piwik no script img

Fahrradboom in Kolumbiens HauptstadtCorona-Radwege für immer

Zu Beginn der Pandemie hat die Stadt Bogotá den Straßen Platz für Rad­le­r*in­nen abgezwackt. Diese temporären Wege sollen nun dauerhaft bleiben.

Kann weiter auf der extra Radspur fahren: Radler in Bogota Foto: Sebastian Barros Salamanca/imago

K olumbiens Hauptstadt hat wegen der Corona-Pandemie provisorische Radwege eingerichtet. Die sollen jetzt bleiben. Für den Handel und die Rad­le­r*in­nen ein Glücksfall. Giovanny Martínez macht gerade das Geschäft seines Lebens: „Uns gehen schon die Räder aus!“, sagt der drahtige Mann, dessen Mimik sich hinter dem Mundschutz nur erahnen lässt. Der 27-Jährige ist Inhaber von zwei Fahrradläden in Bogotá. Besonders gefragt seien Trekkingräder und teurere Modelle als früher: „Die Leute gehen davon aus, dass das hier länger dauern wird und investieren deshalb.“ Verkaufte er vor Corona „drei, vier, wenn’s hochkommt zehn“ Räder am Tag, seien es jetzt mindestens zehn, am Wochenende sogar 40 bis 60 Räder. Die Bo­go­ta­ne­r*in­nen rennen Martínez und den Kollegen in den Läden nebenan die Bude ein – soweit das mit Sicherheitsabstand in Pandemie-Zeiten möglich ist.

Der Grund dafür befindet sich direkt vor Martínez Geschäft in der Calle 68: Von den drei Spuren ist seit dem 25. März eine mit orangen Plastikbarrieren für Rad­fah­re­r*in­nen abgetrennt und wird üppig genutzt. Bogotás Bürgermeisterin Claudia López, selbst passionierte Radlerin, hat kurz nach Beginn der landesweiten Quarantäne den Straßen der Hauptstadt 84 Kilometer „temporäre Radwege“ abzwacken lassen. Ihre Initiative wurde Modell für Pop-Up-Radwege in Budapest, Berlin und zahllosen anderen Großstädten weltweit.

In Bogotá sollten nicht nur die Transmilenio-Busse auf die verlangten maximal 35 Prozent Auslastung kommen, sondern sich auch die Luftqualität verbessern. Die ist in der Weltstauhauptstadt Bogotá seit Jahren ein Problem. Das Rad soll’s richten. Als nach der strengsten Phase der Quarantäne einzelne Wirtschaftszweige wieder öffnen durften, waren die Radgeschäfte und -werkstätten mit dabei. Und die Stadt hat schon begonnen, alle temporären Radwege zu dauerhaften ausbauen.

Wegen Corona haben sich viele ein Rad gekauft

„Buenísimo“, findet Julio Alfonso. Der 55-jährige Angestellte stieg vor Corona nur am Wochenende aufs Rad. Jetzt fährt er täglich über den Pandemie-Radweg auf der Carrera 7 in die Arbeit. Einfach 50 Minuten. Seine Anfangszeit hat er um zehn Minuten verbessert, sagt Alfonso, er fühle sich fitter. Im Monat spart er sich mindestens 100.000 Pesos für den Bus, etwa 25 Euro. Nur die Sicherheit macht ihm Sorgen: „Es werden viele Räder gestohlen.“

Ähnlich sieht es Yeraldin Macías (26). Sie hat sich wegen Corona ein Rad gekauft, wie so viele vor allem, um die Ansteckungsgefahr im öffentlichen Nahverkehr zu vermeiden. „Ich genieße es richtig. Das Rad ist praktisch und meistens auch noch schneller.“ Als Frau fühle sie sich auf dem Rad sicherer als zu Fuß. „Da sagen sie einem manchmal unangenehme Sachen.“ Die meisten Nutzer der Radwege sind trotzdem Männer.

Fahrradverrückt waren die Ko­lum­bia­ne­r*in­nen schon vor Corona – und nicht erst seit den Erfolgen der Leistungssportler Nairo Quintana und Egan Bernal. Zum Rennradfahren ist den begeisterten Frei­zeit­sport­le­r*in­nen kein Andenberg zu hoch. Zum erklärten Ziel „Weltfahrradhauptstadt“ ist es für All­tags­rad­fah­re­r*in­nen in Bogotá noch weit. Zu den Herausforderungen gehören Schlaglöcher, blaue Markierungen, die bei Nieselregen spiegelglatt werden und rabiate Auto- und Busfahrer.

