Fährfahrt nach Island: Drei Nächte, drei Länder
Von Dänemark nach Island für nur 188 Euro? Unsere Autorin hat sich mit Salzstangen und Ingwertee auf eine nicht so lustige Seefahrt begeben.
Und sie wippt und wippt und wippt. Die MS „Norröna“ knickt ein in die Wellen, die sich wie riesige Schnitte durch den dunkelblauen Atlantik ziehen. Und der Inhalt meines Magens wippt im Rhythmus des Schiffs. Ich will hier runter, aber wir sind auf offener See. Laut Google Maps befinde ich mich irgendwo vor Südnorwegen, ungefähr bei Kilometer 150 der Fahrt. Weitere 1.443 Kilometer liegen noch vor mir.
Immerhin bin ich am schönsten Ort an Bord. Hier auf Deck 10 erstreckt sich die „Laterna Magica“, Café und Bar mit riesigen Panoramafenstern 30 Meter über dem Meer, vor denen Passagiere auf Sofas sitzen und stricken, lesen, vor sich hin dösen und schweigend auf den Nordatlantik blicken. Den Barkeeper zu fragen, wo die nächste Toilette ist, schaffe ich noch. Doch seine Antwort ist ernüchternd: „Auf Deck 8.“
Nach einigen Metern in Richtung Treppe steuere ich den nächstbesten Mülleimer an. Der Aufprall seines Deckels auf dem Boden unterbricht den Smalltalk einer Gruppe Biertrinker, der Gitarrist auf der Bühne singt unbeirrt weiter. Und mein Tee landet in der Plastiktüte.
So habe ich mir den ersten Tag meiner Reise nicht vorgestellt. Dabei hatte sie so gut angefangen, mit Schäfchenwolken über dem Hafen von Hirtshals, mit Windrädern im Hintergrund und vor allem: festem Boden unter den Füßen.
Deck 5, Zimmer Seesaibling
Ich fahre von Dänemark über die Färöer nach Island; von Hirtshals über Tórshavn nach Seydisfjördur. Von Mitte März bis Ende November fährt die MS „Norröna“ diese Strecke einmal pro Woche. Drei Nächte, drei Länder, für 188 Euro. Da ich noch nie so lange auf einem Schiff war, bin ich neugierig, wie sich das anfühlt, als kleiner Mensch auf dem großen Meer.
Der günstige Preis liegt an der Nebensaison, es ist Ende März. Und daran, dass ich eine Liege in einer 6er-Damenkabine gebucht habe und bereit bin, auf jeglichen Komfort zu verzichten – auf Privatsphäre, ein Fenster, ein richtiges Bett und ein eigenes Badezimmer. In der Hauptsaison kostet eine Überfahrt in der Holzklasse über 300 Euro, in der privateren Kabine rund 600 Euro, für die Nordic-Luxuskabine legt man 1.000 Euro hin.
Am Schalter des Check-in-Bereichs der Reederei Smyril Line, der an ein kleines Flughafengate erinnert, zeige ich mein Ticket vor und bekomme meine Kabinennummer ausgehändigt: 5128. Die Lautsprecheransage ertönt, es geht aufs Schiff. Eine überschaubare Anzahl an Menschen begibt sich geordnet an Bord. Die meisten sind mindestens zu zweit unterwegs, manche mit Kindern, viele Passagiere sind älter. Im Sommer gibt es mehr Alleinreisende, sagt der Rezeptionist. Die Mehrheit spricht Deutsch oder Dänisch.
Auf Deck 5 suche ich nach meinem Zimmer und laufe an lauter Türen vorbei, an denen Bilder von Fischen kleben. „Bleikja“ steht an meiner, Seesaibling. Auf jeder Tür des Decks 5 klebt ein anderer Fisch, anderswo sorgen Vögel dafür, dass man sein Zimmer leichter wiederfindet. Mein Sechsbettzimmer entpuppt sich als Doppelkabine, die ich ganz für mich allein habe, inklusive kleinem Schrank und praktischem Schreibtisch. Ein kostenloses Upgrade! Mit eigenem Bad! Später erzählt mir der Barkeeper, dass der Aufzug zu Deck 2, wo die Sechsbettzimmer sind, außer Betrieb ist und deswegen einige Leute umgebucht wurden.
