FFM-Tatort „Luna frisst oder stirbt“: Leiden der jungen Wohlstandstrulla
Eine gefeierte Nachwuchsautorin wird tot unter einer Brücke gefunden. Alles erinnert an ihr Buch, die Ermittler beginnen das Schlüsselromanlesen.
Irgendwann fallen die Sätze, die die ganze Tragödie erfassen: „Es geht darum, wie sich etwas anfühlt. Nicht, was objektiv passiert ist.“ Um diesen Gedanken erst einmal auf diesen „Tatort“ anzuwenden: Ihn anzuschauen fühlt sich vor allem an, als wolle man woanders sein. Auf stumm schalten und nebenan das Bad putzen etwa, während derweil der Film weiterläuft.
Was dagegen objektiv passiert: Eine sehr junge Jungautorin wird für ihren Debütroman „Luna frisst oder stirbt“ gefeiert. Und liegt am Morgen nach ihrer Premierenfete, sorry: „Release-Party“ tot unter einer Brücke. Als das Ermittlungsduo Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch) mit jenem Roman in der Hand loszieht, stellt sich sofort heraus: Jene „Luna“ aus der Story dachte über Suizid nach, das Alltagsdrama der bildungsbürgerlich behüteten 19-jährigen Schriftstellerin, Name egal, spiegelt sich im Leiden ihrer Romanfigur, bis hin zum Senf im Kühlschrank. In der Mordkommission beginnt das große Schlüsselromanlesen zwischen Fakt und Fiktion.
Was hätte man daraus machen können, ey, eine Woche nach der realen Frankfurter Buchmesse das Hickhack der Verlagsbranche mit einem Aufmerksamkeitsdrama zu kommentieren! Aber mehr als eine nette Idee des Autorinnenduos Katharina Bischof und Johanna Thalmann isses halt nicht.
Denn auch in der Inszenierung (Regie: auch Katharina Bischof) bleibt alles stecken in verblüffend ironie- und kritikfreien Klischees. Da sind die wörtlichen Zitate aus dem Buch, das „Ratatatat“, das „Wumms, wumms, wumms“. Die Instagram-Lookalike-Claqueurschaft drumherum. Der Junglektor ganz in Schwarz, mit Rolli und dunkler Brille. Das Vitamin B zwischen Autorinnenvater und Verleger (völlig egale Rolle, aber gespielt von Clemens Schick).
Frankfurt am Main-“Tatort“: Luna frisst oder stirbt, So., 31. 10., 20.15 Uhr, ARD und in der ARD-Mediathek
Eine karitative Fassade gegenüber jenen, denen es nicht so gut geht, die mit wenig Geld und vielen Geschwistern – aber dahinter Kapital rausschlagen aus deren Marginalisierung. Die Leiden der jungen Wohlstandstrulla an ihrer eigenen Leere eben.
Streicht man all das raus, bleibt nur eines übrig: Lena Urzendowsky als Nellie Kunze. Schon der Name verrät’s, das ist die „arme“ Freundin der Toten. Urzendowsky, selbst erst 21, ist eine dieser Nachwuchsschauspielerinnen, die jetzt schon so leicht wiederzuerkennen ist, weil sie mit ihrer Präsenz alles andere überstrahlt. Sie hat in unserer Ära der Aufmerksamkeitsökonomie wirklich jeden Funken Licht verdient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin