Falsch verwendete Studiengebühren: Missbrauchte Moneten
Studiengebühren sollten die Lehre an den Hochschulen verbessern. Nun stellt sich heraus: Viele Unis machen mit dem Geld der Studenten, was sie wollen.
Von wem die Wirtschaftsingenieurin Nadia Bleher ihr Gehalt bekommt, steht am Türschild. Zimmer 32/130 steht dort, daneben klebt ein blauer Button der Hohenheimer Universität: "Aus Studiengebühren finanziert" lautet die Aufschrift. "Damit wird auch meinen Studenten klar, dass ich vor allem für sie da bin", sagt Bleher.
Doch nicht nur mit Blehers 25-Prozent-Stelle, die hauptsächlich aus Mathematikübungen für Bachelor-Studierende besteht, geht die Uni Hohenheim transparent um. Auf jedem Buch und jedem Beamer, der aus Gebühren bezahlt wird, klebt der blaue Button.
Mit dieser Offenheit ist die bei Stuttgart gelegene Universität eine große Ausnahme. Denn weder wissen deutsche Studierende, wofür genau ihr Geld ausgegeben wird, noch werden Gebühren immer sinnvoll investiert.
Sukzessive seit Herbst 2006 müssen Studierende in verschiedenen Bundesländern Gebühren bezahlen. 70 Prozent der Unis in Deutschland profitieren davon, fast 1 Milliarde Euro kommt in der Kassen. Die einzige Vorgabe ist, dass das Geld nur für die Verbesserung von Lehre und Studium zu verwenden ist. Doch trotzdem machen viele Unis mit dem Geld der Studenten, was sie wollen.
So hat sich die Universität des Saarlands etwas ganz Besonderes ausgedacht. Besser gesagt: etwas ganz besonders teueres. Für 93.000 Euro stattete sie die Studierenden aus Gebührengeldern mit USB-Datenspeichersticks aus, für knapp 15 Euro pro Stück. Die Speichersticks könnten sich die Studis zwar in jedem Elektro-Discountmarkt billiger kaufen, doch immerhin prangt auf den USB-Sticks auch das Logo der Uni: eine Eule, Sinnbild der Weisheit. "Damit will die Universität des Saarlandes auch dem Wunsch vieler Studierender nach einer größeren Identifikation mit ihrer Universität entsprechen", zeigt sich die Unileitung begeistert. "Eine vollkommen schwachsinnige Aktion", findet hingegen Daniel Koster vom Asta der Uni. "Man zahlt 500 Euro und bekommt einen USB-Stick. Das ist doch lächerlich."
Saarbrücken ist nicht das einzige Beispiel für Gebührenverschwendung. Die Hochschule für Musik in Detmold finanziert aus Studiengebühren Yogakurse - die mit 540 Euro für 20 Studierende allerdings recht günstig ausfallen. Andere Unis, darunter die in Hannover, wollen das Geld der Studierenden für neue Klimaanlagen ausgeben. Das Institut für Materialprüfung an der Stuttgarter Uni leistet sich von den Gebühren einen "Hochfrequenzpulsator mit Probenhalterung" für 98.000 Euro.
Die Universitäten in Ulm und Freiburg planten gar, Studiengebühren für die gestiegenen Heizkosten auszugeben, und lösten so wochenlange Proteste aus. In Passau wollten die Uni-Oberen Tiefgaragen sanieren, zogen den abstrusen Plan aber wieder zurück.
Die Universität Gießen lässt mit Gebührengeld den Parkettfußboden im Musiksaal 019 instand setzen. Obendrein will sie aus Gebühren zwei Professuren in Politikwissenschaft und Soziologie finanzieren - deren Aufgabe bekanntlich nicht nur die Lehre ist. So steht es im "Weißbuch zur Verwendung der Einnahmen aus Studienbeiträgen an den Hessischen Hochschulen". Also ein Verstoß gegen das Verbot, Studentengeld in die Forschung zu stecken.
