FC Bayern München in der Krise: „Katastrophaler Trend“
Der FC Bayern verliert in Augsburg und ist nun seit vier Spielen sieglos. Trainer Nagelsmann kündigt an, sich über alles Gedanken machen zu wollen.
Julian Nagelsmann musste eher widerwillig in seine Lederhose steigen. Dass der Trainer des FC Bayern keine Lust auf den Besuch des Oktoberfestes mit seiner Mannschaft verspürt, das hatte er am Samstag kundgetan nach der 0:1 Niederlage beim FC Augsburg durch das Tor von Mergim Berisha (59.). Nagelsmann hätte den Wiesntermin am liebsten storniert. Sinnvoll sei dieser nach dem vierten sieglosen Bundesligaspiel in Serie und der ersten Saisonniederlage ja nicht. Am Sonntagmittag trat die Mannschaft des FC Bayern dennoch mit Anhang zum traditionellen Fototermin und Zuprosten auf der Wiesn an.
„Fassungslos und bedröppelt“ stünden sie da, hatte Bayern-Profi Thomas Müller am Samstag gesagt, „es wird, wie das Wetter, immer dunkler. So ist auch unsere Gefühlswelt.“ Nagelsmann musste gar nicht über seine Stimmung reden, sie war ihm anzusehen. „Nix Gutes“ bedeute der Abwärtstrend, sagte Nagelsmann. Was sich ändern müsse? „Vieles“, antwortete er. Der Frust saß so tief, dass er der Frage, ob ein Mittelstürmer fehle, mit Fatalismus begegnete. „Ist doch wurscht, was ich jetzt antworte“, jede Antwort, ob Ja oder Nein, sei zu seinem Nachteil interpretierbar. In der Länderspielpause wolle er nachdenken. „Und dann entscheide ich, wie es weitergeht“, sagte Nagelsmann. Worum sich seine Gedanken drehen werden? „Über alles denke ich nach: über mich, über die Situation, über alles.“
Der kalendarische Herbst hat noch nicht begonnen, da erleben sie beim FC Bayern eine jener Krisen, die sich bei den Münchnern schon oft einstellten, wenn die Tage kürzer und die Punkte-Erträge geringer wurden. Wären da nicht die 2:0-Siege in der Champions League bei Inter Mailand und gegen Barcelona, würde es wohl noch lauter knallen.
Es ist ein scharfer Stimmungswechsel, nachdem die Bayern wegen ihres starken Saisonstarts in den Himmel gelobt worden waren und sich auch selbst jauchzend beglückwünscht hatten zu ihrer neuen Flexibilität ohne den zum FC Barcelona veräußerten Mittelstürmer Robert Lewandowski. Der Weltfußballer trifft nun für die Katalanen gewohnt zuverlässig. Wie am Samstag, als ihm beim 3:0 gegen den FC Elche seine Ligatore sieben und acht im sechsten Einsatz gelangen.
Neuer als Lewandowski-Ersatz
Die Münchner dagegen erspielen sich zwar genug Chancen, ein kühler Verwerter aber fehlt ihnen. Das ließ sich auch in Augsburg bei mehreren Eins-gegen-eins-Situationen gegen Rafal Gikiewicz beobachten. Am Ende musste sich sogar sein Münchner Pendant Manuel Neuer als Stürmer versuchen, als er einen Kopfball aufs Tor wuchtete, der FCA-Keeper aber parierte. Dass Gikiewicz den ersten Heimsieg der Augsburger und den zweiten Dreier in Serie nach dem 1:0 in Bremen festhielt, fügte sich ins Bild, wonach Torhüter gegen die Bayern gerade regelmäßig glänzen.
Oft können sie auch deshalb viele Bälle abwehren, weil es den Münchner Abschlüssen an Präzision mangelt. Hinzu kommt ein oft laxes Defensivverhalten. Wie in Augsburg, als Leroy Sané den Augsburger Iago bei dessen Ablage nur begleitete und Berisha völlig unbehelligt zentral vor dem Tor zum redlich erkämpften 1:0-Sieg einschieben konnte.
Hasan Salihamidžić vermisst die nötige Wehrhaftigkeit. „Wir haben brutal Probleme gegen Mannschaften, die gegen uns so körperlich spielen. Die uns auf die Socken hauen“, stellte Bayerns Sportvorstand fest, „wenn wir nicht die Disziplin, Gier, Körperlichkeit an den Tag bringen, kann man in der Bundesliga nicht gewinnen.“ Dass Sadio Mané, der als Weltstar gepriesene Zugang vom FC Liverpool, wie viele Kollegen seine Form sucht, trägt zum „katastrophalen Trend“ bei. So nannte Müller jenen sportlichen Abschwung.
Nagelsmann muss aufpassen, dass ihn nicht ein ähnliches Schicksal ereilt wie seine Vorgänger. Bei Carlo Ancelotti, Niko Kovac und Hansi Flick wurde es nach ihrer ersten Saison als Bayern-Trainer kompliziert. Nagelsmann geht gerade vernehmbar auf Distanz zu seinen Spielern. „Laissez-faire“ und „schlampig“ nannte er deren Passspiel, offen kritisierte er ihre Abschlüsse. Der 35-Jährige wirkt selbst angezählt.
Salihamidžić hatte jüngst angemerkt, der Trainer müsse noch lernen. Gestärkt hat das dessen Autorität eher nicht. Und wenngleich Salihamidžić explizit alle gefordert sieht, klang es bedrohlich, dass er nun sagte: „Von zwölf möglichen Punkten haben wir drei geholt, deshalb bin ich ein wenig beunruhigt. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Jetzt müssen Siege her.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“