piwik no script img

FDP-Politikerin über Polizeigesetz„Die CSU hat sich vergaloppiert“

Das neue bayerische Polizeigesetz greift zu schnell in Grundrechte ein, sagt Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

FDP-Politikerin mit Empathie für Grundrechte: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Foto: Imago/Jürgen Heinrich
Tobias Schulze
Interview von Tobias Schulze

taz: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, am Dienstagabend will der Bayerische Landtag das umstrittene Polizeiaufgabengesetz verabschieden. Haben Sie Hoffnung, dass die CSU davor noch kurzfristig einlenkt?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Es geht ja nicht um kleine Korrekturen hier und da. Die ganze Konstruktion des Gesetzes mit dem Rechtsbegriff der drohenden Gefahr und den daraus folgenden Konsequenzen steht ja zu Recht in der Kritik. Ich glaube nicht, dass es da noch nennenswerte Änderungen gibt.

Das Konzept der drohenden Gefahr erlaubt der Polizei, auch ohne konkreten Verdacht gegen Personen vorzugehen. Ist das der Punkt, der Ihnen am meisten Sorgen bereitet?

Ja, denn daran hängt eine Fülle von Eingriffsbefugnissen wie Durchsuchungen, Festnahmen und DNA-Proben. Hier sind viele Maßnahmen unverhältnismäßig, weil die Anforderungen viel zu gering sind, um so tief in Grundrechte einzugreifen. Da hilft es auch nicht, dass ein Richtervorbehalt dabei ist. Das Gesetz ermöglicht schon so viel, dass ein Richter auch nichts mehr ausrichten kann.

Ihr Parteifreund Gerhart Baum hat schon angekündigt, gegen das Gesetz zu klagen. Machen Sie mit?

Wir als bayerische FDP wollen auch dagegen vorgehen, und da bin ich natürlich als Ehrenvorsitzende dabei.

2016 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass polizeiliche Maßnahmen bei drohender Gefahr grundsätzlich möglich seien.

Ja, aber nur bezogen auf terroristische Gefährdungen, weil da eben die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder herausragende Rechtsgüter besonders gefährdet sind. Diese Abwägung wird mit dem bayerischen Gesetz verlassen. Die Polizei darf schon viel früher tätig werden. Und deshalb ist das Argument der Staatsregierung falsch, man würde nur Vorgaben des Verfassungsgerichts 1:1 umsetzen.

Im Interview: Sabine Leutheusser-Schnarren­berger

ist Mitglied der FDP. Von 1992 bis 1996 sowie von 2009 bis 2013 war sie Bundesministerin der Justiz.

Joachim Herrmann, der bayerische Innenminister, sieht das anders. Er bezeichnete die Kritik am neuen Gesetz in der vergangenen Woche als „Lügenpropaganda“.

Das ist so daneben. Ich sehe das als einen Akt der Verzweiflung, weil er anscheinend überhaupt nicht damit gerechnet hat, dass es in der Sache berechtigte Kritik gibt. Das ist eine Verunglimpfung aller, die hier friedlich demonstrieren, und aller Juristen, die sich damit auseinandersetzen. Es geht nicht um Lügenpropaganda, es geht um sehr fundierte verfassungsrechtliche Bedenken, und anscheinend hat der Innenminister den Ernst der Lage nicht erkannt.

Oder die Proteste gegen das Gesetz machen ihn nervös.

Ich glaube, die CSU insgesamt wollte diese Proteste überhaupt nicht ernst nehmen, und jetzt ist daraus auf einmal eine ganz andere Dynamik entstanden. Ich denke, die CSU-Staatsregierung hat sich da ordentlich vergaloppiert.

Mehr als 30.000 Menschen waren letzte Woche in München gegen das Gesetz auf der Straße. Ich weiß nicht, wann es so etwas das letzte Mal in Bayern gab …

… bei Wackersdorf gab es das auf jeden Fall. Sonst fällt mir im Moment auch nichts ein. Es ist jetzt bei den Leuten ein Maß erreicht, wo sie nicht mehr sagen: Na ja, ein bisschen mehr Telefonüberwachung, das muss eben sein. Hier geht es wirklich weiter. Ohne, dass etwas passiert ist und ohne ganz konkrete Anhaltspunkte für einen möglichen Anschlag kann man hier festgenommen werden oder kann digital die Kommunikation durchsucht werden. Davon kann theoretisch fast jeder betroffen sein, ohne etwas getan zu haben und ohne etwas davon zu ahnen. Das hat so sensibilisiert.

30.000 Menschen auf der Straße sind viel, der Großteil der Bayern steht aber trotzdem noch hinter der CSU.

Natürlich macht die CSU ihre Propaganda, und sie hat im Moment ja auch die absolute Mehrheit. 30.000 Menschen auf einer Demonstration sind aber ein nachhaltiges Zeichen. Man muss dafür auf die Straße gehen, man muss sich am Feiertag Zeit nehmen – das ist mehr, als irgendwo unter einer Online­petition einen Klick zu machen. Das drückt schon aus, dass es ein breites Grummeln gibt.

Das Grummeln ist das eine. In der breiten Masse hat das Sicherheitsbedürfnis in den letzten Jahren aber zugenommen.

Bei allem, was Bürger zu Recht als Sicherheitsbedürfnis haben, muss die Politik ihnen durch ihr Handeln auch die Angst versuchen zu nehmen. Indem ich aber sage, ich muss eigentlich präventiv am besten alles wissen, hören, aufzeichnen, weil alles so gefährlich ist – dann schüre ich doch diese Ängste, und zwar unbegründet.

Nach der Landtagswahl im Herbst könnte die CSU in Bayern einen Koalitionspartner brauchen. Mal angenommen, rechnerisch könnte das die FDP sein: Würden Sie Ihren Parteifreunden dazu raten, mit denen zu regieren?

Ich würde auf jeden Fall dazu raten, Sondierungsgespräche zu führen, wenn ein Angebot erfolgen würde – um dann abzuklopfen, was ginge und was nicht.

Erfahrungsgemäß lässt sich die CSU von kleineren Koalitionspartnern nicht viel sagen.

Solange sie einen braucht, kann auch ein kleinerer Partner einiges erreichen. Sondieren und auf entscheidende Punkte, gerade mit Blick auf Bürgerrechte und Freiheitsrechte zu pochen – das wäre, glaube ich, wirklich eine Aufgabe, die aller Mühen wert wäre.

In Nordrhein-Westfalen bereitet die schwarz-gelbe Landesregierung derzeit auch ein neues Polizeigesetz vor. Warum ist das für die FDP dort okay, in Bayern aber nicht?

Das nordrhein-westfälische Gesetz stellt strengere Anforderungen an bestimmte Maßnahmen. Die Eingriffsbefugnisse gehen also nicht so weit. Die Richtung ist aber vergleichbar. Was zum Beispiel bei beiden Gesetzen ein ganz wichtiger Punkt wäre: Wenn man überlegt, einen Staatstrojaner einzusetzen, dann braucht man eine Regelung zur Zertifizierung. Bis heute ist nämlich nicht sicher, ob diese Technik wirklich nur das macht, was rechtlich erlaubt ist, oder ob sie darüber hinausgeht. In Nordrhein-Westfalen stehen noch Landtagsanhörungen an und parlamentarische Beratungen. Dabei können noch Änderungen erfolgen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 7G
    76328 (Profil gelöscht)

    Was regen sich alle nur immer über die CSU und Bayern auf?

    Auf den Tag genau vor 69 Jahren stimmte das CSU-dominierte Bayern, als einziges Bundesland, gegen das Grundgesetz. Im tiefen Südosten der Republik steht man halt zu seiner Tradition.

     

    Wesentlich befremdlicher erscheint mir da schon der von einer Grünen-geführten Landesregierung beschlossene Handgranateneinsatz durch Polizisten.

