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„Fährst du mich?“

Bei den Amischen in Pennsylvania gilt der Besitz eines Autos als Verstoß gegen die Glaubensregeln. Doch ganz so kategorisch ist deren Auslegung heute nicht mehr, wie Eric Bachman aus Erfahrung weiß

Interview MARTIN MAIER

Eric Bachman, 53, wuchs in einer kleinen Gemeinde in Pennsylvania auf, in harmonischer Nachbarschaft mit Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Amischen. Eric Bachman arbeitet in Deutschland für den Versöhnungsbund „International Fellowship of Reconciliation“ und lebt in Bielefeld.

taz: Herr Bachmann, die Amischen lehnen viele Dinge des modernen Alltags ab. Man benutzt keinen Strom, verzichtet also auf Fernsehen und Radio oder das Telefon. Statt Autos fahren die Amischen Pferdewagen. Ist alles verpönt, was einen Motor hat?

Eric Bachman: Es geht nicht darum, für oder gegen einen Motor zu sein, sondern darum, dass die Amischen ein einfaches christliches Leben führen möchten, das nicht in der Welt untergehen soll. Sie haben sich selbst einige Grenzen gesetzt, etwa die, keinen Strom und keine Autos zu benutzen. Aber es gibt kein prinzipielles Motorenverbot! Viele Amische leben auf Bauernhöfen. Um ihre Kühe zu melken und die Milch zu kühlen, benutzen sie moderne Techniken, nur ohne Strom, etwa Diesel- oder Benzinmotoren – oder Gas-Kühlaggregate. Ich habe auch eine moderne Tischlerwerkstatt gesehen, in der alle Geräte über Druckluftmotoren liefen. Mitten im Raum stand ein riesiger alter Dieselmotor, der die Druckluft erzeugte.

Sollte, wer A sagt, also Motoren benutzt, nicht auch B sagen?

Die Amischen folgen ihrem Glauben und empfinden da keinen Widerspruch. Leute, die anders leben und einen anderen Glauben haben, haben womöglich Schwierigkeiten, das zu verstehen. Es geht darum, eine Grenze zu setzen.

Und die wird dann nicht mehr überschritten?

Bei den Amischen geht es darum, dass der Lebensstil nicht ständig verändert werden soll, wie es etwa der Fall wäre, wenn sie sich ein Auto kauften. Aber gelegentlich ein Fahrzeug zu benutzen als Fahrgast, ist kein Problem. Mein Opa zum Beispiel, der wie ich kein Amisch war, hatte ein Auto. Und manchmal haben die Amischen aus der Nachbarschaft gefragt: Kannst du mich dort und dort hinfahren, weil das so weit weg ist – oder weil sie größere Lasten zu tranportieren hatten. Die Amischen benutzen auch Busse und Züge, aber sie möchten solche Sachen nicht zu Hause haben.

Man lässt sich fahren, setzt sich aber nicht selbst hinter das Steuer?

Genau. Ich habe eine Frau kennen gelernt, die hatte einen fahrbaren Laden. Sie verkaufte den Amischen Waren, die man eben im Alltag gebrauchen kann. Diese Frau war selbst eine Amische und durfte deshalb kein Auto besitzen. Deshalb hat sie einen Fahrer angestellt, der sie von Hof zu Hof chauffierte. Eine praktische Lösung! Sie verkaufte übrigens auch Schreibmaschinen mit altdeutscher Frakturschrift. Die Maschinen wurden, soweit ich weiß, auch aus Deutschland importiert.

Ist das nicht scheinheilig? Man gibt sich Regeln und windet sich dann herum.

Die Regeln, die sich die Amischen selbst gegeben haben, halten sie auch ein. Nichtamische finden es schwer, diese Regeln zu verstehen. Amische sagen, man soll seinen eigenen Weg gehen und nicht nur das tun, was alle machen. Man sollte Gott folgen. In der Welt muss man leben, aber man sollte nicht von dieser Welt sein, das heißt, man sollte nicht weltlich sein.

Nun könnte man aber behaupten, dass Autos erst einmal rein gar nichts mit Religion zu tun haben.

Diese Entscheidungen wurden vor vielen Jahrzehnten gefällt. Ich kann nicht erklären, was man sich dabei gedacht hat. Bei einigen Sachen liegen die Erklärungen näher. Telefone zum Beispiel sind streng tabu. Man sagt, am Telefon neigt man zum Tratschen.

Das heißt, die Grenze wird von Fall zu Fall gezogen?

