FDLR-Unterstützerprozess in Stuttgart: Harte Vorwürfe gegen Exilruander
Ein Software-Ingenieur aus Ruanda, der im Exil lebt, steht seit Montag in Stuttgart vor Gericht, weil er die Webseite der Hutu-Miliz FDLR betreute.
Die Staatsanwaltschaft wirft B. vor, in den Jahren 2008 und 2009 dafür gesorgt zu haben, dass die Homepage der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) am Laufen blieb. Die FDLR, die im Kongo kämpfende Nachfolgeorganisation der für den Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 verantwortlichen Hutu-Armee, war damals für zahlreiche Verbrechen an der Zivilbevölkerung im Osten der Demokratischen Republik Kongo verantwortlich. Ihre beiden in Deutschland lebenden politischen Führer Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni wurden im November 2009 verhaftet und im September 2015 vom Oberlandesgericht Stuttgart verurteilt.
B., der im Prozess gegen Murwanashyaka und Musoni bereits als Zeuge gehört wurde, ist Software-Ingenieur, lebt in Baden-Württemberg – und ist seit Mitte der 1990er Jahre im ruandischen Hutu-Exil politisch aktiv. Die Anklage in Stuttgart wirft ihm in 30 Einzelpunkten „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ vor.
Gemessen an der Schwere des Vorwurfs wirken die Einzelpunkte eher mäßig. 18 davon betreffen Geldüberweisungen an die Internet-Dienste Betamax, Lycos und OVH in einer Gesamthöhe von 487,22 Euro im Zeitraum Januar 2008 bis Januar 2009. Die anderen behandeln einzelne Fälle, in denen B. dem FDLR-Präsidenten Murwanashyaka half, die Webseite zu betreuen, Fehler zu beheben und auch den Umzug auf einen anderen Host zu organisieren, nachdem die Webseite im August 2009 von OVH abgeschaltet worden war. Das alles seien Verstöße gegen die seit 2005 bestehenden EU-Sanktionen, die es verbieten, dem FDLR-Chef „direkt oder indirekt Gelder oder wirtschaftliche Güter zur Verfügung zu stellen“, so die Anklage.
B. ist als politischer Flüchtling anerkannt
Besonders terrorverdächtig kann B. nicht sein, denn er sitzt nicht in Untersuchungshaft. Für die Verhandlungstage bekommt er jeweils von seinem Arbeitgeber Urlaub. Er tritt ruhig und verbindlich auf, beantwortet bereitwillig Fragen zu seiner Person und seiner Biographie: 1990 kam er als Stipendiat der Carl-Duisburg-Gesellschaft zum Studium nach Deutschland, wie viele Ruander damals, und lebt seitdem hier. Ruanda hat er zuletzt 1992 oder 1993 besucht. Seit 2002 ist er als politischer Flüchtling anerkannt, Angehörige in der alten Heimat hat er kaum noch, dafür lebt er ein ganz normales deutsches Angestelltenleben: Eigenheim, Hauskredit, fester Job, Kinder.
Im Gerichtssaal, der anders als der beim Prozess gegen die FDLR-Führung ganz ohne Sicherheitsschleuse und Justizpolizei auskommt, gestaltet der Vorsitzende Richter Hartmut Schnelle die Vernehmung zur Person eher als lockeres Gespräch, außer dass er natürlich schon die Vernehemungsprotokolle vor sich hat.
Zur Sache lässt sich B. nicht befragen, sondern er hat eine schriftliche Erklärung verfasst, die sein Anwalt vorliest. „Die Anklageschrift behauptet, ich hätte die Ziele und die Tätigkeiten der FDLR gekannt“, sagt er. Nur auf Grundlage dieser Behauptung könne man ihm überhaupt einen Vorwurf machen. „Alle Verbrechen, die man mir vorwirft, waren zur Förderung der Meinungsfreiheit gedacht.“ Und er stellt klar: „Ich möchte nicht behaupten, die FDLR sei keine terroristische Vereinigung.
Einige Gerichte haben dies so festgestellt. Diese Informationen waren mir unbekannt.“ Detailliert erläutert B. in seiner Erklärung, wie er die von ihm selbst entwickelte Software „Rafiki“ zur Verfügung stellte, um die FDLR-Internetpräsenz zu entwickeln. „Murwanashyaka war Kunde, ich habe ihn als solchen behandelt“, gibt er zu Protokoll. Die Dateien habe er „nicht angefasst“. Geld, das er an Internet-Dienste zahlte, habe er entweder im Auftrag weitergeleitet oder nachträglich von Murwanashyaka zurückgefordert. B. stellt seinen Kontakt zum FDLR-Präsidenten als reine Geschäftsbeziehung dar.
B. schloss sich der ruandischen Hutu-Exilpartei an
Nur Software-Entwickler ist er natürlich nicht, das gibt B. zu. Er erläutert, wie er sich Mitte der 1990er Jahre der ruandischen Hutu-Exilpartei RDR (Sammlung für Demokratie und friedliche Rückkehr nach Ruanda) anschloss, politischer Arm der nach dem Völkermord in den Kongo (damals geflohenen) ruandischen Hutu-Armee. Die RDR wurde später zur politischen Partei, von der sich im Jahr 2000 die dem bewaffneten Kampf verpflichtete FDLR abspaltete, zu der Murwanashyaka und auch Musoni stießen.
2005 bat die damalige Präsidentin der RDR – B. nennt ihren Namen nicht, aber es war Victoire Ingabire, die heute in Ruanda inhaftiert ist und von der Hutu-Diaspora als politische Gefangene bezeichnet wird – ihn, der FDLR beim Aufbau ihrer Internet-Präsenz zu helfen. Daraufhin entwickelte B. zusammen mit anderen die Software „Rafiki“ und betreute den Internet-Auftritt danach.
Es ging um viele verschiedene Dinge: technische Abstürze, neue Quellcodes, das Aufspielen von Murwanashyakas Osterbotschaft vom April 2009 an die kämpfenden Truppen im Kongo als Audiodatei auf der Webseite, und auch Ärgernisse: das algorithmisch gesteuerte automatische Aufpoppen von Werbung für Reisen zu Ruandas Berggorillas ausgerechnet auf der Webseite der FDLR, die Ruanda bekämpfte.
Immer wieder saßen B. und Murwanashyaka abends in dessen Wohnung in Mannheim zusammen oder telefonierten lange – auch direkt in Zeiten erbitterter Kämpfe im Kongo 2009. Interessant: Vizepräsident Musoni, von dem im Prozess gegen die FDLR-Führung häufig im Zusammenhang mit technischen und finanziellen Fragen die Rede gewesen war, wird jetzt kein einziges Mal in diesem Zusammenhang erwähnt.
Ist B. wirklich so unschuldig und unpolitisch, wie er sagt?
Von den Verbrechen der FDLR habe er damals nichts gewusst, behauptet B. Nachdem seine Schwiegermutter ihm einen deutschen Zeitungsartikel darüber zeigte, habe er Murwanashyaka zur Rede gestellt, aber der habe ihm versichert, es sei eine „Manipulationskampagne“. B. zeigt sich unschuldig und unpolitisch: „Meine Methode des Informations-Filtrierens hat mich völlig blind gemacht für die Ereignisse im Ostkongo. Alles, was ich erfuhr, war von Murwanashyaka.“ Dem habe er vertraut, auch weil der FDLR-Präsident so religiös daherkam: „Ich war davon überzeugt, dass er weiß, wovon er redet, und dass er mich nicht anlügt.“
Ist B. wirklich so unschuldig und unpolitisch, wie er sagt? Als er im Jahr 2011 im Prozess gegen Murwanashyaka in Stuttgart sowie im Völkermordprozess gegen den ruandischen Exbürgermeister Onesphore Rwabukombe in Frankfurt als Zeuge vernommen wurde, standen seine politischen Aktivitäten deutlicher im Vordergrund. Er sagte damals aus, dass er Murwanashyakas Nachfolger als Präsident der RDR-Deutschlandsektion war. Jahrelang führte er die Exilpartei in Deutschland. Er organisierte auch über Murwanashyakas Kontakte einen Anwalt für den festgenommenen Rwabukombe und sammelte Geld dafür, wie er damals bestätigte. All das erwähnt er jetzt in Stuttgart nicht. Er sagt lediglich, er sei von 2006 bis 2012 in der Exilparteienallianz FDU (Vereinigte Demokratie Kräfte) aktiv gewesen, in der die RDR einer von mehreren Bestandteilen war.
Wie relevant diese Vorgeschichte für diesen Prozess ist, wird der 3. Strafsenat am OLG Stuttgart in den kommenden drei Monaten klären müssen. Im Mittelpunkt wird für Richter Schnelle die Frage stehen, ob B. von den Verbrechen der FDLR wusste. Der Prozess wird in zwei Wochen mit einem Sachverständigengutachten fortgesetzt.
Dass die FDLR als terroristische Vereinigung zu werten sei, hatte das OLG Stuttgart im September 2015 festgestellt, davor das OLG Düsseldorf im Dezember 2014. In Düsseldorf war es um ähnliche Vorwürfe gegangen wie jetzt gegen B. Damals waren zwei Exilruander wegen „mitgliedschaftlicher Betätigung“ in der FDLR zu Haftstrafen verurteilt worden und einer wegen Unterstützung der FDLR zu einer Bewährungsstrafe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!