Allerdings verfügte Bogotá schon vor Corona mit 550 Kilometern über das längste Radwegenetz Lateinamerikas und war in den 70ern die erste Stadt weltweit, die an Sonntagen Straßen sperrte, um sie Fahrradfahrer*, Jog­ge­r*in­nen und anderen Frei­zeit­sport­le­r*in­nen zu überlassen. Die Idee schlief später etwas ein und wurde Mitte der 90er Jahre wiederbelebt. Heute sporteln sonn- und feiertags auf den 121 Kilometern von 7 bis 14 Uhr für die „ciclovía“ gesperrte Straße im Schnitt von 1,5 Millionen Bogotanos – wegen Corona ist damit Pause.

Die Zahl der Fahrzeuge auf Bogotás Straßen ging zurück

Dafür sollen nach Angaben der Stadtverwaltung mehr als 3,2 Millionen Rad­le­r*in­nen während der Quarantäne die temporären Radwege genutzt haben – täglich etwa 330.000 Fahrten. Vor Corona waren es über 880.000. Die Zahl der Fahrzeuge auf Bogotás Straßen ist in derselben Zeit nur um 6 Prozent zurückgegangen – auf 383.000.

Trotzdem geht auch Aran Said Aljure Oviedo davon aus, dass das Interesse am Rad anhält. Er ist Manager bei „Cycling World“, einem Geschäft fünf Filialen in Bogotá. Zum einen, weil der ÖPNV in Bogotá „grottenschlecht“ sei. Zum anderen, weil immer mehr Firmen ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen anhielten, nicht mehr mit dem Bus in die Arbeit zu kommen. „Manche haben bei uns sogar Räder gekauft, um sie ihren Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen“, sagt Aljure. Um 30 Prozent seien bei ihm die Verkäufe gestiegen. Oder wie Giovanny Martínez aus dem Nachbargeschäft sagt: „Wir haben ein Virus gebraucht, damit die Leute ein Rad kaufen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Katharina Wojczenko
Freie Korrespondentin
stammt aus dem Bayerischen Wald und berichtet seit 2017 überwiegend aus Kolumbien. Sie ist Mitglied des Reporterinnen-Teams von #tazFolgtDemWasser und Mitgründerin des Magazins „Südamerika+Reporterinnen“ auf der genossenschaftlichen Journalismus-Plattform-„RiffReporter“.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Vor kurzem gab es auf TAZ einen ähnlichen Bericht... und auch da musste ich lachen!

    Ich lebe in Sesquile, einem Dorf eine halbe h entfernt, habe aber auch eine Stadtwohnung in Bogota der Logistik wegen.. (verkehr)

    Bogota für irgendetwas als Vorbild zu nehmen ist schon recht abenteuerlich!

    Lediglich auf zwei grossen, achtspurigen Stadtautobahnen sind provizionelle Fahrradwege eingerichtet. Im Rest der Stadt, bis auf zwei Ausnahmen (clle 26 & cra. 19) sind Fahrradwege, ja funktionstüchtige Bürgersteige fehlanzeige.

    Zebrastreifen haben keinerlei reale Bedeutung in der Stadt, die Umgehungsstrasse /Ring der im Osten um die Stadt (und durch mein Dorf) gebaut wird hat weder Fahrradweg/streifen noch Bürgersteig. Wo traditionell Menschen zu Fuss oder Rad oder Pferd unterwegs waren muss man jetzt auf den Bus warten da die Strasse,nur für Autos gedacht, lebensbedrohlich für alternative Fortbewegungsmethoden geworden ist.

    Es gibt keinerlei Infrastruktur in Bogota für Fahrräder-weder Parkmöglichkeiten noch ein Radwegnetz. Autos und Mopeds haben grundsätzlich Vorfahrt.

    Etc, etc..

     

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an unsere Netiquette.

    Die Moderation

    • @Johnnie Colombia:

      Na ja, Calle 53, Cra 13 und noch einige mehr haben schon Radspuren.

      Aber ja, außerhalb der Radwege fühlt man sich immer wie auf der Hermannstraße....

      Wichtig ist die Routen zu kennen, dann ist Radeln die am wenigstens schlechte Fortbewegung