Fall Yücel vor dem EGMR in Straßburg: Stellungnahme ohne neue Beweise
Die lange erwartete Stellungnahme der türkischen Regierung zum Fall Deniz Yücel ist beim EGMR angekommen – und enthält nicht mehr als die bisher bekannten Vorwürfe.
Die Stellungnahme der türkischen Regierung zur Beschwerde des Türkei-Korrespondenten der Welt, Deniz Yücel, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist laut Welt dessen Anwälten zugestellt worden. In dem Dokument, das der Zeitung vorliegt, seien vom türkischen Justizministerium keine neuen Beweise gegen Yücel vorgelegt worden. Der Schriftsatz wiederhole die Vorwürfe des Haftbefehls, Terrorpropaganda und Volksverhetzung, und verweise auf Artikel Yücels als Beweise.
Der ehemalige taz-Redakteur Deniz Yücel ist seit Februar in der Türkei in Gefangenschaft. Yücel hatte im April Beschwerde vor dem EGMR gegen seine fortgesetzte Inhaftierung eingelegt. Sie verstoße unter anderem gegen seine Grundrechte auf Freiheit, Sicherheit und freie Meinungsäußerung. Das Gericht hatte die Klage angenommen und beschlossen, sie mit Vorrang zu behandeln. Die Türkei wurde daraufhin aufgefordert, zu Yücels Beschwerde Stellung zu nehmen.
Das Dokument war auch deshalb mit Spannung erwartet worden, weil man sich daraus Aufschluss über den tatsächlichen Umfang der Vorwürfe gegen Yücel erhoffte. Eine Anklageschrift gegen ihn wurde bisher nicht vorgelegt. Die Ermittlungsakten sind geheim.
Keine neuen Vorwürfe
Die Welt zitiert aus dem am Dienstag eingereichten Schriftsatz des türkischen Justizministeriums: „In den einschlägigen Artikeln des Antragstellers, die in der Begründung des Haftbefehls angeführt werden, ist erkennbar, dass er die Terrororganisation PKK als eine legitime Körperschaft erscheinen ließ“.
Der genannte Vorwurf bezieht sich vor allem auf ein Interview mit Cemil Bayik, dem Exil-Chef der kurdischen Organisation, das Yücel 2015 veröffentlichte. Weiter zitiert die Welt die Stellungnahme wie folgt: „Die Gewalttaten der Terrororganisation, vor allem im Osten und Südosten unseres Landes wurden damit gutgeheißen“. Zudem, so heiße es in der Stellungnahme, habe Yücel den türkischen Präsidenten Erdogan als „Putschisten“ bezeichnet.
Yücels Beschwerde seiner Menschenrechte sei nicht zulässig, heiße es in der Stellungnahme. Für das Grundrecht auf Freiheit und Sicherheit sowie für das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung habe die Türkei wegen des Putschversuches vom Juli 2016 eine Ausnahme geltend gemacht. Das Yücel derzeit nicht arbeiten könne sei zudem lediglich die Folge seiner Inhaftierung. „Es kann folglich nicht behauptet werden, dass die Untersuchungshaft gegen den Antragsteller verhängt wurde, um seine journalistischen Aktivitäten zu behindern“, zitiert die Welt den Schriftsatz.
Beschwerde vor dem EGMR sei unzulässig
In diesem wird laut Welt zusätzlich behauptet, Yücels Beschwerde vor dem EGMR sei unzulässig, weil das türkische Verfassungsgericht noch nicht über die Beschwerde des Journalisten entschieden habe: „Die Regierung weist darauf hin, dass eine Beschwerde vor diesem Gericht vor Abschluss des Verfahrens vor nationalen Gerichten oder dem nationalen Verfassungsgericht nicht vereinbar ist mit dem Subsidiaritätsprinzip, das ein grundlegendes Prinzip der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt“. Demnach müssten zunächst die Gerichte eines Mitgliedsstaates einen Fall geprüft haben, bevor der EGMR ihn behandeln könne.
Yücel hatte die Beschwerde vor der höchsten türkischen Instanz am 27. März eingereicht. Seither hat es keine Verhandlung des Falles vor dem türkischen Verfassungsgericht gegeben. Der türkische Schriftsatz, so die Welt sage dazu, dass angesichts der Vielzahl von Verfassungsklagen seit dem Putschversuch diese Bearbeitungszeit „durchaus angemessen“ sei.
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