piwik no script img

Expertin über Kommunikation im Netz„Wir brauchen Onlineregeln für Lehrer“

Das Internet revolutioniert die Kommunikation – auch indem es sie sexualisiert. Die britische Gewaltexpertin Ethel Quayle warnt Lehrer vor Gegruschel mit Schülern.

Kommunizieren Erwachsene mit Kindern im Netz, sollten sie klare Regeln befolgen. Bild: dpa
Interview von Christian Gehrke

taz: Frau Quayle, erhöhen Chatrooms und soziale Netzwerke Ihrer Meinung nach die Möglichkeiten eines sexuellen Missbrauchs?

Ethel Quayle: Meiner Meinung nach fördern Chatrooms und soziale Netzwerke vor allem Kommunikation. Diese kann natürlich sexuell eingefärbt werden.

Vor allem die sehr schnelle Kommunikation in Chatrooms artet aber nicht selten aus – sie wird schnell sexueller als normales Sprechen von Angesicht zu Angesicht. Zudem ändert sich Internetkommunikation ständig. Onlinespiele verändern sich zum Beispiel fast wöchentlich, und auch sie eröffnen Möglichkeiten eines Missbrauchs.

Wie das?

In den USA zum Beispiel wurden Anfang des Jahres mit der „Operation Game Over“ allein im Staat New York 3.500 Spielkonten von verurteilten Sexualstraftätern gesperrt – um minderjährige Gamer zu schützen. Jeder nutzt das Internet, selbstverständlich auch Kriminelle. Und wir beobachten eine Wanderung der persönlichen Kommunikation von Angesicht zu Angesicht hin zur Onlinekommunikation.

Was bedeutet das für Jugendliche?

Bild: privat
Im Interview: Ethel Quayle

beschäftigt sich seit vielen Jahren wissenschaftlich mit sexueller Gewalt gegen Kinder, insbesondere der kinderpornographischen Ausbeutung im Internet. Quayle arbeitet als Dozentin an der Universität Edinburgh. Sie leitet das Copine-Forschungsprojekt „Combating Paedophile Information Networks in Europe“. Quayle ist Psychologin.

Wir müssen konstatieren, dass sich die Aufwachsbedingungen für Jugendliche durch das Internet sicher gewandelt haben. Pubertät findet heute anders statt – auch wegen der sexuellen und pornografischen Überflutung durch das Netz. Dennoch sprechen wir nicht davon, dass das Internet eine sexuellen Krise ausgelöst hätte.

Ist es gefährlich, wenn LehrerInnen sich auf Facebook mit ihren SchülerInnen anfreunden?

Die Probleme entstehen dann, wenn die Lehrkraft sich der Grenzen zwischen professioneller Rolle und Erwartungen an sie und einer „Freundschaft“ nicht bewusst ist. Solche Grenzüberschreitungen geschehen leider schon offline nicht selten und führen in manchen Fällen auch zu etwas, das man „standeswidriges Verhalten“ bezeichnen muss.

Was kann man dagegen tun?

Wir brauchen Handlungsleitlinien zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt an allen Kindergärten und Schulen. Diese sollten klare Regeln über die Nutzung digitaler Medien durch Mitglieder des Kollegiums sowie SchülerInnen enthalten. Nur so können die Schulen auch online Sicherheit und Schutz gewährleisten.

Solche Richtlinien schützen beide Seiten, sowohl die SchülerInnen als auch den Lehrenden. Das bedeutet aber, dass es sich dabei um mehr als nur ein Blatt Papier mit Regeln handelt – nämlich dass diese Richtlinien in klare Haltungen übersetzt und mit Leben gefüllt werden.

Was sollten solche Richtlinien im Hinblick auf Internetkommunikation zwischen LehrerInnen und SchülerInnen, insbesondere bezogen auf Facebook, enthalten?

Sie sollten Regeln für den guten Gebrauch digitaler Technologien und einen Leitfaden für die angemessene Nutzung von E-Mail, SMS und so weiter enthalten. So wird gewährleistet, dass es klare Richtlinien zum Beispiel zur Frage der Veröffentlichung privater Informationen gibt – auch die der SchülerInnen.

Und es geht zum Beispiel darum, welche Form und Inhalte digitaler Bilder nicht länger der professionellen Beziehung zwischen Lehrer und Schüler angemessen sind. Daraus ergibt sich dann beispielsweise häufig die Frage, wann der Erwachsene die Grenze überschreitet und eine romantische oder explizit sexuelle Beziehungen zu SchülerInnen beginnt.

Wann wird die Grenze zwischen normaler und gefährlicher Kommunikation überschritten? Wann also wird ein Opfer zu einem Opfer?