Kein Wunder also, dass die Studierenden skeptisch bleiben gegenüber der Campus-Maut. Eine im Dezember veröffentlichte Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) in Hannover zeigt: Nur 5 Prozent der Befragten rechnen damit, dass sich durch die Gebühren die Studienbedingungen deutlich verbessern. Zwei Drittel fühlen sich nicht ausreichend am Prozess der Verteilung der Studiengebühren beteiligt. Ebenso viele lehnen sie ganz ab.
"Den Hochschulen fehlt häufig noch ein Gesamtkonzept, wofür sie Studiengebühren verwenden", sagt selbst Ulrich Müller vom wirtschaftsliberalen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), das sich jahrelang für die Einführung von Gebühren eingesetzt hat. Anke Burkhardt vom Institut für Hochschulforschung in Wittenberg findet: "Es braucht dringend klarere Kriterien, wofür die Gebühren eingesetzt werden."
Alles andere als sinnlos, aber dafür äußerst kostspielig ist ein Vorhaben an der Universität Bonn. Dort werden die Medizinstudenten mit ihren Gebühren zu Bauherren. Auf dem Bonner Venusberg entsteht ein neues Seminargebäude. Kosten: 4,6 Millionen Euro - zu 100 Prozent finanziert von Studierenden. Studiendekan Thomas Schläpfer nennt das einen "Befreiungsschlag" für Raumprobleme. Und Unirektor Matthias Winiger schiebt die Schuld auf andere: Das Gebäude sei "auf ausdrücklichen Wunsch der Studierenden entstanden".
Aber warum müssen ausgerechnet die Studierenden die Unterfinanzierung der Unis ausbügeln? Dass Studierende in Beton investieren, sieht auch CHE-Experte Müller kritisch. "Wer Gebühren bezahlt, sollte sofort eine Verbesserung spüren", sagt er. "Gebäude werden erst in ein paar Jahren fertig."
Nicht dass alle Universitäten ihre Gebührenmillionen verschwenden würden: Vielerorts wurden ganze Heere von Tutoren eingestellt, neue Lehrbücher angeschafft und die Bibliotheksöffnungszeiten verlängert. Die Unibibliothek Dortmund etwa ist außer sonntags rund um die Uhr geöffnet.
Oft investieren die Studenten aber in die Infrastruktur der Unis: Für Hunderttausende von Euros werden WLAN-Netze installiert, Computer gekauft und Scanstationen angeschafft - Modernisierung mit den Moneten der Studis.
Ein erheblicher Teil der Gebühren bleibt nicht einmal an den Hochschulen. Bis zu 18 Prozent fließen, je nach Bundesland, in sogenannte Ausfallfonds, mit denen die Länder ihre Studiengebührenkredite absichern. Auch die Verwaltung und Verteilung der Studiengebühren kostet Geld, und das nicht zu knapp. 169.000 Euro kommen allein an der Uni Augsburg pro Semester zusammen - mehr als 3 Prozent der Gebühren fließen damit in Bürokratie.
Das zwingt auch die Politik zu Reaktionen. Nachdem Medien darauf aufmerksam gemacht hatten, dass in Köln gerade mal ein Viertel der Gebühren tatsächlich auf die Verbesserung des Studiums verwandt wird, tobte FDP-Wissenschaftsminister des Landes, Andreas Pinkwart. Wenn die Unis ihre Gebühren nicht rechtmäßig ausgeben könnten, sollten sie sie senken - oder zurückgeben, schimpfte er (siehe unten).
Gebührenexperte Müller findet dagegen, dass der Einfluss der Studierenden auf die Verwendung ihrer Gebühren stärker werden sollte. Zwar sitzen an den meisten Universitäten bereits heute Studierende in den Kommissionen, die über die Verwendung der Gebühren entscheiden, doch sind sie dort oft in der Minderheit. "Die Studierenden sollten eine Art Vetorecht haben", sagt Müller, "wenn nicht sogar allein über einen Teil des Budgets entscheiden."
Aber auch dort, wo Studenten mitbestimmen, geht manches schief. An der TU Darmstadt können die Studierenden Entscheidungen, die ihnen nicht genehm sind, per Veto kippen. Am Fachbereich Informatik fanden die Studierenden, dass sich die Studienbedingungen so verbessern lassen: durch einen neuen Fahrradständer - für 4.000 Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?