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FDP: Ent-Sorgen mit Müll

■ Koalition Lenz-Jäger: Auch Bremer Liberale für MVA-Neubau in Bremen

„Müllverbrennungsanlagen zu schließen, ist das aberwitzigste und schlimmste, was man zur Zeit überhaupt machen kann.“ Das Sommerloch ist die Hoch-Zeit der etwas kleineren Leute für besonders große Worte. Bremens FDP-Fraktionschef, Claus Jäger, nutzte gestern die jahreszeitgeschuldete historische Chance, um pressewirksam eine müllpolitische Koalition zwischen Bremerhavens Sozialdemokraten und Bremens Liberalen gegen Umweltsenatorin Evi Lemke-Schulte zu begründen. Denn, so Jäger, „die Frage, wie wir mit unserem Müll umgehen, wird eines der wichtigsten Themen der Zukunft überhaupt sein.“ Mit Bremerhavens starkem Mann, Werner Lenz, ist Jäger sich einig: Evi Lemke-Schulte hat für diese Fragen nur falsche Antworten parat.

Das Urteil der Bremer FDP über die Pläne der Umweltsenatorin, Bremens Müll bis zur Mitte der 90er Jahre um rund die Hälfte

zu reduzieren, die Müllver brennungsanlage (MVA) in Bremen stillzulegen und den unvermeidlichen Rest in der MBA Bremerhaven zu verfeuern, zusammengefaßt: ökonomisch unrentabel, regionalpolitisch verfehlt und ökologisch unsinnig.

Harald Neujahr, umweltpolitischer Sprecher der FDP, rechnete vor JournalistInnen gestern im einzelnen auf, welche Probleme Lemke-Schulte sich mit ihrer Strategie einhandelt: In Bremerhaven müßte nicht nur ein zusätzlicher Verbrennungskessel gebaut, sondern Preß- und Umladestationen angelegt werden. FDP-geschätzte Kosten: 100 Millionen. Weitere 10 Millionen jährlich dürfte der „Mülltourismus“ zwischen Bremen und Bremerhaven an Transporten kosten. Während in Bremen die MVA-ferngewärmte Universität plötzlich ungeheizt dastünde, müßte die aus dem Bremer Müll gewinn

bare Energie in Bremerhaven ungenutzt verpuffen: Das Fernwärmenetz der MBA ist schon jetzt überfordert. Auch mit zusätzlichem Kessel wäre die MBA Bremerhaven durch den Bremer Müll bis zum Brenner-Kragen ausgelastet, daß auch kleinere technische Störungen zum „akuten Entsorgungsnotstand“ führen müßten.

Alternative der FDP: Statt dreistellige Millionenbeträge dafür auszugeben, daß Müllverbrennungskapazitäten verschwinden, sollte der Senat sie lieber in eine moderne, den neuesten technischen Standards entsprechende und auf „Zuwachs“ gebaute MVA in Bremen stecken. Hintergedanke von Claus Jäger: „Wenn man in Bremen für 300 bis 400 Millionen neue Verbrennungs-Kapazitäten von 350.000 bis 400.000 Tonnen schaffen würde, die Bremen nur zur Hälfte für den eigenen Müll nutzen müßte, könnte man den Rest den nieder

sächsischen Umlandgemeinden anbieten.“ Im Gegenzug, so Jägers Kalkül, könnten die Niedersachsen dann Teile ihres Flächenstaats als neue Mülldeponien und darauf auch dem Bremer Klärschlämmen, Hafenschlickbergen und Bauschutthalden Plätzchen einräumen - eine Art bremisch-niedersächsischer Müll-Deal.

Ob die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn, die bei ihrem Amtsantritt in der neuen rot-grünen Koalition gerade ein Programm ihres CDU-Amtsvorgängers Remmers für den Bau von acht bis zwölf neuen Verbrennungsanlagen gekippt hat, solche Deals mitmachen würde, hat die Bremer FDP bislang nicht geprüft. In Bremen, da ist sich Claus Jäger immerhin sicher: „Nachdem Werner Lenz in Bremerhaven schon voll auf unsere Linie eingeschwenkt ist, wird unsere Position hier in ein paar Jahren herrschende Meinung sein.“

K.S.

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