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Fahler Wind der Freiheit

Heute gehen in Berlin tausende von Lastwagenfahrern ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: Sie blockieren Straßen. Aber was sind Lkw-Fahrer eigentlich für Menschen?

Ich bin der Mann, der für euch durch die Gegend fährt, / selbst wenn es regnet oder schneit. / Ich wär so gern bei euch zu Haus, / doch dafür hab ich leider keine Zeit. / Immer auf der Piste, immer unterwegs. / Der König von der Autobahn ist zu Haus der kleine Mann. // Das Autobahnkreuz bei Frankfurt ist schon wieder einmal dicht, / plötzlich denk ich an die Kinder, sie denken sicher nicht an mich. / Uwe hört wahrscheinlich Rockmusik, Tina ist bei ihrem Freund. / Der König von der Autobahn ist zu Haus der kleine Mann. // Ein kurzer Regenschauer, die Straße nass und glatt, / ich denk an meine Frau und das, was sie mir angetan hat. / Ich weiß, sie macht es wieder, denn sie ist zu viel allein / Der König von der Autobahn ist zu Haus der kleine Mann.“ (Truck-Stop: „Der König von der Autobahn“)Am Rand einer Landstraße händchenhaltend mit einer Dame entlangzuwandeln kann bezaubernd sein. Besonders, wenn ein infernalisch hupender 18-Tonner auf das Paar zuhält und der Fahrer grinsend mit dem Schwanz in der Hand hinter dem Steuer steht. In den Graben springen und herzlich mit erhobenem Mittelfinger zurückwinken ist eins. So kennen und so lieben wir sie: Lastwagenfahrer – innen weich, außen hohl. Verwegene Männer, tolle Kerle. Die drei Dinge gleichzeitig können: rasen, hupen und den Lümmel raushängen lassen – wobei Käpt’n Hanomag sicher noch laut hörbar die Reste seiner letzten Mahlzeit verdaut hat. Da weht der fahle Wind der Freiheit.

Sie sind die Herren der Straße und benehmen sich auch so. Zum Beispiel heute in Berlin. Zu tausenden werden sie ihrer dritten Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Sie blockieren den Verkehr. Weil ihnen der Antrieb ausgeht. Arme Könige. Brummi muss weinen. Ölige Tränen graben tiefe Kanäle in die Straßen der Hauptstadt. Und über allem hängt der Duft von Diesel, Schweiß und Reifengummi – ein betörender Hauch von Ungebundenheit und Abenteuer. Das ist das Leben der „Trucker“. Sie hören Truck-Stop und Truck-Stop und Truck-Stop. Denn das ist Country. Und dafür trägt man Schnurrbart, um auszusehen wie Burt Reynolds oder Jürgen Weh Möllemann. Lastwagenfahrer sind neben Handwerkern die sanftesten, leisesten und am geschmackvollsten gekleideten Berufstätigen. Wenn die Ritter der Landstraße in Feinrippunterhemden, kurzen Cordhosen und braunen Ledersandalen dahinjagen, tragen sie die Ästhetik des Reisens durch die Welt. Ihr Laufsteg ist die Autobahnraststätte. Ihr Lohn ist Dünnbier.

Gern agieren die tapferen Recken auch als Darsteller in Foto-Stories für Brummi-Fahrer-Fachzeitschriften wie beispielsweise Super-Illu: Eine Anhalterin steht am Straßenrand (lechz!). Sie trägt einen Minirock (hechel!). Ein Lastwagenfahrer hält an (quietsch!). Die Anhalterin steigt ein (prickel!). Der Brummi-Fahrer zeigt ihr seine „Ausrüstung“ (Thermoskanne, Namensschild auf dem Armaturenbrett, Schlafkabine) und wird mit der netten Anhalterin sicher seiner zweiten Lieblingsbeschäftigung nachgehen (keuch, schwitz!). Denn seine erste Lieblingsbeschäftigung ist CB-Funken.

Sie schlafen am liebsten in ihren gigantischen PS-Geschossen, sehr gern auch während der Fahrt. Um dann auf ein Stauende aufzufahren und die Insassen anderer Kraftwagen zu zermalmen. Dann steigen sie aus ihren müffelnden Kabinen und schütteln den schweren Kopf. Denn ihr Namensschild im Fenster hat sich verbogen. Schlimm, schlimm. Aber genau so sind sie, die Lkw-Fahrer. Und dafür lieben wir sie.

MICHAEL RINGEL CORINNA STEGEMANN

Hinweis:Brummi muss weinen. Ölige Tränen graben tiefe Kanäle in das Gesicht der Hauptstadt

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