Fahrrad- und Autoverkehr: Gutscheine für den Schulterblick
Viele Städte versuchen, ein besseres Miteinander der Verkehrsteilnehmer zu schaffen. Infrastrukturprojekte reichen dafür nicht.
Vor allem wer mit dem Rad unterwegs ist, leidet: Laut der Umfrage fühlt sich jeder zweite Radfahrer im Verkehr unsicher.
Was die Leute sich dagegen wünschen, zeigt das Ergebnis einer lokalen Befragung des Fahrradclubs ADFC Bielefeld: mehr Investitionen in den Radverkehr. Bisher wird in der ostwestfälischen Stadt mit ihren gut 328.000 Einwohnern rund ein Euro pro Person jährlich für Radverkehr ausgegeben. Die befragten Bielefelder fanden, es sollten 35 Euro sein, ein Zigfaches also. Bei der Stadt kommt man nun ins Grübeln, aber eine klare Ansage gibt es nicht.
Investitionen in die Infrastruktur sind das eine, Bewusstseinsbildung für die unterschiedlichen Interessen der Verkehrsteilnehmer ist das andere. Hier setzen die Kommune auf Webseiten, Flyer, Wettbewerbe und Aktionen.
In Wien startete die Stadt schon vor ein paar Jahren die Kampagne „Tschuldigen ist nie verkehrt“. In Zürich heißt es auf der Homepage „Generell-freundlich“: „Versuchen Sie den Stadtverkehr als großes Miteinander zu sehen – als ein Teamwork und nicht als einen Kampf Alle gegen alle. Das führt automatisch zu einer besseren Stimmung.“
Das Thema emotionalisieren
Das Verkehrsbüro VAR in Darmstadt, ein Planungsbüro für Rad- und Fußverkehr, hat schon Fahrradkampagnen für mehrere Städte in Süddeutschland organisiert. Die Aufträge nähmen zu, weil das Thema Verkehrsplanung mit zunehmendem Radverkehr in den Städten immer wichtiger werde, sagt Uwe Petry.
Stadt Zürich
Das Büro bietet „Neubürgerpakete – Mobil in meiner Stadt“ an, die etwa Fahrradpläne und Gutscheine für den ÖPNV enthalten. „Man muss das Thema emotionalisieren“, sagt Petry: „Wenn eine Stadt gute Verkehrswege und ein gutes Verkehrsklima hat, ist die lokale Identifikation höher, die Menschen bleiben lieber dort wohnen oder kehren nach der Ausbildung in ihren Heimatort zurück.“
Der Verkehrsplaner Petry weist auf ein weiteres positives Beispiel hin: Die Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen in Baden-Württemberg (AGFK-BW) organisierte mit der Agentur fairkehr eine Brötchentüten-Aktion: 565 Bäcker bekamen Tüten mit der Aufschrift „Mit dem Rad zum Bäcker macht die Brötchen doppelt lecker“ und Infografiken zu den gesundheitlichen Vorteilen von Radfahrern.
Positives Verhalten belohnen
Andere Ideen, diesmal für Autofahrer, kommen wieder aus Bielefeld: Um positives Verhalten zu belohnen, hat die Stadt Polizisten eingesetzt, die Autofahrer anhalten, wenn sie beim Abbiegen den Schulterblick machten, und ihnen Gutscheine für eine Nacken-Massage schenken.
Was die Aktionen für die Sicherheit im Straßenverkehr bringen, ist schwer messbar. „In Wien ist die Zahl der Verkehrstoten zwischen 2010 und 2015 von 29 auf 11 Menschen jährlich zurückgegangen“, sagt der Wiener Mediensprecher Andreas Baur.
Einen direkten Zusammenhang will er zwar nicht behaupten. Aber die Kampagne habe Politiker, Fahrlehrer, Wirtschaftsvertreter, Verkehrsclubs und Wissenschaftler zusammengebracht. „Da sprechen Verkehrsteilnehmer miteinander, die sich ansonsten oft nicht grün sind“, sagt Baur.
Dieser Artikel wurde am 8. August 2016 um 16.40 leicht verändert.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links