Fahrraddiebstähle: Berliner Polizei ist radlos
Berlin ist die Hauptstadt des Fahrradklaus - und die Polizei schaut weg. In anderen Städten gibt es eigene Sonderkommissionen, hier überlässt man die Ermittlungen allein dem Kommissar Zufall.
Fahrräder sollte man in Berlin gut wegschließen: 20.246 Diebstähle registrierte die Polizei 2007, das waren 1.471 mehr als im Vorjahr. Im Durchschnitt wurden pro 1.000 Einwohner 6,05 Räder geklaut. Das gefährlichste Pflaster ist laut der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) Pankow. Dort wurden 2007 mit 3.570 die meisten Räder entwendet, auf 1.000 Einwohner verteilt waren das 10,1 Räder. Am meisten stibitzt wird im zentralen Prenzlauer Berg, Pankow, Blankenburg und Buch. Blankenfelde und Rosenthal fallen kaum ins Gewicht. Die nächsthöhere Gefährlichkeitsstufe teilen sich Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf. In Kreuzberg (6,6 geklaute Räder pro 1.000 Einwohner) wird deutlich weniger geklaut als in Friedrichshain (9,3), insgesamt sind die Zahlen für den Bezirk rückläufig. Sicherer stehen Räder in Spandau, Reinickendorf und Lichtenberg-Hohenschönhausen. Freuen dürfen sich Neuköllner: Dort wurden pro 1.000 Einwohner lediglich 3 Räder geklaut. Damit ist der angebliche Problembezirk so sicher wie Steglitz-Zehlendorf und Marzahn-Hellersdorf.
Berliner, halt dein Fahrrad fest! Denn ist es erst mal weg, dann musst du selber suchen: Die Fahrradhauptstadt Berlin boomt nicht nur hinsichtlich der stets steigenden Zahl neuer RadlerInnen, sondern auch, wenn es um den Fahrradklau geht. Doch während andere Städte auf neue Strategien setzen, reagiert die Berliner Polizei - gar nicht.
Dabei dürften die Zahlen auch den hiesigen Polizeibeamten mehr Bewegungsfreude nahelegen: Wurden in Berlin 2006 noch 18.775 Fahrraddiebstähle zur Anzeige gebracht, waren es 2007 bereits 20.246 - und damit 7,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Bei den Aufklärungsquoten der Berliner Polizei sieht es dagegen mau aus: Lediglich knapp fünf Prozent der angezeigten Fahrraddiebstähle können von der Berliner Polizei aufgeklärt werden. Im Vergleich zu anderen Fahrradstädten steht Berlin damit äußerst schlecht da.
In Münster etwa, wo der Drahtesel zum Standardgefährt gehört, liegt die Aufklärungsquote geklaut gemeldeter Räder ähnlich wie in Stuttgart bei knapp 10 Prozent, in Göttingen bei 13 Prozent, in München bei über 20 Prozent. In Magdeburg gelang es den ErmittlerInnen zuletzt, 35 Prozent aller Fahrraddiebstähle aufzuklären.
Grund für diese signifikanten Unterschiede könnte die Ermittlungspraxis der Berliner Behörden sein: Denn während andere Städte dem steigenden Fahrradklau mit eigenen Ermittlungsgruppen begegnen, gibt es in Berlin keine effizienten Ermittlungsstrukturen.
In Magdeburg befasst sich seit 2007 eine eigene Ermittlungsgruppe mit Fahrraddiebstählen: "Weil die Ermittler die Szene kennen, können sie natürlich sehr effektiv agieren", sagt Frank Küssner, Pressesprecher der Polizei Magdeburg. Seit Einsatz der Ermittlungsgruppe sei die Aufklärungsquote signifikant gestiegen. Auch in Göttingen sind eigene Ermittler gegen den Fahrradklau abgestellt. Sie führen Observationen an Diebstahl-Brennpunkten und klau-spezifische Verkehrskontrollen durch.
Unter den Berliner Polizisten ist der beste Ermittler dagegen Kommissar Zufall: "Wir haben in Berlin keine eigene Einheit, die für Fahrraddiebstahl zuständig wäre", sagt ein Polizeisprecher der taz. "Das machen die Kollegen in den einzelnen Direktionen mit." In der Regel würden geklaute Fahrräder dann auffallen, wenn sie im Rahmen von Verkehrskontrollen oder einzelfallspezifischen Prüfungen - etwa, weil ein betrunkener Radler das Licht nicht an hat - angehalten werden. Oder: wenn die Geschädigten ihr Rad selbst wiederfinden. Kurz: Wer den Schlag gegen die Schwarzmarktmafia erwartet, muss auf die Beamten im Kiez hoffen.
Neben diesen eher zufälligen Fundstückerfolgen bietet die Berliner Polizei den BürgerInnen an, ihr Rad polizeilich registrieren zu lassen. Das nützt zwar, um ein geklautes Rad zu identifizieren - aber nur, wenn es überhaupt wiedergefunden wurde.
Björn Jotzow, innenpolitischer Sprecher der FDP, fordert angesichts der niedrigen Aufklärungsquoten: "Die Polizei sollte sich dringend dem Problem widmen". Eine Soko hält er aber nicht für das richtige Mittel. "Sinnvoller als punktueller Aktionismus wäre die Einrichtung eines Schwerpunktdezernats, das dauerhaft aktiv sein könnte." Auch Susanne Grittner, stellvertretende Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs Berlin, sagt: "Die Polizei muss sich aktiver mit diesem Problem befassen. Wenn es die Aufklärungsquote verbessert, dann muss man natürlich über eine bessere Ermittlungsstruktur nachdenken."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich