Explodierende Tomate

Ein BBC-Reporter und Scientology filmen sich gegenseitig – bei kleineren und größeren Wutanfällen

John Sweeney mag keine Scientologen. Bei den Dreharbeiten zu einer Dokumentation über die umstrittene Scientology-Kirche, deren prominenteste Mitglieder die Hollywood-Schauspieler Tom Cruise und John Travolta sind, rastete der BBC-Reporter aus. Er brüllte seinen „Gesprächspartner“, den Scientologen Tommy Davis, minutenlang nieder, während der offenbar ganz ruhig blieb, wie er es in Schulungskursen seiner Organisation gelernt hat. Davis beschuldigte Sweeney, dass er einen Scientology-Kritiker in einem Interview für das TV-Magazin „Panorama“ mit Samthandschuhen angefasst habe, und wies darauf hin, dass in den USA Religionsfreiheit herrsche. Nachdem Davis ihm das wiederholt vorgehalten hatte, verlor Sweeney die Nerven. „Du warst am Anfang des Interviews nicht dabei“, schrie er. „Du warst nicht da! Du hast nicht das ganze Interview gehört!“ Dann fragte Sweeney ruhig, ob Davis ihn verstehe – um gleich darauf erneut auszuflippen.

Sweeneys Pech: Die Scientologen hatten ein eigenes Kamerateam auf ihn angesetzt, das die „Panorama“-Leute sechs Tage lang verfolgte, um eine Gegendokumentation zu drehen. Sie verteilten 100.000 DVDs von Sweeneys Aussetzer an Abgeordnete, Geschäftsleute, religiöse Organisationen und an die Medien. Außerdem stellten sie den Clip ins Internet (www.youtube .com/watch?v=hxqR5NPhtLI), wo er in kürzester Zeit zu einiger Prominenz gelangte.

Sweeney hat sein Verhalten längst bereut. „Es ist mir sehr peinlich“, sagte er. „Ich sehe aus wie eine explodierende Tomate und brülle wie ein Düsentriebwerk. Ich habe die BBC blamiert. Aber es kam mir vor, als ob ich einer Gehirnwäsche unterzogen werde, und wenn die Leute das ganze Video sehen, haben sie vielleicht mehr Verständnis für mich.“ Die BBC stellte den vollständigen Videoclip gestern ins Netz (www.youtube.com/watch ?v=WA5VsSF6FZA&NR=1). Darin ist zu sehen, dass auch Davis einen kleinen Wutanfall bekam und mitten im Interview weglief, während Sweeney hinter ihm herrannte.

Ernsthafte Konsequenzen hat Sweeney nicht zu befürchten. Er ist zwar gerügt worden, aber die BBC erklärte, dass er nicht gegen etwaige Richtlinien des Senders verstoßen habe.

RALF SOTSCHECK