Fahrradverleiher in Berlin: Invasion der Leihräder
Neue Anbieter stehen schon vor der Tür. Doch der Senat ist darauf nicht vorbereitet. Er streitet seit Monaten mit Nextbike über Kunden-Rabatte.
Die Invasion steht möglicherweise kurz bevor. In Zürich, London und anderen europäischen Großstädten, zuletzt auch in München sind sie bereits angekommen: Leihfahrräder fernöstlicher Provenienz, die quasi über Nacht in Massen auftauchen. In der bayerischen Landeshauptstadt, wo nicht weniger als 7.000 Exemplare Gehwege, Abstellflächen oder Wiesen blockieren, stehen sie gerade unter medialem Beschuss. Fraglich ist auch, wie sich die Präsenz von Anbietern wie „oBike“ oder „Mobike“ auf den Leihradmarkt in einer Stadt auswirkt, in der durch konkurrierende Mietsysteme bereits ein tendenzielles Überangebot herrscht – also etwa in Berlin.
Welches wirtschaftliche Modell hinter einem Startup wie oBike aus Singapur steckt, ist unklar. Möglicherweise wird in dem Expansionsversuch einfach Risikokapital der boomenden fernöstlichen Ökonomien verbrannt, vielleicht geht es aber auch um die Kundendaten, die mit dem Verleihgeschäft gesammelt werden können. Diesen Verdacht hat auch der grüne Münchener Stadtrat Herbert Danner im September gegenüber der taz geäußert.
Seit vergangenem Mai stellt die Leizpiger nextbike GmbH ihre Leih-Fahrräder in Berlin auf. Bis Ende 2018 sollen es mindestens 5.000 an über 700 Stationen werden – diese Zahl wurden vertraglich mit dem Berliner Senat vereinbart. Dieser Vertrag sieht eine Förderung von 7,5 Millionen Euro bei einer Laufzeit von 5 Jahren vor – mit einer Verlängerungsoption um weitere drei Jahre. Die Ausleihe eines nextbike-Rades kostet 1 Euro für die erste halbe Stunde, dann 1,50 Euro pro halbe Stunde. Rabatte gibt es durch den Erwerb von Tages-, Wochen- oder Jahrespässen.
Der Konkurrent Lidl-Bike, der auf feste Stationen verzichten muss, nimmt 1,50 Euro für die ersten 30 Minuten und 1 Euro für die folgenden – auch er bietet Rabatte im Rahmen von Monats- und Jahrespässen an. Entleihbar sind die Räder in erster Linie über die jeweiligen Smartphone-Apps. (clp)
Sicher ist: Mehrere tausend Leih-Bikes zusätzlich würden auch in Berlin ins Gewicht fallen, wo mit dem vom Senat geförderten Leipziger Unternehmen nextbike und dessen Konkurrent Lidl-DB-Bike bereits zwei große Player im Wettbewerb untereinander und mit vielen kleinen Verleihern stehen. Ob oBike und Co. tatsächlich kommen, weiß niemand mit Sicherheit, aber Kenner der Branche rechnen damit.
Velos in wilden Haufen
Bei nextbike ist man gar nicht begeistert von dieser Vorstellung: „Wir finden es schon nicht so toll, dass die Aktivitäten von Lidl-Bikes über die DB-Tochter Call A Bike letztlich mit Steuergeldern abgefedert werden“, sagt nextbike-Sprecherin Mareike Rauchhaus. Problematischer ist aber aus ihrer Sicht die mögliche negative Wirkung auf das Image von Leihrädern, wenn die Miet-Velos – wie anderswo geschehen – in wilden Haufen herumliegen und den Weg versperren: „Das kann dazu führen, dass potenzielle Kunden sich am Ende aufregen und der gefühlte Kampf um die Straße sich noch verschärft.“
Nikolas Linck sieht das ähnlich: „Unter Umständen wird dann Fußgängern der Raum genommen, und die sind nun mal die schwächsten Verkehrsteilnehmer“, so der Sprecher des Berliner ADFC-Landesverbands zur taz. „Was gar nicht geht, ist ein Anbieter wie Donkeybike, der seine Räder an öffentlichen Abstellanlagen anschließt, von denen es ohnehin zu wenige gibt.“ Der dänische Leihradanbieter Donkeybike ist bereits jetzt mit Rädern in der Stadt präsent.
„Grundsätzlich positiv“
Der ADFC sehe Sharingsysteme eigentlich sehr positiv, sagt Linck. „Grundsätzlich ist es gut, wenn viele Fahrräder herumstehen, das System muss aber auch einheitlich und klar verständlich sein.“ Als positive Beispiele nennt der Radlobbyist Paris und Madrid. Auch im Hinblick auf weitere Entwicklungen bei Autos oder E-Scootern empfiehlt Linck dem Senat, rechtzeitig „Regularien zu schaffen“, mit denen das Sharing-Potenzial in der Stadt effizient genutzt werden könne. Das lasse sich beispielsweise über die gezielte Freigabe von Abstellflächen erreichen.
Auch in der Verwaltung von Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos) hat man das Phänomen registriert. „Es gibt immer wieder Anfrage und Kontaktaufnahmen seitens solcher Anbieter“, bestätigt Sprecher Matthias Tang, „konkret ist das aber noch nicht.“ Die Verkehrsverwaltung, so Tang, empfehle den Bezirken, auf den Antrag einer Sondernutzungsgenehmigung zu pochen, wenn Leihräder in massivem Umfang aufgestellt werden sollten. Mit Lidl-Bikes spreche man zurzeit genau darüber.
Rein technisch gelten die oBike-Räder als wenig überzeugend – unter anderem verzichten sie auf eine Gangschaltung und sind mit ihren Vollgummireifen zwar unplattbar, aber auch sehr schwer. Trotzdem könnte es auf Alleinstellungsmerkmale ankommen, wenn ein vom Land subventioniertes Unternehmen wie nextbike bei aggressiven Markteinführungen nicht ins Hintertreffen geraten will. Ein solches Merkmal hatte der Senat bei der Einführung von nextbike im Mai versprochen, bislang aber wurde es nicht umgesetzt: die kostenfreie erste halbe Stunde für Abo-KundInnen des Verkehrsverbunds Berlin Brandenburg (VBB).
Gespräche laufen noch
Aus der Verkehrsverwaltung heißt es, die Gespräche liefen noch, und auch von nextbike ist zu erfahren, dass man an dem versprochenen Rabatt festhalte. Wie die taz aber aus eingeweihten Kreisen erfuhr, treten die Verhandlungen auf der Stelle, weil sich die beiden Parteien über den Preis, den das Land nextbike für die Vergünstigung zahlen müsste, nicht einig werden. Inzwischen kooperiert nextbike ganz offiziell mit dem Streaming-Dienst „Deezer“ und bietet eine Gratis-halbe-Stunde für dessen zahlende AbonnentInnen an.
Dass es anders geht, zeigt das Beispiel Potsdam: In der Nachbarstadt dürfen AbonnentInnen des VBB die örtlichen nextbike-Räder sogar 120 Minuten lang kostenlos fahren – pro Tag.
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