Es ist doch so: Wenn man eine Grenze ziehen will, muss man sie eben irgendwo ziehen. Viele Erfindungen der letzten zweihundert Jahre sind nicht zulässig, andere schon. Die Amischen lehnen zum Beispiel Luftgummireifen ab. Deshalb sind Fahrräder verboten. Die Kinder spielen mit Tretrollern, das ist in Ordnung, weil sie Vollgummireifen haben. Der Nachbar meines Vaters etwa war Amisch und sehr weltoffen. Er hatte einen Hof, arbeitete aber auch bei einer Fabrik, die Teile für Fertighäuser herstellte. Eines Tages wollte er eine Gefriertruhe aufstellen, aber das konnte er in seinem Haus nicht, weil es keinen Strom hatte. Er wollte sie zumindest in seiner Nähe haben und hat sich schließlich mit meinem Vater geeinigt, die Truhe auf unsere Veranda zu stellen. Er hat auch einen Anteil von unseren Stromkosten übernommen. Hin und wieder kam er mit dem Tretroller zu uns auf unseren Hof gefahren, hat Eis aus der Gefriertruhe genommen, und zu Hause konnte er dann frischen Nachtisch servieren.

Es gibt keine einheitlichen Grenzen, richtig?

Alle Amischen haben mehr oder weniger einheitlich die gleiche „Ordnung“, wie sie es nennen. Andere religiöse Gemeinschaften haben sich andere Regeln gegeben. Es gibt Mennoniten, die sagen, wir wollen keinen Strom, aber ein Auto geht in Ordnung, nur sollte es nicht so weltlich aussehen. Also werden die Stoßstangen – es gab eine Zeit lang nur Stoßstangen in Chrom – schwarz lackiert. Aber die Regeln ändern sich auch mit der Zeit. Vor einigen Jahren habe ich meine Mutter besucht und auch unseren Nachbarn gesprochen, John Stolzfuß. Der hat in seiner Firma mittlerweile Zugang zum Internet. Er hat sogar meiner Mutter geholfen (lacht), als sie Probleme mit dem Computer hatte.

Es tut sich also etwas?

Ja, man sieht, dass sich vieles ändert. Bei den Amischen muss man als Erwachsener entscheiden, ob man sich taufen und der Gemeinschaft beitreten will oder nicht. Bis dahin wird alles nicht so streng gehandhabt. Die Amischen erziehen ihre Kinder zwar nach ihren Regeln und in ihrem Glauben, aber am Ende müssen sie sich selbst entscheiden. Manche Jugendliche haben sich ein Auto gekauft oder ein Radio oder was weiß ich. Einfach, um einiges auszuprobieren. Der Schwund in den Amischengemeinden beträgt nur fünf Prozent, früher war die Zahl viel höher. Ich erkläre mir das so, dass sie sich in ihrer Gemeinschaft geborgen fühlen.

Die Jugendlichen leben außerhalb der Gemeinschaft?

Nein, die sind in der Gemeinschaft, aber es wird toleriert, dass sie einiges ausprobieren können, bevor sie entscheiden, Mitglied der religiösen Gemeinschaft zu werden.

Trotzdem ist es wohl eine Art religiöser Eiertanz. Nehmen wir den Nachbarn Ihrer Eltern: In der Firma nutzt er das Internet, aber zu Hause ist so etwas tabu. Man ist einfach nicht konsequent.

Was versteht man unter konsequent? Der Begriff „nicht weltlich sein“ ist schwer zu vermitteln. Die Amischen leben ihren Glauben, und allein das tun sie konsequent. Und die Frage, ob man diese Geräte oder andere benutzt, ist nicht der springende Punkt. Das sehen eher wir als Problem an, weil wir denken, so könne man nicht leben. Aber man kann sehr gut so leben! Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen, die vom Bischof genehmigt werden müssen. Ich kenne eine Familie, in der die Frau als Näherin arbeitet. Sie meinte, mit Strom besser arbeiten zu können, und deshalb fragte sie beim Bischof um Erlaubnis. Natürlich hat er es erlaubt, aber nur für die Nähstube. Ein Mann brauchte für seinen Beruf ein Telefon. Der Bischof hat auch hier sein Okay gegeben – mit der Auflage, das Telefon wirklich nur beruflich zu nutzen. Und in Notfällen natürlich.

Was passiert, wenn Regeln verletzt werden?

Dann gibt es zunächst Gespräche in der Gemeinschaft. Zum Beispiel wenn jemand etwas sehr Schlimmes gemacht hat. Dann lebt er weiter zu Hause in der Gemeinschaft, aber niemand spricht mit ihm, zumindest für eine gewisse Zeit, bis er Reue zeigt.

Nehmen wir an, ein Amisch fährt ungenehmigt Auto. Würde er aus der Gemeinschaft ausgeschlossen?

Das glaube ich nicht. Das wird sehr, sehr, sehr selten angewandt.

MARTIN MAIER, 22, ist zurzeit taz.mag-Hospitant. Er studiert in Leipzig Journalistik und Kunstgeschichte. Sein Auto: ein Erbstück, ein Opel Astra 1.6 i

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