piwik no script img

Fachtagung der Amadeu Antonio Stiftung„Ich bin hier, um auf den Tisch zu hauen“

Auf einer Fachtagung beklagen Opfer rechter Gewalt, wie Behörden mit ihnen umgehen. Sie kämpfen für Empathie und Anerkennung.

Hat schwer verletzt den rechtsextremistischen Anschlag in Hanau 2020 überlebt: Said Etris Hashemi Foto: teutopress/imago

Berlin taz | Die Ex­per­t:in­nen auf der Tagung im Berliner Haus der Kulturen der Welt sind es ungewollt. Sie alle nämlich sind direkt Betroffene rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt – Überlebende, Angehörige und Hinterbliebene. Sie erlebten den NSU, Halle oder Hanau. Und seitdem kämpfen sie für Anerkennung, gesellschaftliche und finanzielle. Erstmals hat die Fachtagung „Opferschutz und Opferhilfe“ der Amadeu Antonio Stiftung ihre Perspektive in den Mittelpunkt gestellt.

„Ich bin hier, um auf den Tisch zu hauen“, sagt Christina Feist in ihrem Beitrag zu Anfang. Die Überlebende des rechtsextremen antisemitischen Anschlags auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 ist fassungslos. Darüber, wie der deutsche Staat mit den Opfern von Anschlägen umgeht, vor denen er sie eigentlich schützen sollte. Jahrelang musste Feist mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales um die Übernahme ihrer Traumatherapie kämpfen, jahrelang die Kosten selbst vorstrecken. Mittlerweile ist sie nicht nur vom Anschlag traumatisiert, sondern auch vom Umgang der Behörden mit ihr als Überlebende.

Wie Feist geht es den meisten Anwesenden am vergangenen Freitag. Sie sind erschöpft, konsterniert, sauer. Darüber, dass der Gewalt, die sie erleben mussten, kaum Rechnung getragen wird. Darüber, dass einen Terroranschlag in Deutschland zu erleben, auch heißen kann, sich finanziell zu verschulden. Stattdessen müssen sie kämpfen für Empathie und Anerkennung. Denn statt schnelle Unterstützung zu erhalten, müssen sich die Betroffenen mit jahrelangen Bearbeitungszeiten, dutzenden Anträge, Besuchen bei Amts­ärz­t:in­nen herumschlagen.

Zwar ist die Opferhilfe seit Anfang diesen Jahres überarbeitet und im neuen Sozialgesetzbuch 14 geregelt. Doch es bleiben wesentliche Lücken, sind sich Betroffene, An­wäl­t:in­nen und Verwaltungsangestellte auf der Tagung einig. Die Beweislast, um Unterstützung und Entschädigung zu beantragen, liegt nach wie vor bei den Überlebenden und Angehörigen selbst. Für viele Betroffene, die von der Gewalt traumatisiert sind, die an Depression, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Sucht erkranken, ist diese Bürokratie nur sehr schwer zu bewältigen.

Zudem, das kommt auf der Tagung auch zur Sprache, hänge oft der absurde Vorwurf in der Luft, die Opferfamilien wollten sich bereichern. „Entschädigung ist keine Bereicherung“, sagt Said Etris Hashemi. Er hat 2020 den rechtsextremistischen Terroranschlag in Hanau schwer verletzt überlebt. Sein kleiner Bruder Nessar starb. Die Zahlungen seien nur eine kleine Hilfe,

Darüber hinaus geht es um Anerkennung. Gamze Kubaşık will ihren ganz persönlichen Schmerz nicht erst beweisen müssen. „Diese Anträge sind unter unserer Würde“, sagt sie. Ihr Vater Mehmet Kubaşık wurde 2006 vom rechtsterroristischen NSU ermordet. Ihre Familie hat bis jetzt überhaupt keine finanzielle Entschädigung erhalten. Doch ihre Trauer und ihren Schmerz will sie nicht mit einem Sachverwalter teilen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Nicht nur mindestens finanzielle Unterstützung durch den Staat, sondern Opfer des NSU müssten zusätzlich eigentlich noch Schmerzensgeld bekommen für den unmenschlich verrohten, pietätlosen, verhöhnenden und nicht zuletzt rassistischen Umgangs mit ihnen, Stichworte Döner Morde, Clankriminalität, Drogengeschäfte… andere Mordgründe konnten Staat und Justiz bei Türken nicht nur als Ermittlungsansatz nicht annehmen, sondern sie haben sie sogar bewusst verweigert!



    Man stelle sich mal vor, unbescholtene, deutsche Familienväter mit einem völlig durchschnittlichen Familienleben aus der arbeitenden Mittelschicht, würden der Reihe nach erschossen werden und Polizei und Staatsanwalt würden ohne den geringsten Verdachtsmoment direkt völlig willkürlich anfangen wegen Drogengeschäften oder anderer krimineller Verwicklungen zu ermitteln. Jeder würde sofort fühlen, dass da etwas ganz schief läuft, was für ein unglaublich unfassbarer Schlag das ins Gesicht der Familien wäre. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass in umgekehrter Situation deutsche Familien, die durch eine islamistische Terrorgruppe, die auch noch durch Staatsversagen jahrelang frei agieren konnte, keine Entschädigung bekämen.

  • Dem Staat sind die Opfer voellig egal, es ist fuer ihn ein willkommener Anlass an der Repressionsschraube zu drehen mehr nicht.