: FORTUNA
Meist sprechen wir von „Glück“, wenn von Fortuna die Rede ist. Francesco Petrarca schrieb 1366 ein Buch mit dem Titel „De remediis utriusque fortunae“, auf deutsch also „Heilmittel gegen Glück und Unglück“. Ein Titel, der mir unangenehm war. Seit Kluge ist doch in aller Ohr: „In Gefahr und größter Not führt der Mittelweg in Tod“. Mit dem Temperenzler-Titel, der Glück und Unglück beide als zu heilende Übel darstellt, konnte ich nichts anfangen. Die Entwicklung geht doch durch die Extreme hindurch; Glück ist nicht nur das Gegenteil von Unglück, sondern auch das von dessen bloßer Vermeidung. Petrarcas Vorrede zum Zweiten Buch seines Werkes, brachte mich dann auf den Geschmack. Sie ist ein kleiner Essay zum Heraklit-Satz „Alles geschieht gemäß dem Streit.“ Petrarcas weiter Gang durch Kosmos und Naturgeschichte - er braucht zehn Seiten, um vom Gegensatz der ewig bewegten Gestirne und dem ebenso ewig festen Firmament über schnatternde Ganter, über Magnetsteine und Klimaverschiebungen bis „zum Menschen selbst“ zu kommen ist frisch und zupackend geschrieben: „welche Gegensätzlichkeit herrscht da (bei den Schlangen), welcher Zank! Den Kopf des Männchens, der mit an sich natürlicher, aber hemmungsloser Wollust ins Maul des Weibchens gleitet in jäher Überhitze des Lustverlangens beißt sie ihn ab. Wenn sie dann, trächtig und verwitwet zugleich, in die Zeit des Gebärens kommt, will die zahlreiche und viel zu schwere Brut, wie um den Vater zu rächen, auf einen Schlag ausbrechen - und die Mutter zerbirst.“ Petrarca geht es, anders als der Titel nahelegt, nicht um die Fixierung einer beschaulichen Mitte, die Schmerz und Lust gleichermaßen scheut, weil beide sie aus ihrer Ruhe aufscheuchen. Wenn er schreibt „nirgends ist der Geist ganz, nirgends einheitlich; mit sich selbst ist er zerfallen, sich selbst zerreißt er“, dann glaubt man Hegel zu lesen, den radikalen Hegel, den einer negativen Dialektik.
Francesco Petrarca, Heilmittel gegen Glück und Unglück, Lateinisch-deutsche Ausgabe in Auswahl übersetzt und kommentiert von Rudolf Schottlaender, hrsg. von Eckhard Keßler, mit Abbildungen aus der deutschen Ausgabe Augsburg 1532, Wilhelm Fink Verlag, 271 Seiten, 38 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen