Expertin über Ernährungsaufklärung: „Gut, wenn Eltern Regeln vorgeben“
Wie viel Wahrheit über Massentierhaltung verträgt ein Kind? Wo hört Vorleben auf und fängt Bevormunden an? Eine Kinder- und Jugendpsychotherapeutin erklärt.
taz am wochenende: Frau Kalali, was sage ich, wenn mich mein dreijähriges Kind fragt, woher Fleisch kommt?
Islim Kalali: Die Wahrheit.
Kann ich meinem Kind erzählen, dass sich oft neun Masthühner einen Quadratmeter teilen müssen und nicht einmal das Sonnenlicht sehen, bevor sie getötet und zu Nuggets verarbeitet werden?
Solche Details würde ich keinem dreijährigen Kind zumuten. Wie viel Wahrheit ein Kind verträgt, hängt von seiner Reife ab, das kann man pauschal nicht beantworten. Wenn Eltern mit ihrem Kind über dieses Thema sprechen, sollten sie besonders auf seine Mimik achten. Schaut es neugierig und stellt Nachfragen, kann man ruhig mehr erzählen. Wirkt es hingegen schockiert, sollte man es nicht mit weiteren Informationen belasten. Dass das Fleisch von Tieren kommt und wir Menschen sie dafür töten, sollten Eltern ihren Kindern aber definitiv sagen. Und auch, ob es sich um Schweine-, Hühner-, Rinder- oder Kalbfleisch handelt.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Wenn mein Kind also weiterbohrt und wissen will, wie ein Huhn getötet wird, dann erzähle ich ihm das?
Ja. Mit den Details zur Schlachtung würde ich aber nur so weit gehen, wie das Kind auch fragt.
Angenommen, ich ernähre mich und mein Kind vegan. Wo verläuft der Grat zwischen Vorleben und Bevormunden?
Es ist eine Aufgabe von Eltern, ihre Kinder zu bevormunden. Eine antiautoritäre Erziehung ist desaströs für Kinder. Sie brauchen Regeln und Strukturen, sie geben ihnen Sicherheit. Deshalb ist es sogar gut, wenn Eltern Regeln für die Ernährung vorgeben – denn nicht alle Kinder essen automatisch das, was sie brauchen. Manche würden sonst vielleicht nur Pizza und Pommes essen.
Ab welchem Alter sollte ich mein Kind selbst entscheiden lassen, ob es weiter mit mir vegan essen möchte oder auch tierische Produkte?
Vielleicht ab Grundschulalter, aber auch das kann man nicht pauschal sagen. Was man sagen kann, ist, dass viele Eltern ihren Kindern zu früh zu viele Entscheidungen überlassen – und sie damit überfordern.
Und wenn das Kind klar äußert, dass es gerne Bratwurst oder Käse probieren möchte?
Das hängt von den Eltern ab. Wer nicht will, dass sein Kind tierische Produkte isst, der muss ihm die Bratwurst auch nicht erlauben. Wenn Eltern ihr Kind aber frei entscheiden lassen wollen, ob es vegan isst oder nicht, dann sollten sie auch tierische Produkte im Haus haben. Auf keinen Fall dürfen sie den Konsum von Fleisch, Eiern und Milch grundsätzlich verteufeln. Denn sonst hat das Kind keine wirklich freie Wahl – und bekommt Schuldgefühle, falls es doch mal bei Freund*innen Pizza mit Käse oder Vollmilchschokolade isst.
45, ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in Berlin.
Wie kann ich meinem Kind die Schuldgefühle nehmen?
Indem Sie ihm sagen, dass vegane Ernährung nicht die einzig richtige Ernährungsweise ist. Isst das Kind in Ihrer Gegenwart etwas Tierisches, hilft es, wenn Sie es aufmunternd anblicken, ihm zulächeln oder sagen: „Das ist in Ordnung.“
Wie reagiere ich, wenn mein Kind anderen Kindern Schuldgefühle macht, indem es ihnen sagt: „Für die Wurst auf eurem Butterbrot mussten Schweine sterben?“
Dann sollten Sie ihrem Kind verdeutlichen, dass es nicht belehren soll. Zum Beispiel, indem Sie sagen: „Andere Eltern haben andere Ansichten und erziehen ihre Kinder anders. Es ist nicht deine Aufgabe, mit ihnen über die Nutzung von Tieren zu sprechen, sondern die der Eltern.“
Es gibt sehr wenige vegane Kitas, einige normale Kitas bieten auf Wunsch ein veganes Gericht an. Eltern, die ihr Kind vegan ernähren, müssen ihm also Mittagessen mitgeben. Hat es negative Auswirkungen auf das Kind, wenn es nicht das Gleiche isst wie alle anderen?
Es kann das Kind in eine besondere Situation bringen, die das Kind vielleicht sogar mag. Meistens ist es ja aber gar nicht so, dass alle Kinder das Gleiche essen. Manche Kinder haben eine Nussallergie, andere eine Glutenunverträglichkeit, wieder andere eine Laktoseintoleranz. Von daher ist es nichts Außergewöhnliches mehr, ein anderes Mittagessen zu haben. Wichtig ist, dass die Eltern oder Erzieher*innen für eine vegane Alternative sorgen, wenn es zum Beispiel einen Geburtstagskuchen oder einen Schokonikolaus gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!