FUSSBALL: "Hertha ist mir egal, ich brauch die nicht"
Normalerweise meiden eingefleischten Union-Fans wie Andreas Goslinowki das Olympiastadion. Das Derby gegen Hertha BSC am Samstag aber lässt er sich nicht entgehen.
taz: Herr Goslinowski. "Nur nach hause gehen wird nicht", heißt es in der Hymne von Hertha BSC. Anhänger des 1. FC Union skandieren daher gern: "Nur zu Hertha gehen wir nicht". Gehen sie am Samstag zur Hertha ins Olympistadion?
Andreas Goslinowski: Natürlich. Ich gehe zu fast allen Union-Spielen - auch auswärts. Aber Hertha gegen Union vor 75.000 Zuschauern, das ist ja keine Normalität mehr. Das Spiel haben wir uns als Verein, Mannschaft und Fans hart erarbeitet.
Was bedeutet dieses Derby für die Fans?
Union-Fans kennen den 48-jährigen Schmied nur als "Gossi".
Er ging schon als Jugendlicher ins Stadion. Bei dessen Umbau war er Leiter des Teams Erdarbeiten.
Es ist schon ein Wettstreit auf den Rängen, der historisch ist. Wir werden eine volle rot-weiße Kurve haben, die man nicht überhören wird.
Einst hatten sich die Anhänger beider Vereine gut verstanden.
Vor dem Mauerfall sind die mit 80 Mann zu uns rüber gekommen und haben uns mit angefeuert. Das war chic. Aber mit der Wende kam dann auch die Wahrheit ans Licht, dass in dieser Stadt mit zweierlei Maß gemessen wird.
Union fühlt sich ungerecht behandelt?
Wir können damit leben. Das war schon zu DDR-Zeiten so. Da sind wir hinter dem BFC Dynamo gestanden, jetzt hinter Hertha. Wir haben in 20 Jahren 620.000 Euro vom Senat überwiesen bekommen für unsere Rasenheizung. Das Olympiastadion wurde Hertha für 360 Millionen Euro renoviert. Jetzt haben sie noch ne Rolltreppe für die Spieler bekommen. Das stößt einem schon säuerlich auf.
So entsteht Abneigung?
Ja, aber absolutes Unverständnis gegenüber Hertha hat sich bei mir erst beim Eröffnungsspiel an der Alten Försterei im Sommer 2009 entwickelt. Das war doch für die eine Ehre, daran teilnehmen zu dürfen und deren Fans haben über 90 Minuten nur "Scheiß Union" gebrüllt. Das ist armselig. Da hätten selbst die Fans von unserem Erzrivalen BFC Dynamo mehr Stil gehabt.
Wird bei den Union-Fans der Gegner nicht auch derart beschimpft?
Nee. In dem Maße habe ich das über meine 34 Jahre bei Union nie erlebt.
Das Spiel nach dem Stadionumbau war für die Union-Fans also eine Wendepunkt im Verhältnis zur Hertha?
Ich kann da nicht für alle reden. Aber viele haben da einen Schnitt gemacht.
Wenig Stil bewiesen allerdings auch die Union-Fans, die vor einem Jahr extra ins Olympiastadion reisten, um die Hertha-Anhänger mit "Absteiger"-Rufen zu provozieren.
Das fand ich auch billig. Die Verantwortlichen wurden intern zurechtgewiesen. Ein paar Dumpfbacken haben wir auch in unseren Reihen, keine Frage.
Gibt es im privaten Bereich Verbindungen zu Hertha-Fans?
Absolut. Meine Freundin ist Westberlinerin und in den 70er, 80er Jahren auch zu Hertha gegangen. Wir kennen uns seit einem Jahr. Inzwischen ist sie rot-weiß eingekleidet, hat Jersey, Schal, Mütze und sie ist glücklich. Wir sind bei Union eine riesengroße Familie, da kennt jeder jeden. Das ist der Wohlfühlfaktor. Ihr Sohn aber geht immer noch zur Hertha in die Ostkurve.
Den haben sie noch nicht überzeugen können?
Der ist auf dem besten Wege Unioner zu werden. Er kommt manchmal mit zu unseren Spielen. Kürzlich hat er gesagt: Bei uns wäre es einfach geiler.
Hat das Derby an Brisanz verloren, weil Hertha sich in der Tabelle oben und Union unten festgesetzt hat?
Wir schauen nur auf uns. Ich habe Angst, dass es für uns nicht reichen könnte und wir absteigen. Dass Hertha da oben steht ist mir egal. Ich brauch die nicht. Die können absteigen, aufsteigen, das interessiert mich nicht.
Welche Chancen rechnen Sie sich denn am Samstag aus?
Am Anfang steht es erst einmal 0:0. In der Zweiten Liga ist alles möglich, das hat man beim 1:1 im Hinspiel gesehen. Wenn wir am Ende 0:4 verlieren, werden wir wie immer die Mannschaft feiern, singen und fröhlich sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich