Fabrikeinsturz in Bangladesch: Warten auf Entschädigung
Die Opfer des Fabrikeinsturzes vor drei Monaten müssen immer noch allein mit den Folgen klarkommen. Eine Kompensation haben sie bislang nicht erhalten.
BERLIN taz | Noriom verlor ihren linken Arm, ihr Fuß ist gelähmt. Die 20-Jährige hatte als Näherin in der Textilfabrik Rana Plaza gearbeitet, die am 24. April in sich zusammenstürzte, weil das Gebäude illegal aufgestockt worden war. Norioms Arm wurde im Krankenhaus amputiert, mit Betäubung.
Andere Opfer hatten noch weniger „Glück“: Weil die Zeit drängte, wurden ihnen Beine oder Arme mit Sägen und Messern abgetrennt, noch unter den Trümmern, im Dreck. Noriom weiß nicht, ob sie je wieder arbeiten und Geld verdienen kann. Auch nicht, ob sie je eine Entschädigung bekommen wird.
1.129 Menschen starben, 2.438 überlebten das Unglück in der Nähe von Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs. Viele mit schweren Behinderungen. Sie seien „ihrer Zukunft beraubt“, sagt Thomas Seibert, Südasien-Referent der Nichtregierungsorganisation (NGO) medico. Seibert hat Noriom im Krankenhaus kennengelernt. Er weiß: Wie Noriom quälen sich derzeit viele Opfer und Angehörige mit der Frage, wovon sie nun leben sollen.
Staat und Arbeitgeberverband haben etwas Geld verteilt, aber längst nicht an alle Betroffenen. Die allermeisten stehen drei Monate nach dem Unglück mit gar nichts da.
Kein Unternehmen hat zugestimmt
Die Konvention 121 der Internationalen Arbeitsorganisation regelt Entschädigungszahlungen. Bangladesch hat sie nicht ratifiziert, wohl aber die Länder, in denen die großen Textilhändler sitzen, die im Rana Plaza fertigen ließen. Danach stehen den Opfern im Schnitt etwa 5.000 Euro pro Familie zu, insgesamt rund 54 Millionen Euro.
NGOs wie medico und die Clean Clothes Campaign fordern, dass der bangladeschische Staat, Unternehmerverbände und die Konzerne die Betroffenen in dieser Höhe entschädigen. Bislang hat keines der Unternehmen zugestimmt. Einzelne bieten freiwillig kleinere Summen, über die Höhe verhandeln wollen auch sie nicht.
Immerhin haben die Textilkonzerne inzwischen das lange vor dem Unglück geforderte Brand- und Gebäudeschutzabkommen unterzeichnet. Anfang Juli konnte es in Kraft treten. Darin verpflichten sich 70 Unternehmen, die Fabriken, in denen sie fertigen lassen, von internationalen Inspektoren auf ihre Sicherheit überprüfen zu lassen. Zudem müssen Sicherheitskomitees eingerichtet werden, in denen Arbeiterinnen oder Gewerkschafter vertreten sind.
Ein „riesiger Schritt“, findet die Arbeitsrechtsaktivistin Kalpona Akter. Denn Gewerkschafter werden in Bangladesch immer wieder angegriffen. Akter selbst saß schon im Gefängnis und hat gleich acht Strafanzeigen am Hals. Einer ihrer Mitstreiter wurde vor einiger Zeit getötet.
Billigproduktion als Geschäftsmodell
Mitte Juli verabschiedete das Parlament in Dhaka zwar eine Gesetzesreform, die die Rechte von Arbeitern stärken soll. Michael Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, bezweifelt allerdings, dass sich dadurch etwas ändert. Das Problem sei nicht die rechtliche Grundlage, sondern deren Durchsetzung.
Die billige Produktion von Textilien ist das Geschäftsmodell Bangladeschs: Das Land lockt Textilkonzerne weltweit mit günstigen Rahmenbedingungen. Gewerkschafterin Akter sieht eine verhängnisvolle Verstrickung politischer und wirtschaftlicher Interessen: Mindestens 29 der 300 bangladeschischen Abgeordneten seien offiziell Fabrikbesitzer. Der Staat dürfe deshalb nicht aus der Verantwortung entlassen werden, betont auch Löning.
Diese Debatten und bessere Gesetze helfen Menschen wie Noriom allerdings nicht. Sie brauchen jetzt Geld, um weiterleben zu können. In der vergangenen Woche haben die internationalen Gewerkschaftsverbünde IndustriAll und Global Union die Textilunternehmen offiziell eingeladen, Mitte August in Dhaka mit Regierung und Gewerkschaften über Entschädigungen zu verhandeln. „Wir haben Hoffnung, dass die Firmen endlich Verantwortung übernehmen“, sagt eine Sprecherin der Clean Clothes Campaign. Die Antworten der Unternehmen werden für Mitte der Woche erwartet.
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