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Familiäre Angelegenheiten

Hauptversammlung der SER Systems AG am letzten Donnerstag: Nach neun Stunden hatten die meisten Kleinaktionäre resigniert – der Rest war dann ein Heimspiel

Entspannt lehnt sich Gert J. Reinhardt zurück. Der Vorstand der am Neuen Markt notierten SER Systems AG hat nichts zu befürchten. Mit 77 Prozent der anwesenden Stimmen hält seine Familie die nötige Mehrheit. Dies ist notwendig, denn die Stimmen der anwesenden Kleinaktionäre erhält er nicht. Mit heftiger Kritik bis zum Betrugsvorwurf wird er auf der außerordentlichen Hauptversammlung im Kölner Maritim konfrontiert. Notwendig wurde sie wegen des Verkaufs noch vorhandener Unternehmensteile.

1997 ging die SER Systems als sechstes Unternehmen an den Neuen Markt. Der Weltmarktführer für Banking-Software legt Mitte 1997 mit einem Zeichnungsgewinn von 106 Prozent einen hervorragenden Start hin. Zeitweilig stieg der Aktienkurs von 4,35 Euro auf über 80 Euro. Mit seiner Software – spezialisiert auf die Bedürfnisse von Kreditinstituten – schien Gründer und Vorstand Reinhardt den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Der rasante Aufstieg gewann an Fahrt. Tochtergesellschaften wurden im Ausland gegründet, Übernahmen bekanntgegeben. Und bei jeder neuen Pflichtpublikation (Ad-hoc) stieg der Aktienkurs weiter an. Nichts schien unerreichbar. Auf der ordentlichen Hauptversammlung im Juni 2000 gab Vorstand Reinhardt 250 Euro als Kursziel für 2002 aus: „Sonst trete ich zurück“ – ein Versprechen, auf dessen Einlösung man auch beim Stand von derzeit 12 Cent (!) noch immer wartete. Und so finanzierten die Kreditabteilungen der Commerzbank, IKB und der Landesbank Baden-Württemberg die Expansionswünsche.

Auf die Qualität des Managements wurde dabei wenig geachtet. Für die Integration der zahlreichen Töchter im In- und Ausland wurde wenig Zeit aufgewendet. Mit der Übernahme der Quantum GmbH verhob sich dann die SER Systems. Das Jahr 2001 war von hohen Verlusten (163,5 Millionen Euro vor Steuern und Zinsen) geprägt, eine Überschuldung drohte. Ende letzten Jahres kündigten die Banken dann die Kreditlinien. Es wurden Kredite in Höhe von rund 30 Millionen Euro sofort fällig. Dem standen noch etwa 7 Millionen an Eigenmittel gegenüber. Um den Forderungen nachzukommen, begann der Vorstand den Verkauf verschiedener Auslandstöchter, wenn sie nicht wie in England und Frankreich selbst Insolvenz anmeldeten. Als äußerst profitabel gilt die US-Niederlassung. Sie soll für 17,5 Millionen Dollar an Carl Mergele in Form eines so genannten Management Buy Out (MBO) verkauft werden. Gleichzeitig war aber Mr. Mergele auch im Vorstand der SER Systems. Zahlreiche Redner stellten in Frage, dass der bestmögliche Verkaufspreis erreicht wurde, wenn Käufer und Verkäufer identisch sind.

Auch wenn der anwesende Vorstand Reinhardt beteuerte, dass Mergele drei Wochen vor Vertragsunterzeichnung aus dem Vorstand ausgeschieden sei, so zeigt das aktuelle Handelsregister etwas anderes. Dort hat es keine Veränderung gegeben (Stand: 14. April). Ein lohnendes Geschäft für Mergele, soll doch die amerikanische Tochter einen Überschuss von sechs Millionen Dollar in diesem Jahr erwirtschaften. Die Investition würde sich in drei Jahren auszahlen.

Auf der außerordentlichen Hauptversammlung sollten nun die Aktionäre den Verkäufen zustimmen, „sonst werde die SER Systems Insolvenz anmelden“, drohte Reinhart. „Das Überleben hängt aber auch von einem Forderungsverzicht der Banken ab“, so Reinhardt weiter. Zahlreiche anwesende Rechtsanwälte waren anderer Meinung. Sie schenkten den Versprechen wenig Glauben und sehen die Chancen der Aktionäre bei einem durch den Insolvenzverwalter durchgeführten Verkauf der Unternehmensteile besser aufgehoben. Hatte doch das sehr spärliche Kaufpreisgutachten eines Herrn Ties Eggers aus Pulheim doch bis zu 34,5 Millionen Euro als realistisch angesetzt. Schleierhaft ist auch, warum nicht mit weiteren Investoren verhandelt wurde, zählen doch Banken und Investmentgesellschaften wie Oppenheim, ADIG und die SEB zu den Kunden der SER Systems. Eine Umrüstung ihrer Software würde bis zu 20 Millionen Euro kosten, so Branchenkenner.

Den Vorwürfen der Aktionäre und ihrer Rechtsanwälte, er und sein Vorstandskollege wollten sich selbst bereichern, konnte Gert J. Reinhardt aus Rahms bei Neuwied gelassen entgegnen – der Verkauf wurde mit 98 Prozent der anwesenden Stimmen angenommen. Denn nach mehr als neun Sitzungsstunden hatten bei der Abstimmung schon viele Aktionäre den Saal resigniert verlassen.

ANDREW MURPHY

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