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Fahrlässige Dramaturgie

Vom germanischen Siegfried zum biblischen Samson: Werner Herzog überschätzt die breiten, kräftigen Schultern von Zische Breitbart, dem Helden seines Films „Invincible“

Werner Herzog hat große Verdienste und seit 1962 viele tolle Filme gemacht: „Jeder für sich und Gott gegen alle“ mit dem unvergessenen Hinterhofmusiker Bruno S. , die psychedelische Verfilmung von Herbert Achternbuschs „Herz aus Glas“ (1976), die großartigen Sachen mit Klaus Kinski „Aguirre, Gott des Zorns“ (1972), „Woyzeck (1979)“ und „Fitzcarraldo (1982)“. Seit Mitte der 80er-Jahre hatte er sich, wie Werner Schroeter, der Oper zugewandt und vor allem Wagner in berühmten Häusern wie in Bayreuth, Paris oder Mailand inszeniert.

Mit „Mein liebster Feind“ (1999), dem wunderbaren Dokumentarfilm über seine Arbeit mit Klaus Kinski, hatte er sich wieder in Erinnerung gebracht. „Invincible“ ist sein erster Spielfilm seit zehn Jahren und trägt bezeichnenderweise den gleichen Titel, wie das Comebackalbum von Michael Jackson. Der Film ist misslungen. Nicht dass man sich langweilen würde. Es gibt schöne Passagen, und die Schauspieler, also die Stars Tim Roth und Udo Kier wie die Laien – der finnische Kraftsportler Jouka Ahola oder die russische Pianistin Anna Gourari – sind durchgehend großartig, aber als Ganzes funktioniert „Invincible“ trotzdem nicht.

Eigentlich war der Film schon vor seinem Start erledigt. Beim Filmfestival in Venedig wurde er ausgebuht, die deutsche Erstaufführung fand in Lünen statt, der Kinostart wurde verschoben, die Kritiken waren vernichtend.

„Invincible“ spielt 1932 und erzählt die Geschichte von Zische Breitbart. Breitbart ist Schmied und lebt in einem jüdischen Schtetl im Osten Polens. Bei einem Schaukampf besiegt er den starken Mann eines Zirkus. Zufällig ist ein Agent im Publikum. Der überredet ihn, nach Berlin zu kommen. Dort wird er mit blonder Perücke als Siegfried zu einer der Hauptattraktionen in „Hanussens Palast des Okkulten“, der vor allem auch von Nazis besucht wird.

Während der fiese Hanussen (Tim Roth) seine jüdische Herkunft verbirgt und von einem Ministerium des Okkulten im kommenden Nazireich träumt, erträgt der durchgehend gute Breitbart die arische Maske nach kurzer Zeit nicht mehr. Er bekennt seine jüdische Herkunft und ist fortan Samson, ein Held der jüdischen Gemeinde Berlins, die massenhaft in die Vorstelungen strömt. Breitbart verliebt sich in die Geliebte von Hanussen, entlarvt den Betrüger, der von den Nazis erschossen wird, sieht die kommenden Katastrophen voraus, kehrt zurück in sein Schtetl und stirbt dort, unbesiegt im Kampf, an einer Blutvergiftung.

Eine schöne Geschichte, die auf wahre Begebenheiten zurückgeht. Herzog hat sie umgeschrieben; wie, erfährt man leider nicht. Die Typisierungen nerven: Breitbarts neunjähriger Bruder Benjamin etwa, der ständig Gleichnisse oder direkt aus der Bibel zitiert, die primitiv reaktionären Nazis im Publikum des Palast des Okkulten.

Geradezu Besorgnis erregend aber ist die Dramaturgie des Films, die Leichtfertigkeit, mit der Werner Herzog die Spannungsbogen verschenkt. Die Höhe- und Wendepunkte kommen allzu hastig, für Vorlust hat Herzog offensichtlich keinerlei Gespür. Dazu durchzieht allerlei Unlogisches den Film. Nachdem Breitbart etwa zum Samson wurde und kündigen will, erklärt ihm Hanussen, er solle bleiben, weil die Berliner Juden ihn nun zu ihrem Helden erkoren haben und massenhaft in sein Etablissement strömen. Im nächsten Bild gibt es jedoch genauso viele Nazis wie zuvor schon im Publikum. „Invincible“ ist eine Enttäuschung. Und das ist alles umso trauriger, als die Schauspieler großartig sind und Herzog im einzelnen eindrucksvolle Szenen gelingen.

„Invincible“. Buch und Regie: Werner Herzog. Mit Tim Roth, Udo Kier, Jouka Ahola, Anna Gourani, D 2001, 130 Min.

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