Salzstangen als Grundnahrungsmittel
Als das Schiff gegen 16 Uhr ablegt, wird mir klar: Für die nächsten 35 Stunden habe ich keinen festen Boden mehr unter mir. Das Ufer wird kleiner und das tonnenschwere Metallgefährt bahnt sich langsam einen Weg Richtung Norden.
Seit 1927 gibt es Fährverbindungen für Passagiere zwischen Dänemark, den Färöern und Island. Die erste MS „Norröna“ war ab 1982 auf der Strecke unterwegs, mit maximal 1.050 Passagieren und 250 Autos. Auf die zweite, aktuelle passen 1.482 Personen und 800 Autos. An den windigen Märztagen meiner Überfahrt sind rund 400 Menschen auf dem Schiff.
Am Morgen des zweiten Tags geht es an Westnorwegen vorbei weiter aufs offene Meer. Graue Wolken vor leuchtend orangefarbenem Himmel. Während andere Bingo spielen, das Kino besuchen, in den Hot Tubs auf Deck 9 unter freiem Himmel planschen oder sich das so reichhaltige wie teure Buffet gönnen, stelle ich mit Erleichterung fest, dass es im Duty-free-Shop neben Parfum, Alkohol, skandinavischen Hautpflegeprodukten und Wollpullis auch Salzstangen gibt. Sie werden für den Rest der Fahrt zu meinem Grundnahrungsmittel.
Eigentlich wollte ich mindestens eines der zwei Frühstücksbuffets ausprobieren – das riesige internationale oder das günstigere im English Breakfast Style –, doch mir ist immer noch flau im Magen. Mit dem Internetzugang, den man sich in Paketen zwischen 4 Stunden (5 Euro) und 7 Tagen (35 Euro) an der Rezeption kaufen kann, google ich nach Hilfsmitteln gegen Seekrankheit und finde: einen Fixpunkt anvisieren, zum Beispiel den Horizont, und Ingwer konsumieren. Ingwer gibt es im Duty-free-Shop nicht.
Endlich fester Boden
Was, wenn man hier richtig krank wird, frage ich mich. Auf der Website des Fährunternehmens steht, dass es ein kleines Bordhospital gibt und erste Hilfe geleistet werden kann. Ist es ernst, wird man mit dem Helikopter vom Schiff geholt, dafür gibt es am hinteren Ende einen Landeplatz. Während meiner Überfahrt muss trotz einiger Mitseekranker keiner über den Atlantik geflogen werden.
Wir passieren die Shetland-Inseln am Nachmittag. Neben der Fähre wird die kleine Insel Foula sichtbar. Ihre spitzen und hohen Klippenwände sind eine willkommene Abwechslung zum stundenlangen Blick aufs Wasser. Laut Wikipedia wohnten hier 2011 nur 38 Menschen. Wie viele mögen es heute sein?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Am dritten Tag legt das Schiff gegen 7.30 Uhr auf den Färöern an. Endlich fester Boden! Und ich kann Ingwer kaufen. In Tórshavn können alle Passagiere für einige Stunden von Bord gehen und sich umschauen, die bunten Häuser der Hauptstadt, den rot-weiß-gestreiften Leuchtturm, zu dem die Straße rechts vom Hafen heraus aus der Stadt führt. Das älteste der Stadtviertel namens Reyn wurde im 14. Jahrhundert erbaut. In den Holzhäusern mit Moosdächern wohnen bis heute Menschen.
Zurück auf der MS „Norröna“ habe ich die Hoffnung, endlich den Swimmingpool, die Sauna und den Fitnessraum zu besuchen. Doch schnell hat mich der Schwindel wieder. Wenigstens hilft der Ingwertee ein bisschen.
Als ich das letzte Mal an Bord aufwache und auf das offene Deck 9 gehe, bläst mir kalter, drückender Wind entgegen. Die schneebedeckten Fjorde Islands erscheinen immer größer am Horizont. Während die meisten Passagiere den Hafen mit dem Auto verlassen, nehme ich die Treppe und stelle mich mit einem Pappschild mit der Aufschrift „Reykjavík“ auf den festen, asphaltierten Boden. Er wird noch tagelang unter mir wackeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen