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FDP-Politiker Bahr über Kopfpauschale"Die Berechnungen sind Horrorzahlen"

Das Finanzministerium hat ausgerechnet, was der Sozialausgleich für die Kopfpauschale kosten würde. Diese führe nicht zu höheren Steuern, beteuert dagegen FDP-Staatssekretär Bahr.

"Arzneimittelkosten steigen stetig": Bild nach Röntgen-Untersuchung. Bild: dpa
Matthias Lohre
Interview von Matthias Lohre

taz: Herr Bahr, sind Sie sauer aufs Finanzministerium?

Daniel Bahr: Nein, wieso?

Das Ministerium hat auf Antrag der Grünen ausgerechnet, was der Sozialausgleich für die von Ihnen geforderte Kopfpauschale kosten würde. Das Ergebnis: Sollte der Ausgleich 33 Milliarden Euro kosten, müsste ab 180.000 Euro ein Spitzensteuersatz von 100 Prozent gelten.

Das ist reine Spekulation. Wir brauchen keine zweistelligen Milliardenbeträge für einen Sozialausgleich. Solche Berechnungen sind Horrorzahlen. Wir wollen die gesetzliche Krankenversicherung Schritt für Schritt auf eine Prämie mit Sozialausgleich umstellen, dafür sind keine Steuererhöhungen nötig.

Wie viel Geld soll zusätzlich ins Gesundheitssystem fließen?

Genau das ist Aufgabe der Regierungskommission. Sie soll festlegen, wie hoch der Anteil einkommensunabhängiger Prämien sein kann und wie der soziale Ausgleich organisiert und finanziert wird.

Die Kommission wird Sie doch ausbremsen. CDU und CSU sind ja schon von der Kopfpauschale abgerückt.

Die Regierungskommission ist keine Laberbude. Sie hat laut Koalitionsvertrag den Auftrag, den Einstieg in eine Finanzierung durch Prämien zu schaffen. Jeder, der davon abrücken will, muss sagen, wie er die Ausgabensteigerungen im Gesundheitswesen und ein Ansteigen der Lohnzusatzkosten denn sonst bremsen will. Ich habe bisher keine brauchbare Alternative gehört.

Kassen und CDU fordern, den Mehrwertsteuersatz auf Medikamente von 19 auf 7 Prozent zu senken. Das schmälert die Steuereinnahmen.

Es ist schon verwunderlich: Für Schnittblumen gilt ein ermäßigter Steuersatz, für so Lebenswichtiges wie Arzneimittel nicht. In den meisten europäischen Ländern ist das anders. Aber eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes wirkt nur kurzfristig. Arzneimittelkosten steigen stetig. Arzneimittel werden in Deutschland sofort nach der Zulassung von den Kassen erstattet. Das ist im internationalen Vergleich ungewöhnlich.

Will ausgerechnet die FDP die Industrie daran hindern, überhöhte Preise zu verlangen? Gerade erst wurde dem renommierten Leiter des Arznei-TÜVs IQWiG unter Mithilfe Ihres Ministeriums eine Vertragsverlängerung verweigert.

Zur Stellenbeschreibung des IQWiG-Leiters gehört, dass er pharmakritisch ist. Er muss ja prüfen, ob neue Arzneimittel einen Nutzen haben, der zusätzliche Kosten rechtfertigt. Bisher haben wir noch kein Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Bewertung neuer Arzneimittel. Wir haben ein großes Interesse, dass der künftige Leiter des Instituts das leistet.

Wie bitte? Die FDP will die Macht der Pharmaindustrie beschneiden?

Uns geht es um die Sache. Natürlich haben wir ein Interesse daran, dass Unternehmen in Deutschland forschen und bessere Arzneien auf den Markt bringen, von denen Patienten profitieren. Erstaunlicherweise kamen nach der Wahl viele Analysten zum Ergebnis: Pharmaunternehmen profitierten eher von rot-grünen Regierungen, nicht von schwarz-gelben. Gerhard Schröder lud Unternehmervertreter zu Rotwein-Runden ins Kanzleramt, nicht wir.

Dafür engagiert Herr Rösler einen Spitzenlobbyisten der privaten Krankenversicherer.

Na und? Ulla Schmidt holte sich einen AOK-Funktionär in ihr Gesundheitsressort, und nachher waren die AOKen besonders sauer auf die Entscheidungen des Ministeriums. Messen Sie uns doch nicht an Unterstellungen, sondern an unseren Ergebnissen.

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4 Kommentare

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  • A
    agtrier

    Immerhin könnte jetzt sicherlich sogar die Linkspartei an dieser Kopfpauschale gefallen finden :-)

  • WW
    Wolf Wagner

    Sie wissen nicht was sie tun! Was erzählt das Bubilein Bahr (BB)?Er hat bisher jeden Nachweis der geringsten Ahnung von einem Gesundheitssystem tunlichst vermieden. Schmalliebig und, verhärmt (hat ihn seine Freundin sitzen lassen?) erzählt der Dresdner Banklehrling seine Unwahrheiten, die durch seine Wiederholungen nicht wahrer werden Seit Monaten wird jede Entscheidung/Aussage/Konzept auf irgendeine Kommission von Parteifreunden (DKV-Versicherte?) verschoben nach dem Motto "wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis". Erfahrungen aus Schweden oder selbst aus Österreich werden nicht zur Kenntnis genommen- ebensowenig die Katastrophe in der deutschen Ärzteschaft. 70% aller Ärzte sind heute überflüssig, da sie irgendwelche Medikamente verschreiben, für die sie Geld von der Pharmaindustrie bekommen oder sie schreiben Überweisungen an befreundete Fachärzte, wenn sie nicht mehr wissen, was zu tun ist.Das sind keine Ärzte, sondern Abzocker-Spielerwitzfiguren. Das kann jede erfahrene Krankenschwester bei weitem besser. Wichtigtuer BB hat nur eine Ideologie-Kopfpauschale. Warum soll eine Kassierer genauso viel an Krankenversicherung bezahlen wie BB ? Weil Bubi nur an seine und ausschließlich seine Zukunft denkt, die vom Staat finanziert wird? Bismarck kennt er wahrscheinlich nur als Hering. Bitte nie wieder ein Interview mit diesem Kropf. Noch nie gab es so einen unfähigen Staatssekretär und Minister(?) im Gesundheitswesen.

  • S
    Sixer

    Welche Ergebnisse?

  • E
    end.the.occupation

    Warum um den heissen Brei herumreden?

     

    Es geht wie üblich darum, das 'verdi-Milieu' (copyright taz) auszuplündern und den Gewinn an die Steuerhinterzieher- und Versicherungskonzern-Freunde zu verteilen.

     

    Das 'schlimme' an dem aktuellen System der Finanzierung ist ja, dass sich die Arbeitgeber um die Zahlung ihres Anteils nicht so richtig drücken können.

     

    Steuern kann man hinterziehen - illegal und legal übrigens - oder Parteien schmieren, die dann die Spitzensteuern senken oder einfach abschaffen. Aber mit den Sozialabgaben geht das nicht so leicht.

     

    Für die Kapital-Eigner ist es da natürlich viel besser, wenn man beide Strategien zusammenlegt: die Unternehmen von den Sozialabgaben befreit - sie anstelle dessen vom Steuerzahler bezahlen lässt - und gleichzeitig dafür sorgt, dass Steuern nur noch durch das 'verdi-Milieu' gezahlt werden.

     

    Bei sinkendem Einkommen des 'verdi-Milieus' - dem Ziel aller 'Reform'-Parteien im Bundestag zur Sicherung des Standorts - führt das natürlich zur Rationierung und zum Kollaps.

    Wer eine OP braucht, der bekommt dann eben einen Termin in zwei Jahren - zu mehr wird das Geld nicht reichen, das man ja 2009 den systemischen Banken nachwerfen musste.

     

    Wer trotz dauernd sinkender Einkommen Geld übrig hat - der kann das ja durch 'Vorsorge' bei einer der FDP nahe stehenden Versicherung kompensieren.

    Und wer sich das nicht leisten kann - der verstirbt eben ein wenig früher.

     

    Genau das ist die 'Gerechtigkeits-Vorstellung' der FDP:

    Die kleine Sachbearbeiterin eines Unternehmens darf keinesfalls dieselbe Behandlung in Anspruch nehmen können, wie der Vorstandsvorsitzende.

    Das wäre nämlich 'ungerecht' findet die FDP, weil sich der Wert eines Menschen nach seinem Einkommen bemisst.

     

    Die propagierte Moralvorstellung dahinter ist: Wer im - tatsächlichen oder gefühlten - Rang unter mir steht, der soll und muss auch weniger bekommen wie ich.

    Und weniger bekommen müssen wir ja naturgesetztlich alle, wegen der 'Globalisierung' nämlich - steht so in jeder Zeitung.

     

    Im Fall von Hartz 4 führt das zu der interessanten Gerechtigkeitsvorstellung, dass der Erwerbslose angesichts von den Erwerbstätigen, die dank der Reformen von ihrem Einkommen nicht leben können, - dass er natürlich nicht von 'zu wenig' sondern von 'viel zu wenig' existieren soll und muss.

    Alles andere wäre ja ungerecht und leistungsfeindlich.

     

    Lukrativ ist das natürlich vor allem für jene, die mit der Arbeit anderer ihren Profit machen. Die Drohung des möglichen Untergangs - liefert den Profiteuren darüber hinaus auch das Mittel zur Disziplinierung der noch nicht Erwerbslosen.

     

    Kurz: Der Neid der Besitzenden auf die weniger oder gar nichts Besitzenden - auf diesem Neid baut das Ethos der FDP auf - und das aller Reformer und Pragmatiker.

     

    Das eigentliche Ziel des ganzen ist dabei die Optimierung der Ausbeutung derer, für welche die Kapitaleigner noch Bedarf haben. Wer noch benutzbar ist, der wird ausgepresst und glauben gemacht, dass die unter ihm befindlichen (oder die Alten/Rentern ...) daran schuld seien. Wer nicht gebraucht wird, der wird an den Rand der Existenz gedrängt und dazu Glauben gemacht, dass er selber schuld daran sei.

    Die einzigen, von denen dabei nie die Rede ist sind jene, die von dieser Hackordnung profitieren - und welche die Reformer und deren Claque freihalten.