Experte über Gewalt in Nahost: „Kein Interesse an Eskalation“
Hinter den Raketen aus dem Libanon steckt wohl die palästinensische Terrorgruppe Hamas. Experte Yaakov Amidror über die Kooperation von Hamas und Hisbollah.
taz: Aus dem teilweise von der Hisbollah kontrollierten Südlibanon werden Raketen nach Israel geschossen, verantwortlich ist wohl die palästinensische Terrorgruppe Hamas. Wieso kann diese in einem anderen, souveränen Staat agieren?
Yaakov Amidror: Hamas und Hisbollah arbeiten schon lange zusammen: Die Hisbollah hat geholfen, die Hamas aufzubauen, hat ihre Kämpfer trainiert. Und sie verbessern ihre Beziehungen immer weiter, Hamas-Kämpfer sind im Libanon sehr aktiv, einige Führungsfiguren der Gruppe leben dort, unter dem Schirm der Hisbollah. Beide Gruppen gehören dem „Ring des Feuers“ aus antiisraelischen, Iran verbundenen Milizen und Gruppen an, die dieser rund um Israel aufgezogen hat.
Dabei haben die beiden doch klare inhaltlich Differenzen, angefangen bei ihrer religiösen Ausrichtung: Hamas ist eine sunnitische, Hisbollah eine schiitische Bewegung.
Die Differenzen der beiden Gruppen wurden vor allem im Konflikt in Syrien deutlich: Hisbollah steht hinter der Assad-Regierung, Hamas unterstützte die Rebellen. Aber kurz- und mittelfristig verfolgen sie dieselbe Strategie: Ihre Kooperation fußt nicht auf einer gemeinsamen Ideologie, sondern in der Opposition zu Israel.
ist ein israelischer Generalmajor der Reserve und Publizist. Er war Sicherheitsberater von Premierminister Netanjahu und Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates.
Markieren die nun abgeschossenen Raketen ein neues Niveau der Zusammenarbeit?
Ungefähr fünf Minuten nachdem die Raketen abgeschossen wurden, hat Hisbollah der arabischen Presse geleaket, dass sie nicht dafür verantwortlich seien. Ich glaube nicht, dass der Abschuss von der Führung der Hisbollah in Beirut bewilligt war, denn es liegt definitiv nicht im Interesse der Hisbollah, eine militärische Eskalation Israels im Libanon heraufzubeschwören. Wenn es eine Kooperation zwischen Hisbollah und Hamas bei diesem Abschuss gab, dann wahrscheinlich nur auf einem lokalen Niveau.
Wer gehört noch zum „Ring des Feuers“?
Die Hauptanstrengung Irans in den letzten Jahren bestand darin, ein weiteres Element des „Ring des Feuers“ in Syrien aufzubauen. Mit mehr als 100.000 Raketen und Flugkörpern ist die Hisbollah ihr mächtigster Pfeil im Köcher. In Syrien haben sie versucht, etwas Gleichwertiges aufzubauen. Daran sind sie aber gescheitert: Israel hat in den letzten Jahren viele iranische Einrichtungen in Syrien zerstört. Ein weiteres potenzielles, aber bisher inaktives Mitglied sind die Huthi-Rebellen im Jemen.
Woher stammen die Raketen, die Hisbollah und Hamas verwenden? Aus Iran?
Die meisten Raketen, die aus Gaza abgefeuert werden, werden auch dort produziert. Wenn die israelische Armee in Gaza bombardiert, tut sie das meist mit dem Ziel, die Fähigkeit der Hamas, diese herzustellen, anzugreifen. Im Libanon ist es komplizierter: Die meisten Raketen stammen aus Iran, wurden durch Syrien in den Libanon transportiert, manche wurden auch von Syrien hergestellt. Die Hisbollah produziert aber auch eigene Geschosse, vor allem die mit größerer Präzision.
Auch aus Syrien wurden Raketen abgefeuert, auf die israelisch annektierten Golanhöhen.
Wahrscheinlich war auch das eine palästinensische Gruppe. Israel müsste hier mehr Druck aufbauen, dem syrischen Staat klarmachen: Wenn ihr es erlaubt, dass Terrorgruppen Raketen von eurem Territorium schießen, bezahlt Syrien den Preis.
Israel hat nach den Raketenangriffen zwar Stellungen im Südlibanon beschossen, aber bisher keine weiteren Konsequenzen angekündigt.
Die Hisbollah zu zerstören wäre eine riesige Operation, ein blutiger Krieg, und vor allem für den Libanon katastrophal. Etwa die Hälfte aller Raketen in Hisbollah-Besitz lagert in Zivilgebäuden. Und auch in Israel gäbe es sicher Konsequenzen: Die Hisbollah hat sehr fortschrittliche Waffensysteme, manche schaffen es an Israels Luftabwehrsystemen vorbei. Und Iran versorgt seine Verbündeten mit Drohnen, auch Russland werden sie geliefert, die diese gegen die Ukraine einsetzen.
Kann dieser „Ring“ Israel wirklich gefährlich werden?
Diese antiisraelischen Kooperationen sind nicht neu, werden aber immer weiter forciert. Und das Schweigen des Westens ist gefährlich: Israel ist umschlossen von Terrorgruppen, und bisher gab es auch zu den jüngsten Angriffen kaum Reaktionen – erst wenn Israel sich wehrt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin