piwik no script img

Expertin über neues Pflegegesetz„Eine gesellschaftliche Aufgabe“

Ein neues Gesetz soll Kinder von Pflegebedürftigen entlasten. Das sei eine gute Idee, sagt die Sozial-Expertin Margret Böwe.

Nicht nur eine psychische Belastung: Angehörige im Pflegeheim unterzubringen ist teuer Foto: dpa
Interview von Julia Kitzmann

Nach einem neuen Gesetzesentwurf müssen Kinder in Zukunft erst ab einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro für ihre Eltern zahlen, wenn Rente und Pflegeversicherung nicht für die Pflege ausreichen. Was sagt die Expertin Margret Böwe dazu?

taz: Frau Böwe, ist heute ein guter Tag für Kinder pflegebedürftiger Eltern und Eltern behinderter Kinder?

Margret Böwe: Ja, das ist er, denn er bedeutet eine erhebliche finanzielle Entlastung für viele Menschen. Wir haben viele Anfragen von Angehörigen bekommen, die von immensen Belastungen berichteten. Neben der psychischen, die die Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen ohnehin schon bedeutet, mussten sie ihre gesamte finanzielle Situation dem Sozialamt offenlegen. So kommen ganze Familien in die Maschinerie der Bedürftigkeitsprüfung. Dabei hat der sogenannte Eigenbehalt – also der Teil, der den Menschen nach dem Abzug zum Leben bleibt – von Kommune zu Kommune differiert und war oft niedrig. Manchmal war er so gering, dass für die Betroffenen nur noch sehr wenig zum Leben blieb.

Durch das neue Gesetz müssen die Angehörigen erst ab einem Jahreseinkommen von mehr als 100.000 Euro zahlen, wenn die Mittel der Pflegeversicherung und der Rente für die Heimkosten nicht ausreichen. Wer weniger verdient, wird also nicht mehr überprüft?

Genau, zuvor galt die Grenze nur für Personen mit Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Die Regelung sollte verhindern, dass sie aus Angst vor der finanziellen Belastung ihrer Angehörigen nicht zum Sozialamt gehen. Allerdings reichte das Geld oft trotzdem nicht, gerade wenn sie in ein Pflegeheim müssen. Dann sind weitere Mittel notwendig. Hier hafteten die Kinder. Auch dieses Problem ist jetzt behoben.

Sind Sie also mit dem Gesetzentwurf vollkommen zufrieden?

Im Interview: Margret Böwe

ist Referentin der Abteilung Sozialpolitik beim Sozialverband VdK Deutschland. Sie beschäftigt sich mit Themen wie Kinderarmut, Pflege, Rente und Arbeitslosengeld. Der VdK ist mit über 1,7 Millionen Mitgliedern Deutschlands größter Sozialverband.

Bei der Entlastung der Angehörigen setzt er das um, was wir gefordert haben. In anderen Bereichen gibt es durchaus noch Verbesserungsbedarf, das betrifft etwa die Anrechnung von Renten in der Sozialhilfe.

Warum hat sich die Politik des Problems jetzt angenommen?

Ich glaube, die Politik hat verstanden, dass es sich um ein Problem handelt, das mitten in der Gesellschaft liegt. Oft tut sie sich ja schwer damit, etwas für die Ärmsten zu tun. Aber es gibt immer mehr pflegebedürftige Menschen, gleichzeitig sind die Pflegekosten so hoch, dass viele Renten nicht ausreichen. Das ist nicht nur ein Problem für die sozial Schwachen, sondern viele Mittelschichtsfamilien sind damit konfrontiert. Und es wird in unserer älter werdenden Gesellschaft immer mehr betreffen.

Wie viele Menschen können von dem Gesetzentwurf profitieren?

Das wissen wir noch nicht und auch das BAMS kann das noch nicht abschätzen. Nicht zuletzt liegt das daran, dass gerade reichere Kommunen häufig auf eine Einkommensprüfung verzichtet haben. Der Bürokratieaufwand war einfach zu groß. Viele Sozialamtsleiter, mit denen ich gesprochen habe, klagten darüber, dass es sich bei dem Verfahren oft um ein Verlustgeschäft gehandelt habe. Nicht selten kam es zu Gerichtsprozessen.

Trotzdem kritisiert der Städte- und Gemeindebund das Gesetz scharf. Der Geschäftsführer warnte vor einer Aushöhlung des Solidaritätsprinzips und immensen Kosten. Ist das was dran?

Auch wir wissen um die Belastung für die Kommunen. Entschieden widersprechen wir aber der Auffassung, dass Kinder grundsätzlich für ihre Eltern haften müssen: Pflegebedürftigkeit und Behinderung sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Die SPD macht wohl nur Gesetze, wenn gute Überschriften dabei rausspringen. Die Finanzierung wird dabei verdrängt. Sollen sich die Kommunen drum kümmern. Und die erhöhen dann wieder ihre Gebühren und der Bürger zahlt eben über andere Wege.

    • @Gerdi Franke:

      Liebe*r Gerdi, stimmt im Endeffekt zahlt "der Bürger" alles. Das hast du sehr gut erkannt. Ressourcen fallen ja schließlich nicht vom Himmel. Die Frage ist welche Bürger für was zahlen und wo Menschen welche Bedürfnisse haben und welche davon von der Allgemeinheit aufgefangen werden sollen. Wie die sicherlich schwer belasteten Kommunen das dann stemmen ist eine geratene Behauptung. Darum finde ich deinen Kommentar etwas voreilig.



      Viele Grüße aus dem Ruhrpott, wo man weiß wie sich bankrotte Kommunen anfühlen.