FINANZPOLITIK: "Ein Ablenkungsmanöver"
Koalitionsverhandler wollen Schuldenbremse in die Landesverfassung schreiben. Das ist nichts als Symbolpolitik, kritisiert Klaus Rainer Rupp (Die Linke)
taz: Herr Rupp, spitzt sich die Situation zu, wenn Rot-Grün eine Schuldenbremse in die Landesverfassung schreibt?
Klaus-Rainer Rupp: Nein. An der Lage ändert sich nichts: Schon als die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen wurde, haben das viele Verfassungsrechtler kritisiert. Einerseits engt sie durch viel zu konkrete Vorgaben die Spielräume von Politik massiv ein. Andererseits gefährdet sie das Sozialstaatsgebot und die Aufgabe, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Dadurch, dass die Landesverfassung das wiederholt, wird es nicht besser - aber auch nicht schlimmer. Es ist eine unnötige Änderung, die vom wesentlichen finanzpolitischen Problem, der Einnahmesituation, ablenkt.
Aber die Koalitionsverhandler haben versprochen, sie um ein Verbot der Einnahmeverringerung zu erweitern!
56, Ingenieur für Steuerungstechnik, ist Finanzpolitiker und sitzt seit 2007 für die Linksfraktion im Parlament.
Jeder, der die Zahlen zur Kenntnis nimmt, weiß, dass man die Steuern nicht nur nicht senken darf, sondern erhöhen müsste. Bloß stehen dafür die Chancen bei der derzeitigen Bundesregierung schlecht. Daran wird auch eine Regelung in der Bremer Landesverfassung nichts ändern.
Die hülfe gar nichts?
Wen soll denn das beeindrucken? Eine Regelung in einer Landesverfassung hat deutlich weniger Macht, als die Verwaltungsvereinbarungen zwischen dem Bund und den Konsolidierungs-Ländern.
Dann bleibts Symbolpolitik?
Ja. In der laufenden Legislatur hatte Rot-Grün stets betont: Eine Schuldenbremse in der Landesverfassung muss nicht sein. Ich kann nicht erkennen, was sich an den Grundlagen dieser Einschätzung geändert haben soll.
Bloß: An wen richtet sich das Symbol - an den Stabilitätsrat?
Es mag sein, dass man sich da mehr Wohlwollen verspricht, aber große Auswirkungen kann das nicht haben.
Der Plan greift ja ein Wahlkampf-Thema der CDU auf. Wäre die etwa doch so stark geworden, dass Rot-Grün darauf eingehen muss?
Das ganz bestimmt nicht. Nein, mir scheint es mehr ein Ablenkungsmanöver zu sein. Ich vermute, dass sie sich mit Recht vor Bedenken und Protesten gegen ihre Finanzpolitik fürchten. Denn gleichzeitig haben SPD und Grüne ja angekündigt, ordentlich an der Gebührenschraube zu drehen.
Um Einnahmen zu generieren!
Das wird allerdings nur wenig bringen, weil es ja auf der anderen Seite dafür sorgt, dass die Menschen weiter aus der Stadt ins Umland ziehen: Die Gebühren hier erhöhen und die Abwanderung stoppen, das kann nicht gelingen. Das ist ein Teufelskreis, in den man sich da mit der Schuldenbremse begeben hat.
Aber die Landesverfassungs-Änderung bringt die Kritik am Konsolidierungskurs zum Schweigen.
Das wird sie nicht. Der Versuch, die Kritik zum Verstummen zu bringen, wird scheitern. Wir werden diesen Weg weiterhin als falsch bezeichnen.
Obwohl Sie damit die Verfassung angreifen müssen?
Eine Verfassung ist nicht unfehlbar, und auch das Grundgesetz ist menschengemacht. Wenn sich diejenigen, die sie geändert haben, auf die Autorität der Verfassung berufen, um das zu verteidigen, was sie hineingeschrieben haben - dann ist das doch ein witzloses Argument. Vor allem wenn durch ihre Änderung das Grundgesetz mit sich selbst in Konflikt gerät - und der Staat sich fragen lassen muss, welchen Teil er nun für verbindlich erachtet …
…vorausgesetzt, der Konflikt zwischen Sozial- und Sparstaat tritt tatsächlich auf.
Ich vermute, es dauert noch zwei, drei Jahre, bis der Widerspruch eine Form angenommen hat, die als gesellschaftlich bedeutsame Größe wahrgenommen wird. Es mehren sich jedenfalls die Anzeichen, dass etliche Länder bemerken: Wir haben uns mit unserer Zustimmung in eine Falle begeben.
Wo mehren sich die Zeichen?
Überall, wo man die Auswirkungen der Schuldenbremse konkretisiert und versucht, Haushalte unter ihren Bedingungen aufzustellen. Da merkt man sehr deutlich, dass es bereits ganz gehörig zwickt und kneift - und vielleicht doch keine so gute Idee war, sich darauf einzulassen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung