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FDP in Nordrhein-WestfalenIm Überlebenswahlkampf

Köln ist FDP-Hochburg, einflussreich und sehr liberal. Die Freidemokraten haben Angst, klammern sich aber an das Prinzip Hoffnung – und an Christian Lindner.

Georg und Christl Mayr. Er Rheinländer, sie Westfälin. Beide in der FDP. Und für Lindner, die Integrationsfigur an Rhein und Ruhr. Bild: Jörg Neumann

KÖLN taz | Rheinland und Westfalen sind sich endlich mal einig. Der Christian Lindner könne die Menschen mitreißen durch seine Worte, finden beide. Wer kann das heute schon noch?, fragt Westfalen rhetorisch, und das Rheinland nickt. Dann bestellt das Rheinland mit rauchiger Stimme noch einen Cognac zum Kölsch, „aber bitte nich so ’n Pfützchen“.

Für das Rheinland steht an diesem Mittwochabend „Doktor Mayr, Vorname Edgar“. Ein ehemaliger Arzt aus Köln, dem man seine 85 Jahre nicht ansieht und der gern ins Reden kommt. Neben ihm sitzt kerzengerade im lila Wollpulli die Westfälin Christl Mayr, 72 Jahre, und wenn ihr Gatte abschweift, bringt sie das Gespräch stets wieder zurück auf das, worum es hier geht: um die Zukunft der FDP. In Köln. In Nordrhein-Westfalen. In ganz Deutschland.

Denn gleich wird sich hier, im Restaurant „Stern am Rathaus“, die Kölner FDP zum „Liberalen Treff“ versammeln. Die erste öffentliche Zusammenkunft der hiesigen Freidemokraten seit dem großen Knall: der Auflösung des Düsseldorfer Landtags sieben Tage zuvor. Neuwahlen stehen an. Vor der Restauranttür steht auf einem Schild „Hück Ovend kütt die FDP. Jeschlossene Jesellschaft!“ Geschlossene Gesellschaft: Manch einer glaubt, dieser Spruch passe auch ganz gut zur Zukunft der Partei.

Die FDP Köln ist eine Macht. Im Bezirksverband rund um die Domstadt haben die Freidemokraten mehr Mitglieder als irgendwo sonst. Und der Landesverband NRW stellt mit 16.000 Mitgliedern ein Viertel der gesamten Partei. Politische Veränderungen an Rhein und Ruhr haben immer wieder die politische Landschaft der Bundesrepublik verändert: 1995 nahmen SPD und Grüne in Düsseldorf den Regierungswechsel in Bonn drei Jahre später vorweg.

Fast ausschließlich Männer

Zehn Jahre später zog die CDU unter Jürgen Rüttgers in die Staatskanzlei – der Anfang vom Ende von Gerhard Schröders Kanzlerschaft. Und 2012? Droht der FDP im bevölkerungsstärksten Bundesland der Sturz in die außerparlamentarische Bedeutungslosigkeit – und bei der Bundestagswahl 2013 dem Rest der Partei. Deshalb sind Christl und Edgar Mayr heute hier. Und darum sind die FDPler, die pünktlich um 20 Uhr den hell erleuchteten Laden betreten, so aufgekratzt.

Christian Lindner, der Knaller aus Wermelskirchen. Bild: dapd

Es kommen fast ausnahmslos Männer. Nicht wie andernorts, weil die Partei ein Hort konservativer Honoratioren wäre. Die Kölner FDP ist seit Jahrzehnten geprägt von Schwulen. Der Vorsitzende der neunköpfigen Ratsfraktion ist offen schwul, der Fraktionsgeschäftsführer ebenso. Die FDP fuhr als erste Partei auf einem Wagen mit beim hiesigen Christopher Street Day. Die Liberalen im Rheinland sind seit Jahrzehnten liberaler als ihre Parteifreunde im konservativen Westfalen. Der zähe Machtkampf zwischen Norden und Süden wogt hin und her. Legendär geworden ist die Auseinandersetzung zwischen dem Münsteraner Jürgen Möllemann und dem Rheinländer Guido Westerwelle.

Doch in der tiefen Krise hegen die sonst so zerstrittenen Freidemokraten Hoffnung. Christl und Edgar Mayr, die Westfälin und der Rheinländer, sind sich einig: Mit ihrem Spitzenkandidaten und neuen Landesvorsitzenden haben sie eine Chance, die Fünfprozenthürde zu überwinden. Derzeit sehen Umfragen die FDP bei 2 bis 3 Prozent. Überhaupt: Christian Lindner. Vielen hier erscheint er als eine Art Retter aus höchster Not.

Ein junger Mann ergreift das Mikro. Schwarzes Sakko, weißes Hemd, blaue Jeans. Marcel Hafke, 30 Jahre, trägt den Einheitslook jüngerer Parlamentarier, egal ob FDPler, Unionist oder Grüner. Hafke ist Landtagsabgeordneter in Düsseldorf. Er war dabei, als seine FDP-Fraktion in zweiter Lesung gegen einen Ministeriumsetat stimmte und so den gesamten Landeshaushalt von Rot-Grün kippte. Hafke weiß: In den Medien steht seine Fraktion da als Chaostruppe, die bei den Haushaltsverhandlungen mit der SPD hoch pokert und zu spät die Folgen erkennt: Bruch der Minderheitsregierung, Neuwahlen, womöglich das Ende der FDP-Fraktion.

Das Umfallerimage

„In einer Phase, in der Politiker den Ruf haben, sie hingen an ihren Ämtern, haben wir ein Signal gesetzt“, ruft Hafke ins Mikro. Die Umstehenden applaudieren. Die Fraktion habe gegen den rot-grünen Haushaltsentwurf stimmen müssen, schon allein wegen der darin vorgesehenen milliardenschweren Neuverschuldung. „Hätten wir uns enthalten, dann hätte die FDP in den Medien ein Umfallerimage bekommen.“

Doch für Vergangenes werden Parteien nicht gewählt, sondern für Versprechen. Deshalb redet Hafke von Inhalten: vom Senken der Neuverschuldung. Vom nötigen Kita-Ausbau. Und von der Wiedereinführung der „Studiengebühren, äh: -beiträge“. Vor allem aber spricht Hafke vom „Christian-Lindner-Effekt“. Der gerade mal 33-jährige Lindner ist einer von hier: geboren und aufgewachsen im nahe gelegenen Wermelskirchen, mit 21 Jahren jüngster Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag, Generalsekretär der NRW-FDP, von 2009 bis 2011 Generalsekretär der Bundespartei. Und der letzte verbliebene Hoffnungsträger der Partei.

Lindner hat bereits den Grundtenor seines Wahlkampfs vorgegeben: alles oder nichts. Hafke zitiert seinen neuen Chef fast bis aufs Wort: „Es geht an dieser Stelle um die Zukunft der FDP, um den organisierten Liberalismus in Deutschland.“ Es soll wie ein Schlachtruf klingen, aber es ist auch ein Hilfeschrei. Die FDPler trauen ihren eigenen Beteuerungen nicht recht. 2010 kam Hafke über Landeslistenplatz 11 ins Parlament. Dafür brauchte die Partei 5,6 Prozent der Stimmen. Diesmal bemüht sich Hafke um einen Platz weiter vorne. Sicher ist sicher.

Der größte Lindner-Fan aber ist der Fraktionsgeschäftsführer der Kölner FDP, Ulrich Breite. Wenn der 47-Jährige mit dunkelblauem Wollsakko vom neuen Landesvorsitzenden redet, zeigt sich seine Erleichterung in jedem Wort: Endlich sei da jemand, der die „Modernität und Grundsatztreue“ der Partei vereine. Ein Hetero, der keine Berührungsängste gegenüber Schwulen kennt. Ein Rheinländer, der auch mit den Westfalen kann. Ein Mann, der auch Frauen fördere. Man solle ja immer positiv sein, sagt Breite und nimmt einen Schluck Kölsch. „Aber auch wenn wir nicht ins Parlament kommen, haben wir den richtigen Landesvorsitzenden.“

Kein Wort über Rösler

Nur einer wird an diesem lauen Frühlingsabend kein einziges Mal erwähnt: Philipp Rösler, der Parteichef. Das hat seine Gründe. Die FDP in Nordrhein-Westfalen weiß um ihre parteiinterne Macht. Das zeigte sich auch vergangene Woche beim Treffen des Landesvorstands. Unter sechs Augen berieten sich Lindner, Landtagsfraktionschef Gerhard Papke und der Noch-Landesvorsitzende Daniel Bahr: Wie sollen sie in den Wahlkampf ziehen? Der Niedersachse Rösler wurde nicht gefragt. Er musste eine Etage tiefer, bei den Vorstandsmitgliedern, auf das Ergebnis warten. Dabei hatte der Bundeswirtschaftsminister extra eine USA-Reise abgesagt.

Inzwischen hat Rheinland den Cognac ausgetrunken, Westfalen das Kölsch. Die Mayrs wollen aufbrechen. Was raten sie ihrer Partei, wenn sie es ins Parlament schafft? Soll sich die FDP weiter auf die CDU als Partner konzentrieren? „Nein!“, ruft Georg Mayr. „Nein“, sagt auch seine Frau Christl und ergänzt: „Im Landtag haben sich die Fraktionen ja längst angenähert.“

Dahinter steht mehr als die Einsicht, dass es für Schwarz-Gelb aller Wahrscheinlichkeit nicht reichen wird. Lindner gilt seit Langem als Befürworter einer Öffnung hin zu Bündnissen mit SPD und Grünen. Lange konnte er seine Sicht nicht durchsetzen: Westerwelle, später Rösler, standen dem im Bund entgegen, und in Düsseldorf dominierten die konservativen Westfalen die Fraktion. Das ändert sich nun.

Noch haben sie Hoffnung. „Der beste Wahlkämpfer der FDP ist Norbert Röttgen“, sagt Breite. Seit Tagen windet sich der CDU-Spitzenkandidat angesichts der Frage, ob er auch als Oppositionsführer im Düsseldorfer Landtag bleiben werde. Eigentlich will der Bundesumweltminister in Berlin bleiben und seine Stellung als möglicher Merkel-Nachfolger sichern. Das kommt nicht gut an in Nordrhein-Westfalen. Obendrein widerspricht Röttgen barsch Forderungen überschuldeter Ruhrgebietskommunen nach finanzieller Unterstützung ähnlich dem Aufbau Ost. Kommunen wie Dortmund oder Oberhausen drücken Milliardenschulden, zahlen aber hunderte Millionen Euro für den Osten. Auch deshalb orientiert sich die FDP lieber an SPD und Grünen.

Edgar und Christl Mayr brechen auf. Einen Rat an ihre FDP haben sie noch: Sie solle sich öffnen gegenüber allen Parteien. Christl Mayr sagt: „Ich hoffe, die Leute sind so klug, mit allen zu reden.“ Ihr Mann nickt.

Einst wurden Rheinländer und Westfalen von der britischen Besatzungsmacht in ein Bundesland gepresst. Über ihr Verhältnis zueinander hat der Kabarettist Jürgen Becker einmal gesagt: „Es ist schrecklich, aber es geht.“

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8 Kommentare

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  • KS
    Kritische Stimme

    Das Volk hat ihre Meinung schon ueber die FDP gebildet.Die FDP hat mit ihren wirtschaftsliberalen Ideen wobei alle Kontollmechanismen in der Wirtschaft ueber Bord geworfen wurden,die erste Finanzkrise aus den USA nach Deutschland geholt,welche jetzt in die Eurokrise gefuehrt hat.Auch wurde die Kriegspolitik der Union voll unterschrieben und Westerwelle war in seinem Amt als Aussenminister ein begeisteter Afganistanbesucher,wobei er die Volksgefuehle die zu 80% diesen Krieg ablehnen voellig ignoriert hat.Sehr begeistert hat Westerwelle die Sanktionen gegen den Iran mitgemacht,mit Kosten beim heutigen Oelpreis 150 miliarden $/Jahr,oder 1,5 mio Arbeitslose europaweit.Seitdem die Zeitungen die bevorstehende Bombardierung von Iran durch Atomstaat Israel melden,stellt sich heraus das das falsche Land sanktioniert wurden mit katastrophalen Folgen fuer die europaeische Wirtschaft.Mit Westerwelle in der Partei braucht die FDP keine Feinde

  • RR
    Roger Rabbit

    "Doch für Vergangenes werden Parteien nicht gewählt, sondern für Versprechen."

    Ha, so ein Unsinn. Man schaue sich das Merkel Video bei youtube an, dort sagt sie "was vor der Wahl gesagt wurde wird nach der Wahl nicht umgesetzt". Sinngemäß.

    Genau das ist das Problem der FDP... Sie wurde 2009 wegen ihrer Versprechen gewählt... Und was wurde umgesetzt? Nix, alles im Rohr krepiert... Überall wurde sich ver sprochen, genau wie Hafke bei den Gebühren...

    LindnerEffekt genügt nicht für 5,+... Und Rösler hat Liberalismus nicht verstanden.

    Der Liberalismus ist in D nicht mehr organisiert, denn es gibt keine liberale Partei mehr in D. Da sind die Grünen ja noch liberaler als die FDP heute.

    Adieu, FDP. Ihr seid weg vom Fenster und das habt ihr euch verdient. Dafür bekommen die MdBs jetzt ja noch genug Knete... Für ihr liberales Altenteil. ;-)

  • T
    tazitus

    Lieber Humboldt,

    Hoch ist relativ.

    Manchmal sogar sehr tief

    und im Vergleich doch hoch.

     

    @RLS:

    ".. Dafür dass sie nicht wählen dürfen, müssen junge und alte Menschen abgesichert sein..."

    Wie? Hinter Gittern?

  • R
    RLS

    Er 85 Jahre und Sie 72 Jahre. Sie legen die Weichen wie es in Deutschland weitergehen soll.

    Meiner Meinung nach sollten junge Menschen bis 18 Jahren,

    und alte Menschen ab 65 Jahren nicht wählen dürfen.

     

    Dafür dass sie nicht wählen dürfen, müssen junge und alte Menschen abgesichert sein.

    Viele junge Menschen müssen heute die Dummheiten alter Menschen ausbaden, die ihren Mist, den sie zusammengewählt haben nicht mehr erleben werden. (Atommüll, Weigerung Mindestlohn zu zahlen, dadurch wird dass Geld den Jungen Leuten bei der Rente fehlen.) Politik der beiden Rentnerparteien CDU und FDP.

     

    Bei einer Wahl stellt man Weichen für die Zukunft.

    Es sollten also nur diese Leute daran beteiligt sein, die in dieser Zukunft auch leben müssen.

     

    Alte Menschen sind gefährlich, denn sie fürchten sich nicht vor der Zukunft.

    Bernhard Shaw

  • H
    Humboldt

    Liebe TAZ,

     

    nicht nur durch euer bösartiges und unqualifiziertes Gauck-Bashing habt ihr in den vergangenen Wochen sehr in meiner Wertschätzung gelitten, nein, durch Aussagen wie "Köln ist FDP-Hochburg" zeigt ihr eure inzwischen erreichte politisch-journalisitsche Inkompetenz. Ich lach' mich als Kölner schief. Scheiterte früher die FDP in Köln immer mal wieder an der Fünf-Prozenthürde, hat sie bis heute immer noch Mühe, überhaupt als gestaltende politische Kraft wahrgenommen, geschweige denn ernst genommen zu werden. Als die Fünf-Prozenthürde vor Jahren dann höchstrichterlich kommunal abgeschafft wurde, kehrte die FDP mit sage und schreibe 4,4 % im Jahr 1999 in den Kölner Rat zurück. Und im FDP-Hypejahr 2004 kam sie auf beängstigende 7,4 % - die Grünen auf über 21 %! Nur weil ein liberaler Greis dies auf einer Rede behauptet, ist das noch lange kein Fakt. Liberal heisst in Köln mitnichten FDP! Also, bitte, schreibt in Zukunft nicht so einen Stuss!

     

    Es grüßt herzlichst aus Kölle

     

    Der Humboldt

  • S
    Scherzschrittmacher

    Die FDP sollte schnellstens gefragt werden, ob sie Organe spenden will....

  • A
    Andrea

    Die verehrten Mitglieder der Kölner FDP sollten sich ernsthaft fragen, was die FDP noch mit freiheitlichen, liberalen Prinzipien gemein hat. Je schneller diese FDP aus der politischen Bildfläche verschwindet umso eher kann sie sich grundlegend reformieren und als echte liberale Wertepartei, zurückkommen.

  • M
    Matthias

    Was ein wunderschönes Bild, Rheinland und Westfalen so fein nebeneinander! Besser hätte sie sich der Preusse Loriot das nicht ausdenken können! Aus dieser Warte gesehen ist die FDP vielleicht ja auch irgendwie schützenswert aber nüchtern betrachtet ist der Preis zu hoch. Es wird es Zeit für die Auflösung und Abwicklung diese Partei. Der Name "Liberal" muss wieder frei werden für eine wirkliche liberale politische Kraft. Eine Privatisierungs- und Wirtschaft- und Spasspartei ist extrem nutzlos. Und die Peinlichkeiten die uns Möllemann, Westerwelle und Rössler bereitet haben sind ernstlich entbehrlich und es ist nicht notwendig diese Reihe mit einem Lindner fortzusetzen! Er scheint nur ein wenig heller weil um ihn herum schon die Lichter aus gegangen sind.