Fabrikeinsturz in Bangladesch: „Das Unglück muss ein Weckruf sein“
Der Besitzer der eingestürzten Fabrik ist verhaftet worden. Die nationale Gewerkschaft macht nun die Textilketten für das Unglück verantwortlich.
BERLIN taz | Der Besitzer des eingestürzten Fabrik- und Geschäftskomplexes Rana Plaza, Sohel Plaza, ist am Sonntag auf der Flucht nahe der Grenze zu Indien gefasst worden. Das gab ein Vizeminister der Regierung am Ort der Katastrophe in Savar bei Dhaka unter dem Jubel der Rettungsmannschaften bekannt.
Die Festnahme Ranas, eines Führers der Jugendorganisation der regierenden Awami-Liga, war am Freitag von Ministerpräsidentin Sheikh Hasina angeordnet worden. Um ihm auf die Spur zu kommen, wurde zunächst seine Frau festgenommen.
Das achtstöckige Fabrikgebäude in Dhaka war am Mittwoch eingestürzt. Bereits am Dienstag waren Risse bemerkt worden. Die Behörden hatten daraufhin das Gebäude gesperrt. Dennoch wurde weiter in dem Haus produziert. Rana soll sich über die Anordnung hinweggesetzt haben. Auch wird ihm vorgeworfen, minderwertige Materialien beim Bau des Gebäudes 2007 verwendet zu haben. Demonstranten fordern bereits für ihn die Todesstrafe.
Schon Samstag wurden die Chefs von drei der fünf betroffenen Textilfabriken, die in dem Haus untergebracht waren, sowie zwei Ingenieure der Behörden festgenommen. Die Chefs sollen die mehrheitlich weiblichen Arbeiter gezwungen haben, weiterzuproduzieren. Die Ingenieure sollen falsche Gutachten erstellt haben.
Mehrere Überlebende
Am Sonntag wurden vier Überlebende aus den Trümmern gerettet, am Samstag waren es 29. Es gab noch Lebenszeichen von neun weiteren Verschütteten. Erst nach deren Rettung soll schweres Gerät eingesetzt werden. Bis Sonntag wurden 373 Tote gezählt, 2.400 Menschen konnten – zum Teil verletzt – geborgen werden. Zum Zeitpunkt des Einsturzes hielten sich bis zu 3.500 Menschen in dem Gebäude auf. Inzwischen dringt Leichengeruch aus den Trümmern.
90 Prozent der Verletzten wurden in das private Enam-Medical College eingeliefert, wie dessen Besitzer und Chef Enamur Rahman der taz berichtete. 279 Schwerverletzte müssten dort noch mindestens sechs Wochen bleiben, 1.041 Leichtverletzte konnten schon entlassen werden.
„Eine Person starb während der Behandlung“, so Rahman, der auch von Amputationen berichtete. „In den ersten zwei Tagen haben wir die Kosten der Behandlung selbst getragen, etwa 12 Millionen Taka.“ Das entspricht 120.000 Euro. „Seitdem haben wir viele Spenden von Pharmaunternehmen, Hilfsorganisationen und Privatpersonen bekommen. Inzwischen haben wir genügend Blutspenden und Medikamente“, so der Klinikchef.
Die Patienten würden auch mit Essen, Kleidung und Bargeld versorgt. „Doch von der Regierung haben wir am ersten Tag nur 1.500 Beutel Kochsalzlösung und Antibiotika bekommen. Wir brauchen dringend Geld, um die laufenden Kosten zu decken.“ Die Regierung kündigte inzwischen die Kostenübernahme an.
Streik in 5.000 Fabriken
Die Textilproduktion ist der wichtigste Industriezweig in Bangladesch, er macht 79 Prozent der Exporteinnahmen aus. Der Einsturz der Fabrik ist die bisher größte Katastrophe im Textilsektor. In den knapp 5.000 Fabriken ist seit Freitag ein Großteil der Beschäftigen im Ausstand. Sie protestieren gegen die riskanten Arbeitsbedingungen. Demonstranten blockierten mehrfach Straßen. Die Polizei ging am Samstag direkt an der Unglücksstelle gegen Demonstranten vor, sodass sogar die Rettungsmaßnahmen für zwei Stunden unterbrochen wurden.
„Dieses Unglück muss als Weckruf gesehen werden. Denn wenn sich selbst jetzt nichts ändert, muss die ganze Industrie infrage gestellt werden“, sagte Amirul Haque, Vorsitzender der Gewerkschaft Nationale Bekleidungsföderation, der taz. „Wir verlangen schon seit Jahren, dass für eine sichere Arbeitsumgebung in den Fabriken gesorgt wird. Doch verändern wird sich vor allem etwas, wenn die internationalen Firmen, die Käufer, sich dazu entschließen. Bisher scheinen sie nicht sehr engagiert.“ Regierung und Fabrikbesitzer in Bangladesch seien mitverantwortlich. „Doch den Großteil des Profits machen die internationalen Käuferfirmen. Daher tragen sie auch einen Großteil der Verantwortung“, so Haque.
Leser*innenkommentare
Caleño
Gast
Hier ist die EU gefragt - es sollten einheitliche Sätze für Entschädigungen festgelegt werden die den Familien der Opfer ausgezahlt werden sollten - aber spürbare - die von den Auftraggebern zu entrichten sind, dann kann der ewige Kreislauf zwischen billiger verkaufen - Preise und Arbeitsbedingungen drücken - durchbrochen werden.
Zuzüglich sollten die Verbraucher die bevorteilten Unternehmen mit Verkaufsembargo belegen ... den letztlich sind es die Verbraucher die sowohl das Aus der deutschen Textilindustrie, als auch die dauernden Katastrophen mit verschulden. - Wir alle.
aujau
Gast
Wenn den ArbeiterInnen das Haus unter der Naehmaschine zusammenfaellt, sie an den Giften der Kleider- und Schuhindustrie krank weren und sterben und wir hier uns einen feuchten Kehricht darum scheren, nutzen ihnen die Arbeitsplaetze nicht so wahnsinnig viel.
Thomas Sch.
Gast
Tja, was soll man tun ? Sollen wir jetzt eine "europäischer-Standard-Troika" nach Bangladesch, Pakistan, Sri Lanka etc. schicken, damit dort alles an "europäischem Wesen" genesen soll ? Wird nicht funktionieren. Nur noch "Made in Germany" tragen ? Aus der Nummer kommen wir nicht mehr raus. Und selbst wenn ich nur das teure T-Shirt mit dem Fair-Trade-Siegel kaufe; solange die Chantal aus dem Hartz-IV-Silo genauso schick rumlaufen will wie die Charlotte aus dem noblen Vorort, werden wir das Problem bis in die letzte Werkbank dieser Erde schieben. Und wollen wir Chantal jetzt einen Vorwurf daraus machen ? Soll sie etwas wie weiland bei Charles Dickens in groben Leinenstoffen durchs Dorf tapern ? Können wir auch nicht machen. Wir werden ein paar Krokodilstränen vergießen. Irgendeine Kommission in irgendeinem Büro wird irgendwann tagen und wohlmeinende Vorschläge erarbeiten. Und dann werden ein paar Zettel in die Welt geschickt in denen wir "fordern" (hahaha), daß dies und jenes doch bitteschön geändert gehöre. Danach werden diese Zettel als Klopapier in jenen Ländern Verwendung finden.
@aujau
Gast
"Demnaechst werden wir Verzicht lernen muessen, sonst geht es uns schlecht."
Genau, und die Textilarbeiterinnen werden begeistert sein, wenn wir die Waren nicht mehr abnehmen.
aujau
Gast
Den Begriff "Sollbruchstelle" gibt es schon seit mindestens 20 Jahren. Unser Konsum ist oftmals Beihilfe zu Mord und Totschlag. Demnaechst werden wir Verzicht lernen muessen, sonst geht es uns schlecht.
PeterWolf
Gast
Auch teure "Markenware" wird in Billiglohnländern produziert, teure Sachen kaufen ist deshalb nicht unbedingt hilfreich.
Aber was diese Tragödie angeht: das hat eigentlich nichts mit "nachhaltiger?" Ausbeutung zu tun, sondern mit außerordentlicher Blödheit.
Um etwas Geld bei der Bauausführung zu sparen, sitzt der Bauherr jetzt nicht nur im Gefängnis, weil er hunderte Menschenleben auf dem Gewissen hat, er hat sich auch noch finanziell selbst massiv geschädigt, denn jetzt hat er kein Gebäude mehr, keine Mieteinnahmen, und dass irgendeine Versicherung ihm einen Cent gibt, wage ich zu bezweifeln.
Um vielleicht 10-20 Prozent Baukosten zu sparen, hat er sich (vorhersehbar, denn Bauphysik ist völlig ideologiefrei) endgültig ruiniert und alle Wettbewerber, die solide gebaut haben, machen das Geschäft.
Und die Firmen, die bei ihm gemietet haben, müssen nicht nur neue Sklaven anlernen, sondern auch neue Maschinen und Material besorgen, bekommen aber mangels Auftragserfüllung zur Zeit auch kein Geld und gehen eventuell auch pleite.
Werden die Immobilien- und Textilunternehmer daraus etwas lernen?
Wäre in ihrem eigenen Interesse, denn so haben sie mehr bezahlt als verdient.
Und das ist DUMM!
Dummheit gibt es allerdings überall, auch bei uns.
Ein Genervter
Gast
@Siegfried:
Sie schreiben:
"Alle tragen eine Mitschuld die es immer nur billig, billig bzgl. Kleidung haben wollen.
Das Argument, "mehr kann ich mir nicht leisten", ist total scheinheilig.
Ihr könnt Euch alle Qualität leisten, es ist dann halt nur weniger!
Aber es muß ja immer was Neues her bis der Kleiderschrank aus allen Nähten platzt.
Wir als Verbraucher hätten es in der Hand den entsprechenden Druck auszuüben."
Ich befürchte, Sie bringen da schon etwas durcheinander! Der Kapitalismus als Wirtschaftssystem lebt von Angebot und Nachfrage! Und bei eigentlich gesättigten Märkten bei uns muss man immer neue Angebote machen, damit "die anderen" an das Wertvollste (in ihren Augen) von uns Konsumenten kommen - an unser Geld! Dafür gibt es eine Modeindustrie, eine Werbeindustrie und u.a. eine inzwischen seit Jahren ausgelagerte Bekleidungsindustrie. Wir sollen nur eines: kaufen, kaufen, kaufen - ob wir es wirklich brauchen oder nicht.
Und da unser aller Geld etwas begrenzt ist, sofern man nicht zu denen gehört, die von allem im Überfluss haben, kommt man nur durch neue Strategien daran. Auf Kosten derer, denen wir es bisher anvertrauten. Das nennt man dann Verdrängungswettbewerb. Und das eben auch mit geschickter Preispolitik - es geht nicht nur auch, sondern noch billiger.
Tante-Emma-Läden sind dank Discountern weg, Quelle, Neckermann sind u.a. dank Amazon, Zalando & Co weg. Hertie, Karstadt sind weg.
Bei elektronischen und Elektrogeräten spricht man neuerdings über eingebaute Sollbruchstellen, damit ein Gerät möglichst kurz nach Garantieablauf den Geist aufgibt(z.B. Drucker), es dank neuerer Modelle keine Ersatzteile mehr gibt oder das Gerät in der Reparatur teurer ist als in der Neubeschaffung.
Mit Nachhaltigkeit hat das zwar nichts zu tun, aber mit "Wachstum".
Zurück zur Bekleidungsindustrie: Sie unterstellen, der Verbraucher sei schuld, weil Geiz geil sei. Und solle sich anders verhalten. Nun ist aber inzwischen auch bekannt, dass selbst teuerere Labels in haargenau den gleichen katastrophalen Betrieben ihre Sachen einkaufen, wie KiK, NKD, Lidl oder Aldi. Nur eben teurer verkaufen.
Im obigen Artikel steht, dass diese Kette bei einem Umsatz von 4 Mrd immerhin 10% Gewinn macht. Der wäre sicher größer, wenn ich eben das gleiche Zeugs bei einem teueren Label einkaufe.
Ich wäre gern bereit, etwas mehr auf den Tisch zu legen, wenn es auch bei Textilien so etwas wie ein Fairtrade-Siegel gäbe und weiß, beim Produzenten kommt mehr an. Und bleibt nicht hängen, bei irgendwelchen Ketten und Konzernen, die wenn es geht in D noch nicht einmal Steuern zahlen .....
Celsus
Gast
Das steckt also ethisch auch hinter der Drohung von deutschen Firmenchefes, sie würden auswandern, wenn ihnen hier die Steuern oder die Löhne zu hoch würden.
Auch für Parteien, die Spenden von solchen Firmen erhalten, sollte das ein ethisches Warnsignal sein. Es reicht nicht im Bedarfsfall zu sagen, die Firmenchefs hätten auch Gutes getan (und unter anderem an die eigene Partei gespendet, wenn sich willfährige Politiker fanden).
vic
Gast
Die Verantwortung tragen die, die das Billigzeug verkaufen und kaufen.
Siegfried
Gast
Alle tragen eine Mitschuld die es immer nur billig, billig bzgl. Kleidung haben wollen.
Das Argument, "mehr kann ich mir nicht leisten", ist total scheinheilig.
Ihr könnt Euch alle Qualität leisten, es ist dann halt nur weniger!
Aber es muß ja immer was Neues her bis der Kleiderschrank aus allen Nähten platzt.
Wir als Verbraucher hätten es in der Hand den entsprechenden Druck auszuüben.
Also, beim nächsten Kauf nicht Lidl, Aldi und Co, oder einfach mal den Kleiderschrank durchforsten und die alten Sachen neu kombinieren.....dann klappts irgendwann auch mit besseren Arbeitsbedingungen bei denen, die eh schon arme Schweine sind.
Tortes
Gast
Ich für meinen Teil kaufe meine Klamotten bei europäischen Herstellern, z.B. Trigema.
Dem Chef von Trigema haftet zwar das Immage an, etwas sehr konservativ und patriarchalisch zu sein, aber er produziert in Deutschland, er hält in seinen Betrieben die deutschen Brandschutzvorschriften ein und bei ihm braucht keine Näherin zu fürchten, dass das Fabrikhallendach über ihr einstürzt.
Bei so einem Hersteller kann ich mit gutem Gewissen einkaufen.
bismarckhering
Gast
> Um ihm auf die Spur zu kommen, wurde
> zunächst seine Frau festgenommen.
Sippenhaft, unkommentiert.
Stillschweigende Zustimmung?
b.
Stimme der Demokratie
Gast
In dem Sektor wird mit Zwischenhändlern gearbeitet. Die bestimmen die Preise und die Konditionen. Die einkaufenden Konzerne haben darauf nur geringen Einfluss, selbst wenn sie auf bessere Arbeitsbedingungen bestehen würden. Solche Läden wie KIK interessieren sich natürlich auch nicht dafür.
Die Konzerne sollten ihren Einkauf umstrukturieren! Dann könnten sie auch die Produktionsbedingungen positiv beeinflussen.
DasEi
Gast
Zunächst mein Beileid für die Verschütteten, letzlich sind aber doch die Vorgesetzten vor Ort zuständig, wenn sie internationalen Ketten zu unmenschlichen Konditionen Waren anbieten, gilt in die andere Richtung ebenso (keine ausreichenden Grundversorgungen, Stromsperren, Horrormieten..) Solidarität ist prima, aber Dumping wohl eher ein globales Problem (oh ja, Krise=ABsicht??), neue Klamotten ? Kann ich auch bei Textilketten kaum bezahlen.. und frag mal Kleinrentner nach Bedarf, Möglichkeiten zur Schnäppchenjagd oder gar Qualitätsauswahlmöglichkeiten, ist ja wie Tafel auf Textilebene, diese Globalisierung
PeterWolf
Gast
"Regierung und Fabrikbesitzer in Bangladesch seien mitverantwortlich. „Doch den Großteil des Profits machen die internationalen Käuferfirmen. Daher tragen sie auch einen Großteil der Verantwortung“, so Haque."
Für Bauvorschriften und deren Einhaltung sind ausschließlich Immobilienbesitzer und Behörden verantwortlich, absolut niemand sonst!
Da versucht es sich jemand wieder sehr einfach zu machen, weil er den eigenen Landsleuten nicht beikommt.