    Bei genauerer Betrachtung könnte man allerdings auch in dieser Entscheidung ein kohärentes Handlungsmuster erkennen. War es nicht einer der ersten in den Bundestag gewählten Grünen, der sich in seinen Studenten bewegten Jahren für die "poor man's grenade" begeistern konnte?

     

    Hier wie dort also weiterhin kein Grund zur Sorge?

  • Kreuzzug

     

    Die CSU kann doch ein christliches Kreuz in ihr Parteiwappen aufnehmen!

    Das erhöht dann die Glaubwürdigkeit...

    Die Partei mit dem Kreuz verteidigt das Abendland. Der CSU-Wahlkampf heisst dann Kreuzzug.

  • Warum kann man da nicht einfach das Kind beim Namen nennen? Die CSU verfolgt verfassungsfeindliche Ziele und setzt das in die Tat um, was z. B. der NPD nur als beabsichtigt unterstellt wird. Doch es ist nicht nur die CDU, denn in anderen Bundesländern zeigen sich ähnliche Trends.

     

    Nichts gegen Terrorbekämpfung und Vorbeugemaßnahmen. Doch im vorliegenden Fall schimmert allzusehr das Menschenrechtsverständnis des Herrn Erdogan durch. Und was nun Gefährder sind, gegen die noch kein konkreter Verdacht auf irgendwelche Planungen vorliegt, liegt da weniger im Bereich der Terrorbekämpfung, sondern mehr im Bereich der Beliebigkeit, im Bedarfsfall auch jeden für verdächtig zu halten, der einer Partei oder einer Behörde aus sonstwas für Gründen lästig wird.

  • Die Rhetorik der CSU Politiker erinnert immer häufiger an die von Trump, Erdogan und Orban!

    Versucht die CSU etwa durch geschürte Ängste in der Bevölkerung eine Umwandlung unserer Demokratie zu einer Behelfs - Autokratie?

    Das würde mache Politikern in Deutschland sicher gerade Recht kommen.

    Die Politiker, die sich zur Zeit am häufigsten äußern, haben neuerdings alle diese Art von Rhetorik drauf, mit der man die Menschen so richtig gegen den Islam aufbringen kann und somit diverse Verschärfungen im Recht durchzusetzen. Keiner dieser Damen und Herren hat aber eine wirklich zukunftsorientierte Lösung für irgend ein Problem, welche es momentan zu bewältigen gilt.

     

    Ob es um die Digitalisierung oder den Mindestlohn oder Maßnahmen gegen die Kinderarmut geht, egal welches der zu erledigenden Probleme es geht, von den Politiker kommen nur noch irgendwelche schlecht durchdachten Schnellschüsse, bei denen jeder merkt, die sind ausschließlich vorgebracht worden um die eigene Ratlosigkeit zu überdecken!

     

    Durch die jahrelange Politik von Frau Merkel alle Probleme auszusitzen bis sich irgend jemand mit einem Vorschlag meldet, den sie dann umsetzen kann, oder eben noch ein Weilchen warten, bis etwas besseres kommt.

    Ihre hauptsächlichen Entscheidungshilfen waren dabei die Umfragewerte, nach denen man die Zustimmung oder Ablehnung der Wähler einzuschätzen versuchen kann, was auch so von ihr gemacht wurde, mit dem Ergebnis, dass ihre Politik ein immer Weiter so ergeben hat.

     

    Wenn es nicht bald einen Sinneswandel der Verantwortung tragenden Politiker gibt, werden die Punkte, welche im Koalitionsvertrag der GroKo Parteien ausgehandelt wurden, die einzigen Punkte sein, die von den Parteien auf die Tagesordnung kommen und dann in dem Rest der Legislaturperiode abgearbeitet werden, unter der vorrangigen Führung der CDU/CSU!

     

    Alles andere wird dann unter " ferner liefen" abgehakt, denn wie wir wissen, wird Merkel alles andere wieder aussitzen!

     

    Gutes Beispiel ist US Botschafter Grenell !!!