Grenzen können sowohl on- als auch offline überschritten werden. Beziehungen außerhalb des Netzes können wirklich sehr gefährlich werden. Allerdings wird die Netzkommunikation über Technologie vermittelt. Sie findet außerhalb des unmittelbaren, persönlichen Radius der Jugendlichen statt. Das heißt, Kommunikation wird nachhaltig verändert, auf eine Weise, die schon für Erwachsene oft schwer durchschaubar ist.

Was meinen Sie damit?

In der Onlinekommunikation haben strategisch agierende Täter noch größere Vorteile gegenüber Jugendlichen, die eben nicht strategisch, sondern authentisch auf der Suche sind. Daraus ergeben sich mehr Möglichkeiten für Grenzüberschreitungen.

Die Grenzüberschreitungen selbst sind denen in der Offlinewelt sehr ähnlich, und die meisten von uns erkennen, wo die Risiken liegen. Nämlich da, wo ein Lehrer zum Freund wird und beginnt, persönliche oder sexuelle Inhalte zu teilen. Hier lauert die Gefahr – dass LehrerInnen ihre Überlegenheit als einflussreiche Erwachsene über einen minderjährigen Schüler ausnutzen können.

Heutzutage hat manches Kind ein Facebook-Profil, bevor es geboren wird. Kinder und Jugendliche wachsen mit sozialen Netzwerken und Chatrooms auf. Wie verändert das ihre Entwicklung?

Das Internet stellt uns Erwachsene vor Herausforderungen, weil Kinder sich nicht mehr ausreichend bewegen oder draußen an der frischen Luft aufhalten. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass auf Facebook gepostete Fotos und Filme unserer Kinder – ob nun normal oder pornografisch – für immer zugreifbar sein werden. Auf der anderen Seite allerdings müssen wir unsere Kommunikationsfähigkeiten auf die neuen Entwicklungen abstimmen.

Wir müssen uns mit der Frage der Privatsphäre beschäftigen und lernen, die Inhalte zu kontrollieren, die neu für uns sind. Wir sollten uns fragen, welche Inhalte überhaupt zur Verfügung gestellt werden sollten – und welche nicht. Wenn es uns gelingt, diese Fragen zu klären und die Kommunikation mit klaren Regeln zu versehen, kann Onlinekommunikation viele, viele Möglichkeiten und Vorteile bringen – denken Sie nur an Familien, die über Länder hinweg getrennt leben.

Computertechnologie entwickelt sich sehr rasant – heute hat man mit dem Smartphone das Internet in der Hosentasche. Können Erwachsene diesen Prozess regulieren?

Wie sollten wir diesen Prozess regulieren können? Was wir aber sehr wohl regulieren können, ist die Durchschaubarkeit und Sicherheit der Onlinekommunikation. Meiner Meinung nach sollten wir den Kinderschutzaspekt bei jeder sich neu entwickelnden technologischen Veränderung vorausdenken, um den bestmöglichen Schutz zu gewährleisten und sicherzugehen, dass diese Technologie keine negativen Auswirkungen hat. Ein gutes Beispiel dafür ist die Entwicklung des Fotohandys.

Warum ist das ein gutes Beispiel?

Dort haben wir gesehen, dass diese Technologie in der Hand jedes Jugendlichen die Möglichkeiten erweitert, andere Jugendliche mit unangemessenen sexuellen Bildern zu bedrängen. Oder aber Täter und Täterinnen nutzten sie, um Jugendliche zu erpressen.

Das Versenden eines digitalen Bildes reicht, um die Raum-Zeit-Dimension zu sprengen. Unangemessene Bilder eines Jugendlichen können binnen weniger Sekunden unendlich oft kopiert und unendlich weit transportiert werden. Und: Sie vergehen nie.

Beeinflussen pornografische Seiten im Internet wie YouPorn die Entwicklung und das sexuelle Verhalten der Kinder heutzutage?

Es gibt nur sehr begrenzte wissenschaftliche Forschung zur Frage des Einflusses pornographischen Materials auf junge Menschen. Allerdings gibt es erste Anhaltspunkte dafür, dass solches Material sehr deutlich die Einstellung zu einvernehmlichem sexuellen Verhalten beeinflusst. Allerdings ist noch nicht klar, inwieweit diese Einstellung das Verhalten dann auch in der Realität beeinflusst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • B
    Bachsau

    NEIN, wir brauchen NICHT noch mehr Panikmache und Einschränkungen der Menschenrechte!

  • S
    sonja

    Es ist wohl bald soweit!

    Die Menschheit verliert nun wohl noch das letzte Bisschen an Menschlichkeit.

     

    Gute Nacht!