passion die Bühne betritt. Gaston Palewski, zu diesem Zeitpunkt General de Gaulles rechte Hand in der französischen Exilregierung, ist der Grund für ihre Übersiedlung nach Paris nach Kriegsende. Auch in seinem Fall liefert das Leben der Literatur die schönsten Anregungen, denn Mitfords spätere Romane kommen nie ohne diesen ungemein eleganten, geistreichen und – im Gegensatz zu den englischen Männern – so erotischen Franzosen aus. Die „Englischen Liebschaften“, der in nur drei Monaten entstandene Erfolg von 1945, ist Palewski gewidmet. Dieser Inbegriff englischer Unterhaltungsliteratur finanziert, genau wie sein zwei Jahre später publizierter Nachfolger, „Liebe unter kaltem Himmel“, fortan ihr Leben in der Pariser beau monde. Aus Frankreich wirft Nancy Mitford einen spöttischen Blick zurück auf die Schrullen des Landadels jenseits des Kanals. Kichernd, und häufig nach Art der großmütterlichen Cousinen kreischend, beobachtet man ihre Karikaturen der upper class, in Freiheit dressiert. Fraglos einer der besten erzählerischen Einfälle der Mitford war es, dem Leser ihre aristokratische Traumwelt aus der Perspektive von Fanny vorzuführen, einer Cousine jener unzähligen Alconleighs, hinter denen sich die Redesdale-Sprößlinge verbergen. Das Interessanteste an Fanny ist ihre Mutter. Die Familie nennt sie die „Hopse“, und begeistert sieht man sie von Roman zu Roman die Kollektion ihrer Ehemänner erweitern. Fanny selbst besticht durch Mangel an Schönheit und eine gewisse Schlichtheit in allem; Eigenschaften, die die Identifikation erleichtern und zugleich leserseits ein angenehmes Überlegenheitsgefühl erzeugen.

1951 erscheint „Ein Segen für die Liebe“, und Frankreich wird zum wichtigsten Schauplatz, der wie üblich, meist amourösen Verwicklungen. Hier gewonnene Kenntnisse der besseren Kreise sowie der nationalen Überlegenheit auf allen wichtigen Gebieten zwischen Mode und Konversation, können dann in der „Frau des Botschafters“ von 1960, jetzt frisch ins Deutsche übertragen, vertieft werden. Es muß an dieser Stelle bedauernd angemerkt werden, daß in beiden Bänden Nancy Mitfords liebende Voreingenommenheit ein wenig ihr boshaftes Talent untergräbt. Paris ist eben zu perfekt...

Das den Schutzumschlag der deutschen Ausgabe zierende Portrait der „Madame X“ von John Singer Sargent ist allerdings vollkommen irreführend. Denn die „Frau des Botschafters“ ist keineswegs die dort erscheinende Salonschlange des späten 19. Jahrhunderts, sondern, die uns wohlbekannte Fanny, deren Gatte Alfred sich von seinem Lehrstuhl in Oxford auf den Botschafterposten in Paris versetzt sieht. Fanny wird so von dem trübsinnigen Dasein einer Professorengattin mittleren Alters bewahrt; der Gemahl strebt in gewohnter Ernsthaftigkeit (er ist wirklich ein Langweiler, der Gute) eine von „Nüchternheit und Verläßlichkeit“ geprägte Amtsführung an. Der englische Originaltitel, „Don't tell Alfred“ macht deutlich, daß genau diese Prinzipien beständig von den Kräften der Subversion bedroht sind. Die Salons der britischen Botschaft bieten Raum für vollkommen undiplomatische Begegnungen, im Garten sitzt ein Dachs, in den Menschen wütet die Liebe, und statt Blumen zu arrangieren, mußte die „Frau des Botschafters“ unentwegt vermittelnd tätig werden. Wiewohl bestens unterhalten, beendet man schließlich die Lektüre mit dem sicheren Gefühl, Ms. Mitford sei von der Zeit überholt worden. Waren die „Englischen Liebschaften“ und die „Liebe unter kaltem Himmel“ Beschwörungen einer bereits zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift untergegangenen Epoche, so bricht über den „Botschafter“ ungestüm die Moderne der Sechziger herein. Die Irritation ist der Autorin anzumerken. Für die kongeniale Übersetzung von Mitfords zwar milde amüsierter, mal ironischer, aber stets leichthändiger Prosa ist auch beim vierten Band Reinhard Kaiser zu danken. Aber: Lieber Eichborn Verlag, wir wissen ja, die Zeiten sind hart, dennoch weiß ich nicht, was ärgerlicher ist, der Verzicht auf die Photos, die den beiden ersten Romanen so gut anstanden – ein wenig Party-Material aus den reichen Beständen des Paris Match hätte sich doch sicher finden lassen?! – oder der Abschied vom nachgestellten Dossier. Hier hat man die Gelegenheit versäumt, Nancy Mitfords bisher nicht in deutscher Übersetzung vorliegende journalistische Arbeiten, besonders die Paris-Kolumne für die Sunday Times, vorzustellen.

Folgende Bücher von Nancy Mitford sind erhältlich:

„Die Frau des Botschafters“. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser, Eichborn Verlag (1993), 272 S., gebunden, 36 DM

„Ein Segen für die Liebe“. Aus dem Snobistischen zart ins Prosaische übertragen von Reinhard Kaiser, Eichborn Verlag (1992), 352 S., gebunden, 36 DM

„Englische Liebschaften“. Aus dem Exzentrisch-Insularen einfühlsam ins Bieder-Kontinentale überführt von Reinhard Kaiser, Eichborn Verlag (1991), 344 S., gebunden, 36 DM

„Liebe unter kaltem Himmel“. Aus dem Aristokratischen mit minimalen Verlusten ins Bürgerliche transferiert von Reinhard Kaiser. Eichborn Verlag (1991), mit einem Dossier und acht höchst vergnüglichen Abbildungen, 398 S., gebunden, 36 DM

Über die Mitford-Sippschaft informiert Karlheinz Schädlich: „Die Mitford Sisters“, Claassen Verlag (1990), 25 Abb., gebunden, 343 S., 39,80 DM

Wer dieses Pensum absolviert hat, darf sich zur Belohnung an folgenden Leckerbissen wagen: „Noblesse Oblige. An Enquiry into the Identifiable Characteristics of the English Aristocrat“, London: Hamish Hamilton 1956

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